Die Schläferin
Ich steh’ um Mitternacht allein
Im mystisch weißen Mondenschein.
Dem vollen, goldenen Gestirne
Entströmen feuchte Nebeldünste
Und fallen auf die blauen Firne
Wie silberweiße Lichtgespinnste,
Um sich von dort melodisch leise,
Und schläfrig langsam, tropfenweise,
Wie bunte, schimmernde Juwelen
In das entschlafne Thal zu stehlen.
Vom Grabe winkt der Rosmarin
Zu den verschlafnen Lilien hin;
Die wankenden Ruinen raffen
Erschauernd um die morschen Glieder
Ihr Nebelkleid und sinken nieder,
In alle Ewigkeit zu schlafen;
Der See dort – Lethe ist nicht stummer
Als er in seinem tiefen Schlummer.
Es ruht das All. Die Zweige nicken
Süß eingewiegt – wo aber liegt
Irene mit ihren Geschicken?
O wundersame, bleichwangige Dame,
Wie unbedacht, dies Fenster bei Nacht
So offen den Gästen, die von den Aesten
Mutwillig hüpfen, in’s Zimmer schlüpfen,
Den Winden, den losen, fürwitzigen Rangen,
Die in den Gardinen sich lachend verfangen,
Und sie so unbändig und so beständig
Zerren und zausen dicht über den langen
Seidenen Wimpern auf deinen Wangen,
Daß über den Boden weg durch das Fenster
Die Schatten fallen wie schwarze Gespenster.
O wundersame, bleichwangige Dame,
Wo kommst du her? Wohl gar übers Meer?
Und sag’ mir, warum nur bist du so stumm?
Ist dir wohl bang? Du bist so eigen,
Dein Haar ist so lang, so seltsam dein Schweigen!
Die Dame schläft. O wär’ so mild
Ihr Schlummer, als er lange währt!
Der Himmel sei ihr heilger Schild.
Mag sie auf ewig ungestört,
In einem heiligeren Bette,
An melancholischerer Stätte,
Wo sich Cypressen leise wiegen,
Mit festgeschlossnen Augen liegen!
Es schläft mein Lieb. O, daß so mild
Ihr Schlummer, als er ewig ist!
Daß sich ihr eine Gruft erschließt
In einem Walde dicht und wild,
Ein tiefes, ruhevolles Grab
An einem stillen Ort, fernab –
So eine festverschloss’ne Gruft,
Aus der sie fürder nichts mehr ruft,
Die Reue nicht, die Buße nicht,
Bis an das ewige Gericht. –
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