Pariser Notturno

Ja rolle, rolle, Seine, deine trägen Wogen,
Durch deine giftumhauchten, finstern Brückenbogen
Schwamm mancher Leichnam schon entstellt, verwesend, fort,
Dem Seele, Herz und Sinn längst in Paris verdorrt.
Doch sind die Eisflut nie so viel hinabgeschwommen,
Wie mir bei deinem Anblick jetzt Gedanken kommen.

Der Tiber hat Ruinen an dem hellen Strand,
Durch die den Wandrer er in ferne Zeiten bannt,
Die Moos und schwarzer Efeu dicht gerankt umweben
Und die sich grau zerbröckelt aus dem Grün erheben.
Mit Goldorangen lächelt der Guadalquivir
Und spiegelt abends der Boleros bunte Zier.
Der Pactolus führt Gold, des Bosporus Gestade
Laden die üpp'ge Odaliske ein zum Bade.
Ein Burggraf ist der Rhein, ein kecker Troubadour
Ist der Lignonfluss und ein Buhler der Adour.
Des Nilstroms Flut, flüsternd wie leiser Kummer,
Wiegt seine Mumien ein in träumesüssen Schlummer,
Und der Meschascébé, voll heil'gem Schilf, benagt
Der Inseln Fels, der steil aus seinen Wassern ragt.
Donnernd und leuchtend lässt er seine hoheitsvollen
Wogen in breiten Niagaras niederrollen.
Und der Eurotas, wo die heim'schen Schwäne zieh'n,
Eint ihren weissen Glanz mit seines Lorbeers Grün.
In blauer, klarer Luft, die Geier stolz durchfliegen,
Singt einem Dichter gleich der Fluss im Wellenwiegen.
Stark wälzt der Ganges durch der Palmen Schauern sich,
Umschwebt von roten Padmas, sanft und feierlich,
In königlichem Pomp; an seinem Ufer schwellen

Um die Moscheen des Volkes lärmbewegte Wellen.
Das Holz der Cymbals klingt in kriegerischem Ton,
Und in das Rohr geduckt, dumpf klagend, wie Hobo'n,
Ob nicht die flinken Antilopen nahen wollen,
Birgt der gestreifte Tiger sich mit tiefem Grollen.

Du, Seine, du hast nichts. Zwei Quais und die allein!
Zwei schmier'ge Quais, die rings besät von Schmutzerei'n,
Mit schimmelndem Papier, voll von der dichten Menge,
Die Kreise macht im Fluss und angelt in der Enge.
Doch wenn es Abend wird, erblickt man ringsumher
Nur wen'ge Wandrer noch, von Schlaf und Hunger schwer,
Die Abendsonne malt die Luft mit roten Flecken,
Da kommt der Träumer gern aus finsteren Verstecken,
Dass auf der Brücke, unweit Notredame, er sinnt,
Gedanken, Haupt und Herz umspielt vom Abendwind.
Der nächt'ge Hauch zerreisst der Wolken grau Gewimmel
Und kupfern segeln sie, zerstreut im toten Himmel,
Und eines Heil'gen Haupt trifft an dem Domportal
Mit rotem Kuss der Abendsonne letzter Strahl.
Beim Nahn des Dunkels fliehn von Furcht erfüllt die Schwalben,
Und finst're Fledermäuse flattern allenthalben.
Und alles schweigt. Ein Summen nur, das dumpf erklingt,
Erzählt uns von der Stadt, die noch ihr Lied uns singt,
Sie, die Tyrannen küsst, der Opfer Schar zertrümmert –
Das ist das Morgenrot, das dem Verbrechen schimmert.
Da plötzlich klingen jäh, als stiesse ein Tenor
Im Lampendunste seinen grellen Schrei hervor,
Den Schrei, der klagend schwillt in schmerzlichem Erbeben,
Drehorgeltöne, die durchs Dunkel zu mir schweben,
Und wieder hört man jene alten Polkas da,
Die wir als Kind versucht auf der Harmonika,
Die träge oder flink, voll Frohsinn oder Trauern,
Frau'n, Künstlern und Geächteten das Herz durchschauern.
Das ist zerstückt und rauh, kein einz'ger rechter Ton,
Rossini wäre sicher längst davon gefloh'n,
Das Lachen ist verzerrt, zerrissen sind die Klagen,
Der Klang ist scharf und grell, dass kaum es zu ertragen.
C klingt wie A: Die ganze Tonart ist zerstört –
Jedoch was macht es aus! Man weint, wenn man das hört.
Und unsre Seele scheint im Träumen hinzufliessen
Und fühlt im alten Klang seltsame Kräfte spriessen,
Das Auge wird uns feucht und Mitleid füllt das Herz,
Nach Himmelsfrieden sehnt man sich nach allem Schmerz,
Und in phantastischen und fremden Harmonien
Sieht man im Strom des Klangs tiefsüsse Bilder ziehn,
Die unser Herz bestrahlt mit Freude, Licht und Lied,
Das mit den Tönen eint die Sonne, die verschied.

Dann ist die Leier fort, und tiefes Schweigen lastet,
Die trübe Nacht bricht an, die blasse Venus rastet
Fern in der Finsternis auf weichem Wolkenhang,
Die Gaslaternen glühn die Häuserreih'n entlang.
Und aus dem Strom, der schwarz wie samt'ne Masken, flimmern
Im Zickzack das Gestirn und all' der Lampen Schimmern.
Und der Beschauer am Geländer, das voll Rost
'Nem alten Geldstück gleich, durch Jahre, Luft und Frost,
Neigt tief zum Abgrund sich, wo finst're Winde schwanken,
Und stolzer Ehrgeiz, Hoffnung, heitere Gedanken,
Selbst die Erinnerung – dahin ist alles dies!
Und um uns ist die Nacht, das Wasser und Paris!
Dreieinigkeit des Fluchs! Grabschlünde allzeit offen!
Du Mene-Tekel-Phares für verlor'nes Hoffen!
Ihr Pforten unsres Grams, ihr drei seid allzumal
So schrecklich, dass der Mensch, wie trunken von der Qual,
Mit der ihr ihn durchbohrt und schattenhaft umklammert,
Der Mensch, der wie Orest, doch ohne Schwester jammert,
Dem schicksalsfinstren Blick nicht länger widersteht
Und machtlos g'radeaus zum graus'gen Abgrund geht.
Und alle drei wetteifert ihr in eurem Wüten,
Dem grossen Wurme tote Bräute darzubieten,
Dass man nicht weiss, wer von den Dreien uns verdirbt,
Und dass man lieber noch im grausen Dunkel stirbt,
Als in dem tauben Strom, dem eis'gen Flutenbette,
Oder in deinem Lug, Paris, Herrin der Städte!
Und ewig, Seine, rollst du weiter, ewig ziehst
Du durch Paris den Strom, der grau und schmutzig fliesst,
Hinwälzend in der Flut, der trüben, schlangengleichen,
Die Ladungen von Holz, von Kohle und von Leichen!

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