Die Glocken des Campanile
Auf Kuppel und auf Mauerkranz
San Marcos ruht noch Sonnenglanz;
Doch zu der Marmorbilder Fuß
Und auf des Platzes weiße Platten
Hinbreitet sich der Abendschatten,
Indessen sanft der Engelgruß
Vom Campanile niederwallt
Und auf und nieder flügelleicht
Der Taubenschwarm die Luft durchstreicht.
Empor zum Kuppelkreuze bald
Sich schwingen sie im zack'gen Flug,
Bald daß aufs Evangelienbuch
Des Heiligen sie niedersinken,
Daß, in des Abends letztem Strahle
Sich sonnend, aus der Weiheschale,
Die seine Rechte hält, sie trinken.
Die schlanken Säulenreihn entlang,
Durch der Arkaden Laubengang
Wogt vor Venedigs altem Dom
Im Festgewühl des Volkes Strom.
Zu eng fast scheint der Raum, der weite;
Und wie ich mit den andern schreite,
Der wechselnden Geschlechter all
Denk' ich, die bei der Glocken Schall
Vordem wie ich hier hingeschritten.
Der Schleier, der vor unserm Geist
Vorzeit und Zukunft deckt, zerreißt.
Vor sechs Jahrhunderten inmitten
Von ungeheurem Volksgedränge
Steh' ich; um mich im Festgepränge
Erglänzt von wehenden Standarten
Der Platz gleich einem Frühlingsgarten.
Durch Samt und Seide, farbenbunt,
Giebt sich Venedigs Adel kund,
Und weiße Federbüsche zieren
Die Häupter selbst den Gondolieren;
An Fenster, auf Balkon und Dach
Drängt sich die Menge tausendfach.
Hin durch die Scharen geht ein Tosen;
Nach der Piazzetta neugiervoll
Starrt jedes Auge; horch, Geroll
Von Ankern! Jubel der Matrosen
Schallt wolkenauf her vom Kanal.
Gereiht ist weithin vom Palast
Des Dogen bis zum Arsenal
Und zum Rialto Mast an Mast.
Der Siege und des Ruhmes satt,
Aus der erstürmten Kaiserstadt
Kehrt Dandolo, der hehre Greis,
Zurück in seiner Ritter Kreis.
Es folgt in Waffen und in Wehr,
Mit Beute von zerstörten Reichen,
In hundert Schiffen ihm das Heer;
Im Morgenlichte schimmert weiß
Auf aller Brust des Kreuzes Zeichen;
Der Glanz der Waffen und der Speere
Hüpft von Galeere zu Galeere.
Nun grüßt mit lautem Glockenspiele
Die Kehrenden der Campanile;
Das Haupt entblößen alle sie
Beim Klang der teuern Melodie.
Und schon, um für des Zugs Gelingen
Dem Heil'gen seinen Dank zu bringen,
Vom Bord tritt an des Führers Hand
Der blinde Doge an das Land.
Dort harrt der große Rat auf ihn,
Und, einen Purpurbaldachin
Auf seinem Haupte haltend, schreiten
Zehn Senatoren ihm zu seiten,
Bis bei des Volkes Jubelrufen:
»Heil, Heil dem Dogen Dandolo!«
Er aufwärtssteigt die Tempelstufen.
Die Ritter folgen heimkehrfroh,
Und aus den Schiffen, Mann für Mann,
Wogt dichtgedrängt das Heer heran;
Auf Fahnen, flatternd vor dem Zuge,
Hinschwebt im stolzen Siegesfluge
Des heil'gen Markus Flügelleu.
Beim Glanz der Helme, Lanzenspitzen,
Der Panzer und der Schilde Blitzen
Geblendet, senkt der Blick sich scheu.
Nun flutend durch des Tempels Thor
Erschallt der Priester Feierchor;
Dort dankt beim Klang der hohen Mette
Der Doge an geweihter Stätte
Dem Herren, der gestürzt durch ihn
Den Kaiserthron des Konstantin.
Doch außen von dem Platz der Landung,
Was wogt heran wie Meeresbrandung?
Das Viergespann von eh'rnen Rossen,
Von des Lysippus Hand gegossen,
Das hoch hernieder auf Byzanz
Gefunkelt in der Sonne Glanz,
Herführt' es in Venedigs Port
Ein Riesenschiff an seinem Bord.
Durchs Volk, das sich in Haufen ballt,
Dann wieder auseinander wallt,
Getragen auf Gefangner Rücken
Wird nun die Gruppe der Kolosse;
Den Dom San Marcos soll sie schmücken.
Vorüber an des Dogen Schlosse
Zum Tempelthor sind sie gelangt,
Und oben tritt auf den Altan,
Der reich im Schmuck von Fahnen prangt,
Der Doge hin, sie zu empfahn.
Empor, bis wo sie stehen sollen,
Gewunden werden sie an Rollen,
Und von den Dächern und Terrassen
Tönt Jubel dichter Menschenmassen,
Wie oben von des Doms Estrade
Die eh'rnen Griechenrenner kühn
Hinab auf Stadt und Meergestade
Das Feuer ihrer Nüstern sprühn. – –
Der Lärm verstummt, das Bild entweicht,
Des Abends tiefe Dämmrung legt sich
Rings um mich her, ein Ton kaum regt sich.
Hin übern Platz nur selten schleicht
Noch eine schwankende Gestalt!
Herab vom Campanile hallt
In matten Klängen Grabgeläut –
Das ist nicht gestern, ist nicht heut;
Ich fühle, daß zukünft'ge Zeiten
Mir um das Haupt den Schleier breiten.
Zur Seite schimmern blaß im Licht
Des Mondes, der durch Wolken bricht,
Halb hingestürzte Säulenreihn.
Noch aufrecht steht die große Halle,
Doch schleicht voran dem nahen Falle
Ein leises Knistern durchs Gestein.
Der Markusdom liegt in Ruinen:
Mit dem Gewölbe über ihnen
Ragt in der Mitte noch der Chor
Aus Trümmern und aus Schutt empor,
Und niederschaut in ernster Trauer
Der große Christus von der Mauer.
In Staub sind, der den Boden deckt,
Die Heil'genbilder hingestreckt.
Ich schreite weiter fort zum Strand,
Doch finde den Palast nicht mehr;
Nur eine Wildnis allumher
Ist die Piazetta, wo er stand,
Voll Nesseln, die im Windhauch schwanken;
Gehemmt wird mir der Schritt von Ranken,
Die sich um meine Füße schlingen.
Am Boden mit gebrochnen Schwingen
Zertrümmert liegt dein Löwe da,
Unsel'ge Stadt der Adria!
Geringelt um den Hals in langen
Windungen sind ihm wilde Schlangen.
Mein Tritt hallt dumpf auf Steinen hin
Und Gräberplatten, halbversunken,
Die mit der Emo, Vendramin,
Der Barbarigo Namen prunken.
Hinglimmend über Säulenstücke
Gelang' ich an die große Brücke
Und schaue nieder auf die Flut,
Die reglos mir zu Füßen ruht.
Ich lausche in die Ferne bang:
Kein Ruderschlag, kein Fischersang;
Verhallt ist das Geläut, ringsum
So wie in Gräbern alles stumm.
Leck liegt, mit Wasser angefüllt,
Nur eine Gondel noch am Pfahle,
Und zu den Seiten am Kanale,
In blasse Nebel eingehüllt,
Reihn sich die morschen Mauerreste
Der Kirchen und der Prachtpaläste.
Von ihrer Steine Sturz tönt leise
Zum Ohre mir der Wiederhall,
Ich seh' im Mondenlicht, wie Kreise
Das Wasser zieht bei ihrem Fall.
Herüber da vom Redentore
Dringt Meßgeläute mir zum Ohre,
Ein Requiem, vernehmbar kaum
Von einem Geisterchor gesungen.
Nochmals hebt lallend, wie im Traum,
Der Glockenturm die ehrnen Zungen.
Doch plötzlich seh' ich, wie er wankt;
Die Quadern lösen sich; er schwankt;
Der Boden längs der Riva zittert;
Die Häuser, Kirchen, die verwittert
Am Ufer dastehn wie Skelette,
Versinken ins Lagunenbette.
Und an dem öden Inselstrand,
Wo ehedem Venedig stand,
Ragt nur noch hie und da ein Thor,
Ein Bogen aus der Flut empor.
Das sind die Bilder und Gesichte,
Die, wenn mich in des Abends Lichte
Umwogt Venedigs buntes Leben,
Beim Klang der Glocken mich umschweben.
German Poetry App
This poem and many more can also be found in the German Poetry App.