Vor einem Fenster
Bleich am Himmel steht der Mond;
In das Fenster zu dem Zimmer,
Wo ich ehedem gewohnt,
Zittert geisterhaft sein Schimmer,
Und zurück glaub' ich zu schaun
Zu den lang versunknen Jahren,
Als mir noch die Locken braun,
Frisch die Lebensgeister waren.
Alles drinnen wie bekannt!
Dort der Sessel vor dem Pulte
Und die Spieluhr an der Wand,
Die mich oft in Schlummer lullte;
Dort bei einer Kerze Licht,
Bücher vor ihm aufgeschlagen,
Sitzt ein Jüngling; sein Gesicht
Ist wie meins in frühen Tagen.
Sage mir, mein Schattenbild,
Du voll Lust, wie ich voll Trauer:
Glaubt dein Drang, der nie gestillt,
Noch an ew'ge Lebensdauer?
Bei Folianten, Nachtgesell,
Brütend bis zur Morgenstunde
Mühst du dich, der Weisheit Quell
Auszuschöpfen bis zum Grunde?
Schwingen deinem Geiste wohl
Willst du weben durch dein Lernen;
Denkst zu fliegen an den Pol
Zu des Himmels fernsten Sternen;
Träumst in jugendlichem Mut,
Großes einst zu thun auf Erden –
Aber Kraft und Wangenglut,
O wie bald sie schwinden werden!
Geh und schlag die Bücher zu!
Sieh hernieder, wo ich stehe!
Du bist ich, und ich bin du,
Nur gebeugt von Gram und Wehe;
Bitter an den Lippen klebt
Mir des Lebensbechers Hefe,
Und, wie heiß ich auch gestrebt,
Labt kein Kranz die glüh'nde Schläfe.
Was ich baute, sah zerstört
Ich zu Boden wieder rollen;
In der Luft ist ungehört
Meiner Worte Klang verschollen,
Und bevor mein Volk, mein Land
Noch erkannten, wen sie hatten,
Unbetrauert, ungenannt,
Werd' ich eingehn zu den Schatten.
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