Im Theater des Dionysos
Mählich erblaßte das Licht um Salamis' zackige Klippen,
Während die Sonne versank in das Aegäische Meer;
Hell nur leuchtete noch der honigberühmte Hymettus
Und die Cekropische Burg hoch auf dem Felsengestein.
Um mich lagen verwirrt zerbröckelnde Tempelgesimse,
Säulen von dorischer Pracht, Trümmer auf Trümmer gehäuft.
Kaum zu erkennen vermochte der Blick in dem Schutte die Stufen,
Drauf das Athenische Volk Haupt sich zum Haupte gedrängt,
Wenn das Theater dem Donner von Aeschylus' Worten erdröhnte,
Wenn es wie Weihrauchduft Sophokles' Odem durchzog.
O wie sind sie verklungen, die herrlichen Chöre der Meister!
O wie liegst du gestürzt, heiligster Tempel der Kunst!
Wo sich die Thymele hob, nicht weiß ich die Stätte; es haben
Zwei Jahrtausende Staub auf die Orchestra gehäuft. –
Während ich saß und das Auge bethränt auf den Trümmern mir ruhte,
Schweifte die Seele zurück in Perikleische Zeit.
Wechselnd schwebten vor mir die erhabnen Gestalten der Dichter,
Welche zu Thränen wie Lust hier die Athener bewegt;
Bald in unsterblichem Weh den titanischen Dulder mir malt' ich
Ueber dem Weltabgrund ringend am Scythischen Fels,
Bald den thebäischen König, wie blind er am Arme der Tochter,
Thronlos, heimatlos Länder und Städte durchirrt.
Also sann ich und preßte die Stirn auf verwitterten Marmor;
Einzig die Seele noch sah, aber das Auge nicht mehr.
Horch, auf einmal, da was hör' ich? Ein Rauschen, dem Sturm gleich,
Wenn er im Pinienwald Wipfel und Aeste durchsaust!
Schnell mich raff' ich empor, und siehe! verwandelt ist alles;
Statt der Trümmer umher ragt ein unendlicher Bau;
Hallen und fliegende Treppen und rings in den Nischen gewahr' ich
Bilder, wie Phidias sie parischem Marmor entlockt.
Aufwärts steigen zu Seiten mir Sitzreihn, Stufen an Stufen,
Tausende drängen sich drauf in der hellenischen Tracht;
Weihrauch quillt vom Altar, im Festschmuck leuchtet die Scene,
Und zu dem Chorlied schallt lieblich der Flöten Getön.
Schweigen verbreitet sich rings; fast hör' ich das Atmen der Menge;
Grauen der Dämmerung sinkt über die Bühne dahin.
Langsam steigt und umhüllt von faltigen grauen Gewanden,
Sieh! durchs stygische Thor zitternd ein Schatten herauf.
Blutlos, bleich das Gesicht, an der Brust tiefklaffend die Wunde,
Murmelt ein Rachegebet dumpf das ermordete Weib:
»Kinder des Abgrunds, auf! Daß nicht euch der Frevler entrinne,
Welcher den Busen durchbohrt, der ihn als Knaben gesäugt!«
Hohl tönt also die Stimme der Hades-Entstiegenen – grausig
Zu der Erinnyen Ohr dringt in das Dunkel der Ruf.
Sich in der Tiefe zu regen beginnt's; schlaftrunkenen Taumels
Heben die Töchter der Nacht stöhnend das finstere Haupt,
Eine die andre zu wecken; mit Grimm und wüstem Geheule,
Geißeln in Händen, empor stürmt die entsetzliche Schar.
»Auf, ihn zu jagen, ihr Schwestern! Wohin mordtriefend er fliehn mag,
Ueber die Länder, das Meer folgt ihm in hastigem Sprung!«
Und, sich die Brüste zerschlagend, mit weit aufstarrenden Blicken,
Wälzt sich in Beutebegier fort der mänadische Chor –
Irrend, das Haupt umnachtet von Wahnsinn, naht sich indessen
Schwankenden Schrittes Orest Attikas glücklichen Aun.
Leuchtend im Frühlicht steigen aus lachendem Grün der Olive
Heilige Tempel vor ihm, Bilder der Götter empor.
Mild schon lichtet ein Strahl ihm die nächtig umdunkelte Seele;
Doch wie die Meute dem Wild, stürmen die Furien ihm nach,
Murmeln ins Ohr ihm den Fluch der erschlagenen Mutter und ziehen
Wilden Getümmels um ihn enger und enger den Kreis.
Siehe! da schwebt durch die Luft, auf dem Goldschild ruhend die Rechte,
Helmbuschprangenden Haupts Pallas Athene herab.
Hoch in der Rechten den Speer, vor Huld sich dem Flehenden neigend,
Ruft zum Gericht sie das Volk ihrer geheiligten Stadt.
Schmetternd ertönt die Drommete; heran zu dem Tempel der Göttin,
Sich auf den Stufen zu reihn, wallen die Männer Athens.
Ernst hebt an das Gericht; nach unvordenklicher Satzung
Heischen die Töchter der Nacht Blut für vergossenes Blut;
Aber der Jüngling fleht um die sühnende Gnade der Götter,
Die wie erquickender Tau mild sich vom Himmel ergießt.
Lang nachsinnen die Richter, bevor sie entscheiden; vom Herold
Werden die Lose gezählt, die in die Urne gerollt;
Gleich sind die schwarzen an Zahl und die weißen; Orestes, der bange,
Weiß nicht, ist er erlöst, ist er für immer verdammt –
Aber die Göttliche legt in die Urne das Los der Befreiung,
Und auf den Schützling senkt sanft sie die strahlende Stirn.
So denn sind sie bezwungen, die düsteren Mächte der Vorwelt;
So hat Milde gesiegt über das starre Gesetz.
Jeglicher Fluch ist gesühnt; durch die prangenden Hallen des Tempels
Schreiten Athens Jungfraun, Kränze von Myrten im Haar,
Feiern mit Hymnen die neuen olympischen Götter, die heiter
Ueber der Schicksalsnacht walten im ewigen Licht;
Und auf den Stufen umher aus den Blicken der Schauenden leuchtet
Andacht; jeglicher Mund murmelt ein frommes Gebet.
Mählich verklangen die Chöre; der Festzug schwand in den Tempel,
Doch in der Seele noch lang tönte die Dichtung mir nach,
Während wie Wogengebraus mich der Tausende Stimmen umhallten,
Welche mit jubelndem Ruf kündeten Aeschylus' Sieg.
Kühl da fühlt' ich ein Wehn mir die Schläfe berühren; ich fand mich,
Als ich die Augen erschloß, wieder auf nacktem Gestein.
Trümmer, wohin ich nur sah; im Frührot glühte der Himmel,
Her von Joniens Strand morgendlich hauchte der Ost,
Und mir über dem Haupte, den Marmorspalten entsprossen,
Rauschte, vom Winde bewegt, wildes Olivengesträuch.
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