Der Tempel von Aegina
Halbauf noch ragt mit seinem Ruhm
Der Wunderbau der Aegineten,
Doch öde steht sein Heiligtum,
Verwaist von Opfern und Gebeten;
Zerbröckelnd in den Archipel
Sinkt das Gestein vom Felsenhange,
Um Säulensturz und Kapitäl
In Ringeln windet sich die Schlange.
Nur wenn beim Sternenschein der Nacht
Von Fels zu Fels die Schatten wallen,
Erhebt in alter Dorerpracht
Der hehre Tempel seine Hallen,
Und durch die Säulengänge hin,
Den goldnen Kranz im Lockenhaare,
Tritt feierlich die Priesterin
Im weißen Lichtkleid zum Altare
Da ist's, als ob am Himmelssaum
Des Göttervaters Donner rolle
Und aus jahrtausendlangem Traum
Die alte Welt erwachen wolle;
Als ob die Mutter Cybele
All ihre Kinder wieder wecke
Und sehnsuchtsvoll in süßem Weh
Die Arme nach der Erde strecke.
Und horch! Ein Regen auf der Flur,
Ein Rauschen um die Uferklippen!
Noch einmal öffnet die Natur
Aufjubelnd ihre bleichen Lippen;
In kühler Grotten Dämmerglanz
Und an den hallenden Gestaden
Schlingt sich der Nymphen Reigentanz;
Im Walde flüstern die Dryaden.
Und wie Gesänge des Homer
Tönt es durch das Geroll der Wogen;
Auf silbernem Gewölk daher
Kommt leuchtend Artemis gezogen;
Anbetend gießt die Priesterin
Das Opfer aus der Weiheschale –
Doch neu in Schweigen und Ruin
Sinkt alles hin beim Morgenstrahle.
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