Die Musen
Weinend kamen die Musen vor Jupiters Thron mit verhüllten
Angesichtern, und standen und schluchzten und konnten nicht reden:
„Kinder, was ist euch?“ erhub der ewige Vater die Stimme.
Klio, die älteste, der Euterpe, die jüngste, sich anschloß,
Trat hervor und begann: Laß uns bey dir im Olympus!
Vater! die Erde verdient nicht unsre segnenden Gaben.
Zwinge, du Guter, uns nicht mehr hinab: Wir wollen bey dir seyn!
Ach! es ziehet uns an der süße Boden der Heimath,
Und die mildere Luft, die unsere Jugend umwehte.
Unwerth ist der Fremde bey Fremden, wir wollen bey dir seyn,
Und mit Gesang und Spiel dein ewiges Leben erquicken!
Laß die Menschen, verkauft an ihre Bosheit und Lüste,
Laß sie, sich selber zum Raub, ihr Schattenleben in Nebel
Und cimmerischer Nacht voll trüber Schwere verhärmen“!
Und die Wolke des Ernsts stieg über Jupiters Aug auf:
Sollte das Erdengeschlecht sich gegen sich selber empören?
Dies von der Rohheit herauf zu Verstand und Sitte zu bilden,
Hab ich, unsterblich euch den Sterblichen liebend gegeben.
Habt ihr, treu dem Beruf, des Vaters Willen vollzogen?
Was wir konnten, thaten wir, Vater! wir suchten der Rohheit
Sie zu entreißen und Künst und Sitten den Wilden zu geben:
In der Sterblichen Thal sind unsre Rosen gepflanzet,
Blumen säeten wir auf ihre schweigenden Gräber,
Wafnen wollten wir sie mit unsrer himmlischen Weisheit
Gegen die Furcht der Natur und gegen die Schrecken des Todes,
Lehren wollten wir sie den Feind im Busen bekämpfen,
Und erobern den Weg zu dir, Unendlicher! Viele
Söhne zeugten uns laut und nahmen die goldene Lehre
Dankbar und liebevoll auf in die freudigwillige Seele.
Manche zeugen uns noch; Ja ich bekenn’ es, Kronion!
Aber die Lästerung sperrt den Pfad den wenigen Edlern,
Und der Besseren Ruf verhallet vor dem Getöse
Wilden Pöbelgeschreys – „Worinn verklagt euch die Lästrung“?
Uns die Lehrerinnen der sterblichen Menschen verschreyt sie
Als Erinnyen; Gift sey unsre Lehre, wir lösen
Sitt’ und Recht und Glück, und morden den Frieden der Menschen,
Ja wir vernichten sogar die Hofnungen über den Urnen;
Also zischet im Winkel nicht mehr, so rauscht die Verläumdung
Durch die Straßen am Tag mit ihrer ehernen Zunge.
Was unbändige Lust und tolle Neigung verschulden,
Was für Unheil der Mensch dem Menschen selber bereitet,
Aufruhr, Völkerkriege mit Völkerführern, der Bürger
Wechselmorde, den Sturz der Thronen, der Tempel Entweihung,
Alles wälzet sie, selbst die Erinnys, mit schuldiger Zunge
Uns Unschuldigen zu; sie dränget sich frech an die Großen,
Stürmt in ihr furchtsames Ohr, und ruft der Gewaltigen Arme
Gegen uns auf, und Acht und Bann und Fesseln bedräun uns.
Nein! Wir dulden es länger nicht mehr. Wir haben mit Irrthum,
Mit Unwissenheit oft und ihren Priestern gekämpfet,
Hier kämpft Bosheit uns an, und wir erliegen ihr endlich,
Wenn die getäuschte Gewalt der Feigen den herrschenden Arm leiht“.
Klio schwieg, es schwiegen um sie die traurenden Schwestern,
Auch der olympische Fürst schwieg Augenblicke; da stand er
Auf vom goldenen Thron und die ambrosischen Locken
Wehten säuselnd um ihn, dann neigt’ er sein liebendes Antlitz:
„Was ihr, Selige, klagt, war meinem kundigen Auge
Nimmer verborgen; Es herrscht durch das Vergangne, das Nahe
Und das Künftige! Traget des Schicksals Willen geduldig,
Gleichet dem Vater an Güte, wie ihr in Weisheit ihn nachahmt.
Schmäht Unwissenheit euch, so schmäht sie selber den großen
Vater der Weisheit in euch, und wäre sie Bosheit – verzeiht ihr!
Schmähungen reichen nimmer an meine unsterbliche Scheitel.
Kehret zur Erde zurück, mitleidige Göttinnen, sühnet
Die Verirrten euch aus durch stille duldende Liebe,
Um der Besseren Willen, der Treuen, kehret zurücke!
Um der Schlimmeren willen, der Lästerer, kehret zurücke,
Und erhaltet durch Treu, durch süße Liebe die Freunde,
Und gewinnet durch Lieb’ und durch Verzeihung die Feinde!
Geht! Mein Segen mit euch! und sät in die Zeiten der Zukunft
Guten Saamen, es reift das Gute, das Große nur langsam,
Aber es reift gewiß zur herrlich erquicken den Aernte!
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