Nausikaa

Auf moosigem Stein, an Baches Rand
Sitzt rastend ein Magister,
Homerum hält er in der Hand
Und von Odysseus liest er.
Jetzt schaut er auf und spitzt das Ohr;
Denn aus den Erlen schallt’s hervor:
Plitsch, platsch,
Klitsch, klatsch!
Er schleicht sich durch die Hecken,
Die Ursach’ zu entdecken. –

Da wo der Bach vom Felsen stürzt,
Und klar die Wellen rinnen,
Steht unbeschuht und hochgeschürzt
Ein Mägdlein und wäscht Linnen.
Der Herr Magister kommt ihr nah
Und ruft entzückt: „Nausikaa!“
Plitsch, platsch,
Klitsch, klatsch!
Sie zeigt die weissen Zähne
Und lacht: „Ich heisse Lene.“

Und ernsten Tons der andre spricht:
„Belehrung kann nur frommen.
Hast von Nausikaa du nicht
Und von Ulyss vernommen?“
Sie schüttelt mit dem Kopf und lacht:
„So fangt nur an, ich gebe acht.“
Plitsch, platsch,
Klitsch, klatsch!
„Ich will auch gerne hören,
Nur dürft Ihr mich nicht stören.“

„Odysseus lag auf Scheria
Schiffbrüchig am Gestade,
Das Königskind Nausikaa
Hielt grosse Wäsche grade.
Sie war so schön und jung wie du,
Und fleissig war sie auch dazu.
Plitsch, platsch,
Klitsch, klatsch!
Odysseus hat’s vernommen
Und ist herangekommen.

Er warf sich auf den Grund und schrie:
‚Erbarme dich, erbarme!‘
Dabei umschlang er ihre Knie,
So wie ich dich umarme!“
Magisterlein die Magd umschlingt,
Die Magd den nassen Lappen schwingt –
Plitsch, platsch,
Klitsch, klatsch!
Drob musste ihm vergehen
Das Hören und das Sehen.

Er ging und kratzte sich im Haar,
That hinter’s Ohr sich schreiben:
Mit Wäscherinnen bringt’s Gefahr
Die Odyssee zu treiben.
Den übeln Dank, der ihm geschah
Von seiten der Nausikaa –
Plitsch, platsch,
Klitsch, klatsch!
Von uns der Himmel wende!
Hier ist die Mär zu Ende.

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