Eine Mitternacht in Tyrol
Die großen Kaiser sind alle erwacht,
Steh'n aufrecht da in der Gruft.
Sie tragen die deutsche Reichskrönungstracht,
Es glühet und zischt in der Luft.
Der Reichsverweser schläft ein in Tyrol,
Die Uhr, sie schlägt Mitternacht,
Da wecket ihn dumpf, da wecket ihn hohl
Der Ahnherr'n gespenstische Pracht.
Wie bist Du so klein, wie bist Du so schwach,
Du kleinlicher Enkelsohn,
Du brachtest dem Reich, Du brachtest uns Schmach,
So hallt es im grollenden Ton.
Die Berge Tyrols, die Steine in Tyrol,
Sie hallen es tausendfach nach,
Das tönet so dumpf, das tönet so hohl,
Als ob Fels an Felsen sich brach!
Und Rudolf von Habsburg mit Hoheit begann:
»Du Reichsverweser Erzherzog Johann,
Bewahre, Du bist mir kein Rittersmann,
Ich schleudere Dich in Acht und Bann.«
Die Berge Tyrols, die Steine in Tyrol,
Sie hallen es tausendfach nach,
Das tönet so dumpf, das tönet so hohl,
Als ob Fels an Felsen sich brach.
Und Karl der Fünfte in seiner Art:
»Wer unehrlich, sei klug, Johann,
Und weil Ihr nicht klug und nicht ehrlich war't,
So tun wir Euch in Acht und Bann.«
Die Berge Tyrols, die Steine in Tyrol,
Sie hallen es tausendfach nach,
Das tönet so dumpf, das tönet so hohl,
Als ob Fels an Felsen sich brach.
Und Maximilian spricht, Schmerz im Gesicht,
»Fluchwürdig, wer die Treue bricht,
Wer weiß, ereilt Dich kein Gottesgericht.
In Bergen Tyrols verbirg Dich nicht!«
Die Berge Tyrols, die Steine in Tyrol, –
Sie hallen es tausendfach nach,
Das tönet so dumpf, das tönet so hohl,
Als ob Fels an Felsen sich brach!
Und Joseph der Gute wehmütig klagt:
»In Wien ein Stand- und Kriegsgericht?
Das Beste, das Schönste hast Du gewagt,
Die Mutter, – sie vergißt Dir's nicht!«
Die Berge Tyrols, die Steine in Tyrol,
Sie hallen es tausendfach nach,
Das tönet so dumpf, das tönet so hohl,
Als ob Fels an Felsen sich brach.
Und Maria Theresia, die schönste Frau,
Mit unmutiger Miene spricht sie,
Mit der Rechten zeigt sie Brigittenau:
»Auch dieses vergeß' ich Dir nie!«
»Die Söhne Arpads, sie schützten mein Haus,
Das Reich und des Habsburgers Thron,
Und« – ruft mit Beben die Kaiserin aus,
»Verderben war darum ihr Lohn!«
Im weißen Gewand, das Haar in die Höh',
Die Rechte zum Himmel hinan:
»Den Feinden Arpads sei ewiges Weh',
Vergeßlichen Enkeln mein Bann!«
Die Berge Tyrols, die Steine in Tyrol,
Sie hallen es tausendfach nach,
Das tönet so dumpf, das tönet so hohl,
Als ob Fels an Felsen sich brach.
Dem Reichsverweser wird bang um das Herz,
Die Ahnen, sie haben vollend't,
Die Worte lasten wie Panzer von Erz,
Der Bannstrahl das Hirn ihm verbrennt. –
Und scheu aus den Armen des schweren Alp,
Reißt entsetzt und matt er sich auf,
Da sieh da, noch Schatten ein blutiger, halb, –
Er steigt aus der Erde herauf!
Ein Jüngling, das lockige Haupt in der Hand,
Um die Stirn' den Streifen von Blut:
»An Deiner Statt« – ruft er, »mein wär' das Land,
Dir fehlte mein reichlicher Mut!«
Ein Nu, der blutige Schatten war hin,
Es lachte noch jugendlich auf:
»Nicht Jeder, nicht Jeder ist Konradin,
Nicht Jeder ein Hohenstauf'.«
Die Berge Tyrols, die Steine in Tyrol,
Sie hallen es tausendfach nach,
Das tönet so dumpf, das tönet so hohl,
Als wenn Fels an Felsen sich brach.
Den Erzherzog schwindelt, zur Erde er fällt,
Und siehe, es war nur ein Traum,
O Volksmann Johann, die Meinung der Welt,
Sie fand in dem Traume den Raum! –
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