Der letzte York

Lancaster herrscht, der Kampf ist aus, die rothe Rose hat gesiegt,
Die weiße Rose, Blatt um Blatt, auf zwanzig blut’gen Feldern liegt,
Ein Einzger nur, des Clarence Sohn, deß Herzblut nicht zu Boden floß,
Im Tower sitzt Graf Edward York, des alten Hauses letzter Sproß.

Er sitzt im Tower Jahre schon, am selben Gitterfenster schier,
Wo seinen Vater man ertränkt (er wollt’ es so) in Malvasier,
Der Junge hat vom Alten her ererbt den immer leichten Sinn,
Er rechtet mit dem Leben nicht, und wie es fällt, so nimmt er’s hin.

Die Drehbank kürzt ihm seinen Tag, es surrt das Rad, es klingt sein Lied,
Des Morgens ist er arbeitsfroh, des Abends ist er arbeitsmüd’,
Er wirft sich auf sein Lager hin, hat festen Schlaf und guten Traum,
Daß er ein Sproß vom Hause York, der letzte Sproß, er weiß es kaum.

Es surrt das Rad; da rasselt’s drauß und klirrt im Schloß, – Flurlicht fällt ein,
Sieh, der Lancasterkönig selbst, Herr Heinrich Tudor tritt herein,
Er spricht: „Grüß Gott Dich, Vetter York, nimm dieses Schwert und diesen Helm
Und drunten nimm mein bestes Roß, – der Perkin Warbec ist ein Schelm!

„Der Percin Warbec ist ein Schelm, die blöde Menge läuft ihm zu,
Das macht, er nennt sich Edward York und lügt und prahlet: Er sei Du;
Der Dieb, er stiehlt mir meinen Schlaf, doch ich zerreiß ihm seine List,
Komm mit, und sprich zu allem Volk und zeig’, daß Du – Du selber bist.“

Sie reiten durch das Tower-Thor, auf Platz und Straße wogt es rings,
Das ist er! raunt die Menge rechts, das ist er! raunt die Menge links,
Er hört es nicht, – das Puppenspiel trieb ihm ins Antlitz Grimm und Glut,
Mit eins lebendig worden ist in ihm das alte Königsblut.

Er grüßt nicht rechts, er grüßt nicht links, er starrt nur schweigend vor sich hin,
Graf Edward York, wo blieb Dein Erb’, des Vaters immer leichter Sinn?
Sie reiten still bis Ludgate-Hill, der König flüstert: „Vetter, hier!“
Der aber schweigt und murmelt erst am Tower-Thor: das denk ich Dir.

Und eh die Nacht am tiefsten sinkt, ist seines Kerkers Zelle leer,
Ein Strick, aus Tüchern festgeknüpft, weht weiß im Winde hin und her,
Und eh des andern Tages Schein noch hell in seine Zelle fällt,
Da tritt er schon, Helm auf dem Haupt, in Perkin Warbec’s flatternd Zelt.

Er spricht: „Du nennst Dich Edward York und Edward York so nenn’ ich mich,
Wer von uns zwei’n der rechte sei, beim ew’gen Gott, das findet sich,
Doch, daß Du meinen Namen stahlst und mit ihm würfelst um den Thron,
Heut dank’ ich’s Dir aus voller Brust, genüber diesem Tudor-Hohn.

„Entgegen ihm! und siegen wir, so trägst Du Englands Krone mit!“ –
Sie zogen aus und stritten gut, doch Heinrich Tudor besser stritt,
Er schlug zurück die Stürme all, Graf Edward that den letzten Sturm,
Und eh die Nacht am tiefsten sank, saß er aufs Neu im Tower-Thurm.

Der Morgen kommt; da rasselt’s draus und klirrt im Schloß, Flurlicht fällt ein,
Sieh, des Lancasterkönigs Freund in rothem Mantel tritt herein,
Er spricht: „grüß Gott Dich, Edward York, was ich Dir thuen muß, vergieb,
Doch will ich’s thun mit fester Hand und treffen Dich auf einen Hieb.“

Sie schreiten durch das Tower-Thor, auf Platz und Straße wogt es rings,
Das ist er! raunt die Menge rechts, das ist er! raunt die Menge links,
Er grüßt nach rechts, er grüßt nach links, er starrt nicht länger vor sich hin,
Graf Edward York hat wieder ganz des Vaters immer leichten Sinn.

Sie schreiten still bis Ludgate-Hill, aufragte da das Blutgerüst,
Graf Edward York zum letzten Mal hat er das Crucifix geküßt,
Die Lerchen stiegen himmelan, die Glocken klangen dumpf und matt,
Und roth von Blut zu Boden fiel der weißen Rose letztes Blatt.

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