Die Klage der Nonne
Ich muß in diesen Mauern in Abgeschiedenheit
Versäumen und vertrauern die schöne Jugendzeit.
Sie haben ja zur Nonne mich eingemauert arg,
Und haben mich lebendig gelegt in meinen Sarg.
Ich muß die Metten singen, mein Herz ist nicht dabei.
Vergib mir, du mein Heiland, wie sündhaft ich auch sei,
Vergib mir und vergib auch in deiner reichen Huld
Den Blinden, den Betörten, die an dem Unheil Schuld.
Hier senkt die hohe Wölbung sich schwer auf mich herab
Und drängen sich die Wände zu einem engen Grab;
Mein Leib nur ist gefangen, es hält die dumpfe Gruft
Mein Sinnen nicht, das schweifet hinaus nach freier Luft.
Mich zieht die Sehnsucht schmerzlich in die erhellte Welt,
Wo Liebe sich mit Liebe zu froher Lust gesellt;
Die Freundinnen mir waren, sie lieben, sind geliebt,
Und nur für mich auf Erden es keine Liebe gibt.
Ich seh sie, ihre Männer, ihr häuslich stilles Glück,
Umringt von muntern Kindern, – es ruft mich laut zurück
In Gottes Welt, ich weine und weine hoffnungslos;
Ward doch auch mir verheißen des Weibs gemeinsam Los!
Ich hätte nicht den reichsten, den schönsten nicht begehrt,
Nur einen, der mich liebe, der meiner Liebe wert;
Ja keine Prunkgemächer, nur ein bescheidnes Haus,
Er ruhte sich am Abend vom Tagwerk bei mir aus.
Ich könnt im ersten Jahre, in stolzer Mutterlust,
Ein Kind, wohl einen Knaben, schon drücken an die Brust;
Da würden manche Sorgen und Schmerzen mir zu Teil,
Ist doch das Glück auf Erden um hohen Preis nur feil.
Ich wollt an seiner Wiege so treu ihm dienstbar sein,
Ihn pflegte ja die Liebe, was sollt er nicht gedeihn?
Du lächelst, streckst die Händchen, du meine süße Zier!
O Vater! sieh den Jungen, fürwahr, er langt nach dir!
Ich müßte bald verschmerzen, was meine Freude war,
Ich müßt ihn ja entwöhnen wohl schon im nächsten Jahr:
Du blickst, mein armer Junge, verlangend nach mir hin,
Du weinst, – ich möchte weinen, daß ich so grausam bin.
Er wächst, er kreucht, er richtet an Stühlen sich empor,
Verläßt die Stütze, schreitet selbstständ'ge Schritte vor;
Er fällt: du armer Junge! verliere nicht den Mut,
Ein Hauch von deiner Mutter macht alles wieder gut.
Und wie die ersten Laute er schon vernehmlich lallt,
Mama, Papa, ihr Klang mir im Herzen widerhallt!
Und wie ihn reich und reicher die Sprache schon vergnügt,
Und seltsam noch die Worte er aneinander fügt!
Er wird schon groß, wir schaffen ein Wiegenpferd ihm an,
Er tummelt es und peitscht es, ein kühner Reitersmann. –
Ei! kletterst du schon wieder? du ungezogner Wicht!
Er lacht, er kommt, er küßt mich, und zürnen kann ich nicht.
Er muß in seinen Jahren bald in die Schule gehn,
Muß lesen, schreiben lernen: das wirst du, Vater, sehn,
So wild er ist, wir lösen – ja, er wird fleißig sein, –
Noch manchen roten Zettel von ihm mit Naschwerk ein.
Und wenn von roter Farbe nicht alle Zettel sind,
Sollst Vater so nicht schelten, er ist ja noch ein Kind,
Er wird noch unsre Freude und unser Ruhm zugleich
Einst hochgelahrt gepriesen im ganzen röm'schen Reich.
Und Jahr' um Jahre fliehen in ungehemmtem Lauf,
Er aber durch die Klassen arbeitet sich hinauf,
Er wird zur hohen Schule entlassen, er erreicht
Gewiß ein gutes Zeugnis, das beste? – ja! – vielleicht.
Und wann er uns besuchet, – o Gott! ich seh ihn schon
Mit seinem schwarzen Schnurrbart, den echten Musensohn. –
Die Ferien sind zu Ende, ade! muß wieder hin,
Ich komme nun nicht früher, als bis ich fertig bin.
Ein Brief! ein Brief! lies, Vater; – Dein Sohn hat ausstudiert,
Sie haben ihn zum Doktor mit hohem Lob kreiert,
Mit nächster Post, so schreibt er, ja, morgen trifft er ein;
Hol, Mutter, aus dem Keller die letzte Flasche Wein!
Das Posthorn hör ich schallen! – ach nein! zu meinem Ohr
Dringt dumpf nur das Geläute, das ruft mich in das Chor;
Sie haben ja zur Nonne mich eingemauert arg,
Und haben mich lebendig gelegt in meinen Sarg.
Ich muß die Metten singen, mein Herz ist nicht dabei.
Vergib mir, du mein Heiland, wie sündhaft ich auch sei,
Vergib mir und vergib auch in deiner reichen Huld
Den Blinden, den Betörten, die an dem Unheil Schuld.
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