Schönheitssinn
Im Herzen ruhet tief verborgen,
Was jeder spürt, und keiner kennt.
Es regt sich, wenn am jungen Morgen
In Gold des Aethers Blau entbrennt.
Wir fühlen’s, wenn der Abend sinket,
Wenn sich die braune Nacht uns naht,
Wenn Luna’s sanftes Auge winket,
Umgaukelt’s der Gefühle Pfad.
Es ist ein wunderbares Wesen,
Und scheint aus Aethersduft gewebt,
Ein Räthsel — keiner kann es lösen,
Was auch die Sehnsucht sich bestrebt.
Wenn seine Zauber um uns schweifen,
Sucht es umsonst der irre Blick,
Die Sehnsucht heißt, den Schatten greifen,
Dann tritt er geistergleich zurück.
Doch treibt ein schmerzlich süßes Streben
Uns fort, nach dem Geheimen hin,
Es anzuschaun in That und Leben,
Und deutlich dargestellt dem Sinn.
Oft glauben wir, es zu erblicken,
Wenn uns der Schönheit Zauber winkt.
Dann füllt uns himmlisches Entzücken,
Und jeden Schmerzes Spur versinkt.
Wenn hergesandt von Himmelshöhen,
Die Schönheit der Gestalt sich zeigt,
Wenn wir des Künstlers Werke sehen,
Dem sich die Grazie liebend neigt,
Wenn bey des heil’gen Dichters Tönen,
Das Herz mit Wonne sich erfüllt,
Dann schweigt des Busens banges Sehnen,
Und unser Streben ist gestillt.
Der Ruhe Rosenlippe neiget
Sich dann zu uns mit leisem Kuß,
Und aus des Herzens Tiefen steiget
Melodisch guter Geister Gruß.
Dann drücken nicht der Erde Lüfte
Des Geistes leichte Schwingen mehr.
Es wehen lieblich reine Düfte
Aus unbekannten Welten her.
Das Höchste scheint sich zu entfalten,
Die Gottheit liebend uns zu nahn,
Und über unser Seyn zu walten,
Zu ebnen unsers Lebens Bahn.
Sie scheint zu sich uns zu erheben,
Erhellt des Grabes öde Nacht,
Uns glänzt ein neues, schönes Leben,
Das die Vergänglichkeit verlacht.
So stillt das Schöne unser Streben,
Das jeder spürt und keiner kennt,
Deß Zauber ewig uns umschweben,
Das stets uns ruft, und nie sich nennt,
Das nie gestillte herbe Schmerzen,
Dem, der sich selbst verlor, gebiert,
Und das die kindlich treuen Herzen
Hinauf zum Thron der Gottheit führt.
Und nicht vergehn des Schönen Spuren,
Wenn es der Gegenwart entflieht,
Denn wie durch Sonnenglanz den Fluren
Ein lockig junger Lenz entblüht,
So keimt der höchsten Menschheit Blüthe
Nur bey des Schönen Strahl hervor;
Die Kraft, die einmal sie durchglühte,
Treibt sie zum Stamme hoch empor.
So wuchert in die fernsten Zeiten
Der Schönheit süßer Anblick fort;
So reiche Segnungen verbreiten
Des Dichters Bild und Ton und Wort;
So ist, was du, o Kunst, geboren,
Was die Begeisterung erzeugt,
Für die Unsterblichkeit erkoren,
Und wird von keiner Zeit gebeugt.
Als noch des Himmels blaue Ferne
Den Thron Unsterblicher umschloß,
Als frommer Glaube durch die Sterne
Des regen Lebens Odem goß,
Da jauchzten laut die ew’gen Zecher,
Wenn Hebe ihre Blicke fand,
Und höhre Wonne gab der Becher,
Gereicht von Ganimedes Hand.
Wohin nur Amors Augen flogen,
Da wich vor seinem Blick die Nacht,
Und nicht den Pfeilen, nicht dem Bogen,
Der Schönheit dankt’ er seine Macht.
Er wollt’ es, und in Lieb’ entglühte
Selbst Juno’s nie gebeugter Stolz.
Du lächeltest, o Aphrodite,
Und Jovis düstrer Ernst zerschmolz.
Du, der die Grazien gelächelt,
Vor allen hold, Aspasia,
Wenn deines Nahmens Wohllaut fächelt,
Sind uns noch süße Träume nah.
Noch schlägt, entglüht von schönerm Feuer,
Bey seinem Laut das Herz empor,
Und aus der Zeiten düsterm Schleyer
Glänzt deine Wohlgestalt hervor.
Noch lebt der greise Mäonide,
Noch blühet seiner Schöpfung Pracht,
Noch wird das Herz bey Pindars Liede
Zu hohen Thaten angefacht.
In ewig schönen Flammen glühet
Noch Sapho’s mächtiges Gefühl,
Und jede düstre Sorge fliehet
Noch bey des frohen Tejers Spiel.
Und wie die herrlichen Gestalten.
Die Aeschils Genius gebar,
Mit Majestät vorüber wallten
Vor der erstaunten Griechen Schaar,
So gleiten sie mit hoher Würde
Noch jetzt vor unserm Sinn vorbey,
Erleichtern unsers Lebens Bürde,
Und machen das Gebundne frey.
Noch labet uns Blandusia’s Quelle,
Wenn Trübsinn unser Blut vergällt,
Noch sehn wir auf des Lebens Welle
Geschaukelt Maro’s frommen Held.
Im magischen Gewirr erscheinet
Noch der Verwandelungen Schwarm.
Noch, wenn Ovid im Pontus weinet,
Ehrt unsre Thräne seinen Harm.
Wenn in der Zeiten regem Streben
Der Völker Ruhm die Welt vergaß,
So werdet ihr doch ewig leben,
Praxiteles und Phidias.
Zwar eure Werke sind versunken,
Doch ist ihr Wirken nicht zerstört,
Noch wird von eures Geistes Funken
Des Künstlers Seele neu verklärt.
Noch treiben eure hohen Nahmen,
O Zeuxis, o Parrhasius,
Zur Blüth’ empor des Schönen Saamen,
Sie schenken uns der Frucht Genuß.
Sie weichen nicht der Zeiten Fluthen,
Kein Schicksal hemmet ihre Macht,
Sie lodern noch in Guido’s Gluthen,
Sie leuchten aus Correggio’s Nacht.
So wuchert in die fernsten Zeiten
Der Schönheit süßer Anblick fort,
So reiche Segnungen verbreiten
Des Dichters Bild und Ton und Wort.
So ist, was du, o Kunst, geboren,
Was die Begeisterung erzeugt,
Für die Unsterblichkeit erkoren,
Und wird von keiner Zeit gebeugt.
Dort, wo zu grausen Ueberhängen
Sich auf die Felsenmasse thürmt,
Wo durch die Wände, die ihn drängen,
Der Gießbach wild hernieder stürmt,
Wo kärglich klimmend nur der kühne
Epheu dem Boden sich entstahl,
Dort führt, bedeckt von seiner Grüne,
Ein Pfad zu einem schönen Thal.
Es wird von hoher Linden Zweigen
Mit süßer Dämmerung umgraut,
Ihm störet nie der Ruhe Schweigen
Der Stürme schreckenvoller Laut;
Nur den Gesang der Nachtigallen
Lallt Echo’s zarte Stimme nach,
Ein Zephyr heißt die Blüthen fallen,
Und schaukelt sich im grünen Dach.
Da blühn aus milder Wiesen Matten
Die Blumen üppig schön empor,
Die nie vor Phöbus Strahl ermatten;
Dort bricht ein Silberquell hervor.
Er spielt mit lieblichem Gekose
Hin durch der Auen frisches Grün,
Die Blumen nicken seinem Schooße,
Und sehn entzückt, wie schön sie blühn.
Hier, wo des jungen Grases Keime
Vor mir kein Menschenfußtritt bog,
Wo durch die dunkelhellen Räume
Noch nie der Ton der Klage flog,
Wo tosend nie des Lehens Welle
An rauhen Felsen sich ergießt.
Wo sie so sanft und silberhelle,
Wie aus der dunkeln Quelle fließt;
Hier will ich einen Altar gründen,
Und ihn dem Dienst des Schönen weihn,
Hier soll des Lenzes Wehn mich finden,
Verborgen, ungestört, allein;
Zufriedenheit soll mich begleiten,
Und wundersüßer Träume Lust,
Es soll kein Zweifel sie bestreiten,
Kein Gram bekämpfen meine Brust.
In tiefes Schauen zu versenken
Den reinen Blick, den reinen Sinn,
Mit Harmonie das Herz zu tränken,
Sey meiner Einsamkeit Gewinn;
Und reich an hohen Idealen,
Die ihre Götterbrust genährt,
Wird mir die Kunst entgegen strahlen.
Die nur die reinen Herzen hört.
Von ihr wird jeder Schleyer fallen,
Und das Geheimste werd’ ich sehn,
In allen ihren Reizen, allen,
Wird die Geliebte vor mir stehn.
Ihr Anblick wird mich neu beseelen,
Und ihrer Götterstimme Laut
Wird mächtig meine Kräfte stählen,
Zu singen, was ich angeschaut.
Wird dann der Nordwind sich erheben,
Welkt dann der Blätter Reichthum ab,
Dann trag’ ich in das rege Leben
Zurück den leichten Wanderstab,
Und aus dem unbekannten Thale
Bring’ ich den kindlich reinen Sinn,
Und meine tausend Ideale
Mit zu der Menschen Hütten hin.
Sie mit dem Leben zu versöhnen,
Enthüll’ ich, was im Herzen glüht,
Und lieblich zeigt das Bild des Schönen
Der Wohllaut, der der Lipp’ entflieht.
So still’ ich dann ihr reges Streben,
Das jeder spürt und keiner kennt,
Deß Zauber ewig uns umschweben,
Das stets uns ruft und nie sich nennt.
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