Konstantin Seitz auf dem Bal paré
Keuschheit ist ein schöner Trieb.
Wenn sonst keiner übrig blieb,
Bleibt sie uns als letzter Rest
Vom verwichnen Lebensfest.
Nicht etwa als starker Drang,
Sondern als ein leichter Zwang,
Und als Tugend – negativ,
Wenn das Laster sanft entschlief.
Sie beginnt erst hinterdrein
Mit der Gicht in unserm Bein,
Ich behaupte, sie entsteht,
Wenn uns jedes Haar ausgeht.
Erst dem Manne mit der Glatze
Wird sie recht zum Lebensschatze.
Und auch da nicht stets und immer,
Mancher hat fürs Frauenzimmer
Noch was übrig, wo man meint,
Daß es nicht mehr möglich scheint.
So war auch, in diesem Sinn,
Unser alter Konstantin.
Von Geburt ein Mittelfranke,
War nur dies sein Hauptgedanke,
Ob vielleicht das ander G'schlecht
Noch mit ihm was haben möcht.
Äußerlich, im Körperbau,
War er alt und morsch und grau,
Aber scheinbar innerlich
Hatte er es stark in sich.
Furchtbar war die Leidenschaft,
Doch ihr Ausbruch mangelhaft,
Stark beleibt, mit Säbelbeinen
Und auch sonst im allgemeinen
Von dem Zahn der Zeit benagt,
Hat er dennoch viel gewagt,
Weil – das ist ein Supplement,
Welches man im Alter kennt,
Weil er unbezweifelbar
Immerhin vermöglich war.
Früher war sein Lebenswandel
Ein Getreid- und Hopfenhandel,
Bis er dann der Ruhe pflog,
Wo's ihn oft nach München zog,
Mit der Bahn aus Ingolstadt,
Wo er seine Heimat hatt'.
Ja, das muß man leider sagen
Und man kann es tief beklagen:
In Athen am Isarstrand
Nimmt das Leben überhand,
Grad so, wie, was jeder kennt,
Wenn wo nachts die Lampe brennt,
Jedes Vieh, das fliegen kann,
Summt herum und stoßt sich an,
Grad so zieht's nach München alle,
Wie in eine Freudenhalle.
Die Bewohner der Provinz
Sind darin nur eines Sinns,
Daß man sich was heimlich spart
Und damit nach München fahrt,
Und damit als Lebemann
Sich Vergnügen gönnen kann.
Aber was hat eine solche
Schlechtigkeit für eine Folche?
Erstens kommt der Ehebund
Ganz allmählich auf den Hund,
Denn wer von der Sünde naschte
Und nach ihren Reizen haschte,
Hat in seinem Ehebett
Unwillkürlich das Gefrett.
Denn er weiß wohl, was er soll,
Und verweigert doch den Zoll
Seiner auferlegten Pflicht.
Manche duldet's, manche nicht.
Aus dem ungestillten Sehnen,
Da entwickeln sich die Szenen,
Die man unerquicklich heißt,
Die für den Familiengeist
Unerhörten Schaden bringen.
Liebe läßt sich niemals zwingen,
Und so schleicht sich aus dem Bette,
Aus der frühen Liebesstätte,
Oft ein böser Geist ins Haus.
Jeder Leser kennt sich aus.
Er, anstatt in sich zu gehen
Und den Fehler einzusehen,
Findet noch dazu im stillen
Ihren stark betonten Willen
Unästhetisch im Extrem
Und für sich sehr unbequem.
Sie, als eine kluge Frau,
Weiß natürlich ganz genau,
Warum dieser Egoist
Plötzlich so ästhetisch ist;
Und es fällt ihr gar nicht bei,
Daß der Vorgang seelisch sei,
Daß vielmehr was anderes waltet,
Wenn der Amor so erkaltet.
Lebe wohl denn, stiller Friede,
Lebe wohl auch, du solide,
Schöne deutsche Häuslichkeit,
Liebliche Begattungszeit!
Nichts davon mehr unter ihnen.
Kalte Suppen, kalte Mienen,
Spitz die Worte, schlecht die Kost,
Keine Wärme, sondern Frost.
Und wem ist die Schuld zu geben?
München und dem Luderleben.
Sagte ich es nicht bereits?
So war die Affäre Seitz.
Seine angetraute Frau
War – man weiß es nicht genau –
Nah an fünfzig – sagen wir:
Vierundfünfzig, und bei ihr
Fand das alte Elend statt.
Der Gemahl war ihrer satt.
Wenn – es war schon zu verstehen –
Formen auseinandergehen
Und die hintere Spirale
Einfach in das Kolossale
Sich entwickelt, sieht der Mann
Seine Frau nicht günstig an.
Darum war auch Konstantin
Für das alte Magazin
Einfach jeder Liebe bar.
Das ist traurig, aber wahr.
Übrigens, wer darf ihn schelten?
Wo Naturgesetze gelten,
Gibt es keinen Zwang und Pflicht,
Keine Paragraphen nicht.
Wenn wir aber schon nicht kennen
Fackeln, die auf ewig brennen,
Lischt, das folgt doch klar daraus,
Auch die Liebesfackel aus.
Ferner, wenn sie dann erlosch,
Wird der Mann ein kalter Frosch,
Das ist Stimme der Natůr.
Aber dieses eine nur,
Nicht doch jenes, daß der Gatte
Anderwärts Empfindung hatte.
Nein! Hier denkt sich ein exakter
Und gefestigter Charakter:
Schöne Liebe, lebe wohl,
Jetzt kann nur der Alkohol
Meine ganze Freude sein.
Das ist deutsch und treu und rein.
Ja! Das war auch Seitzens Pflicht,
– – – aber er beging sie nicht.
Lichterglanz und Geigenstrich –
Alle Welt ist lüderlich.
Jeder Strumpf und jedes Bein
Will hier ausgelassen sein.
Jauchzend gellt die Klarinette:
Lieber Schatz, wenn ich dich hätte,
Und der Baß in tiefem Ton,
Brummt: Mein Schatz, das gibt sich schon.
Juhuhu und schnedderedeng!
Jedes Kleidchen wird zu eng,
Busen wogen, Busen wallen,
Liesel, tu mir den Gefallen!
Schnedderengdeng und jehuhu!
Jessas – Jessas ... da geht's zu!
Einmal sachte und sich wiegen
Und dann wirbeln, drehn und fliegen.
Jeder Strumpf und jedes Bein
Will hier ausgelassen sein.
In dem Wirbel mittendrin
Steht der alte Konstantin.
Seine Augen brennen lüstern,
Und es saugen seine Nüstern
Diesen Duft der Sünde ein.
Zuckt ihm auch das Säbelbein
In Erinnerung an Gicht,
Er beachtet alles nicht,
Jugendlich und schönheitsdurstig
Ist ihm diese Mahnung wurstig.
Ei! Wie ist so manches nackt!
Mit dem Kopf wiegt er den Takt
Einer Walzermelodie,
Und er schnackelt mit dem Knie.
Zum – tari – tarida,
Ach, ich möchte die da,
Die da, den da, Domino,
Und sein Herz brennt lichterloh.
Schöne schlanke Beine zappeln,
Schöne runde Busen schwabbeln
Auf und ab und her und hin.
Und da soll nun Konstantin
Denken an sein Pflichtgebot,
Wo ihn Leidenschaft umloht?
Weg mit den Moralbegriffen!
Hier ist schon darauf gepfiffen,
Den Zylinder schief und keck
Aufgesetzt und einen Zweck
Suchen rings in dem Gewühl,
Das verleiht ihm Frohgefühl.
Und er hat den Zweck gefunden.
Einen hübschen, einen runden.
Der mit roten Lippen lacht
Und sich nicht Gedanken macht,
Sondern dieses ganz vermied
Über Altersunterschied.
Das war, wie der Pepi fand,
Hier ein Nebengegenstand,
Freilich hat er viel mehr Jahre
Als wie auf dem Kopfe Haare.
Freilich hat sein Aug' getränt,
Freilich hat er oft gegähnt,
Leider auch dabei sodann
Hergezeigt den gelben Zahn,
Freilich war er zitterich –
Das war seine Sache. Nich?
In Betrachtung zu versinken,
Wünscht' sie nicht. Sie wollte trinken.
Und da sprach ihr Intellekt:
Alte zahlen lieber Sekt,
Auch viel besseren am Schlusse
Als die jungen Flidibusse.
Und sie sagte sich: Ich weiß,
Allerdings hier sitzt ein Greis,
Doch ich schweige dazu still.
Wenn er sich blamieren will,
Soll ich ihn daran verhindern
Und mir meinen Spaß vermindern?
Statt Schampaninger ein Bier
Trinken? Na, das wär' ja stier!
Sekt her, den er zahlen muß!
Das ist mein Prinzip. Und Schluß!
Was sich Konstantin wohl dachte,
Als das Mädchen fröhlich lachte?
Ei! Ei! Ei! Das junge Blut,
Sieh mal, dem gefall' ich gut!
Ja, man hat noch seine Reize
Und noch was vom jungen Seitze,
Dies und das und allerhand.
Dieses Mädchen hat Verstand.
Wie vernünftig urteilt sie
Gleich beim ersten Visavis!
Und er richtet die Krawatte,
Die er umgebunden hatte,
Streicht den Schnurrbart, lächelt süß,
Tritt dem Mädchen auf die Füß'
Und benimmt sich überhaupt
Ritterlicher, wie man glaubt,
Gar nicht wie ein Ingolstädter,
sondern ganz bedeutend netter,
Unternehmend und galant,
Edel, vornehm und scharmant.
Fraglich, ob es besser kann
Ein Pariser Lebemann.
Ja, sein ganzes Wesen war
Wie verklärt und sonderbar,
Weder alt noch weder morsch,
Heiter, jugendlich und forsch,
Und sein Blick schien kühn zu fragen:
Was die andern dazu sagen?
Vorgerückt war schon die Uhr,
Müde wurde die Natur
Unsres guten Konstantins.
Denn man geht in der Provinz
Früh ins Bett als ein honetter
Bürgerlicher Ingolstädter.
Seine Augen fielen zu,
Er ergab sich seiner Ruh.
Erst ein tiefer Atemzug,
Der ihn hin zu Morpheus trug,
Dann ein Ton, der das Gepräge
Einer schlecht gefeilten Säge
Hatte. Dann begab es sich,
Konstantin schnarcht fürchterlich.
Dieser Ton war das Signal,
Und nun kam von überall
Eine jugendfrohe Schar,
Der die Sache komisch war.
Eine Flasche! Noch 'ne Flasche,
Alles geht aus seiner Tasche!
Pepi rief's und schwang ihr Glas.
Kinder, kommts, da kriegt ihr was!
Pfum! Wenn nun ein Propfen knallte,
Hob der gute brave Alte
Mühevoll ein Augenlid,
Aber rührte sonst kein Glied,
Und sein Haupt sank wieder tiefer
Auf das Frackhemd, und dann schlief er.
Tsch.. sch! Das schäumte frisch und froh:
Vivat jeder Domino,
Vivat auch der edle Greis,
Der es zahlt und gar nicht weiß!
Immer dreister, immer toller
Und dabei auch immer voller
Wurde hier der Übermut
In dem leichten jungen Blut.
Wenn sich Lipp' an Lippe fand,
Wurde kühner jede Hand.
Wieder sang die Klarinette:
Mädel, gehst du mit ins Bette?
Und der Baß in tiefem Ton
Brummt: Das gibt sich alles schon!
Husch! Der ganze Spuk verschwand,
Bursch und Mädel Hand in Hand.
Als die Uhr nun dreie schlug,
Kam ein Kellner, der ihn frug,
Ob er nicht bald gehen will.
Konstantin erwacht. Wie still
Ausgestorben, wüst und leer
War es in dem Saal umher!
Nun besann sich Konstantin.
Wo ist denn die Dame hin?
Welche? Die auf diesem Platz?
Die ist fort mit ihrem Schatz!
Grimmig fuhr Herr Seitz empor.
Wie kam ihm der Kellner vor?
Lächelt er? Er lächelt nicht.
Steinern war sein Angesicht.
Meine Rechnung? Hier, mein Herr!
Waas?! – Ja, ich bedaure sehr,
Fräulein hat bestellt für Sie.
– Fünfzehn Flaschen Pommery.
Was kannst d' machen, Konstantin?
Zahl' und nimm die Sache hin!
Geht man auf verbotnen Pfaden,
Hilft kein Mittel gegen Schaden.
Und er zahlt. »Ich hab' die Ehr'!«
Konstantin brummt ordinär,
Was man brummt in diesem Fall
Z'Ingolstadt und überall.
Stille Nacht, die ihn umfing,
Als er seine Wege ging.
Oder respektive schlich.
Denn er spürte einen Stich
Nadelscharf in beiden großen
Zehen, wie hindurchgestoßen.
So! Das hat man nun davon!
So! Das ist der rechte Lohn
Für gemeinen Ehebruch,
Respektive den Versuch.
Autsch! Je mehr die Zehe beißt,
Wird nun kirchlicher sein Geist.
Und zuletzt nimmt es der Brave
Hin als eine Gottesstrafe.
So ging's unserm Konstantin.
Kinder, beten wir für ihn!
German Poetry App
This poem and many more can also be found in the German Poetry App.