Das Konfirmationskleid

In Nordberlin, im Hinterhaus vier Treppen,
wohnt ein Student. Er war nicht reich; doch arm,
blutarm war seine Wirtin, eine Witwe.
Die sass in ihrem düstern Hinterstübchen,
und vor ihr stand bekümmert ihre Tochter,
das bleiche, hübsche, vierzehnjähr’ge Gretchen.
Sie stand vor ihr, als wär’ sie schuldbewusst,
und liess das Köpfchen hängen; ihre Mutter
schalt auf sie ein mit ihrer harten Stimme:

»Ein neues Kleid! Zur Konfirmation!
Für’n lieben Gott! Was? – Frag doch mal den Pastor,
ob denn auch die, die nicht mal so viel Geld
bekamen, um in einem ganzen Kleide
des Sonntags in die Kirche gehn zu können,
ob denn auch die an Gott noch glauben müssten!
Geh, frag ihn … aber bitt mich nicht um Geld
Und Kleider … freu dich, wenn du nicht verhungerst …«

Und weinend wendet Gretchen sich zur Thür.
Da kommt ihr ein Gedanke. »Mutter«, ruft sie,
»ich will den Herrn Doktor bitten – Mutter!
Was lachst du?« – »Das ist recht! Nur zu!
Es muss ja doch mal kommen. Geh nur hin!« –
»Ich glaube, Mutter, dass er’s thut.« – »Gewiss
Er wäre ja ein Narr, wenn er sich zierte!«
Und wieder lacht sie bitter höhnisch auf.
Ein Bangen vor der Mutter fasst das Kind.
Es geht hinaus und leise, schüchtern klopft es
an des Studenten Thür. »Herein!« Und zagend,
errötend überschreitet sie die Schwelle:
sie hat noch nicht gebettelt. –

»Gretchen! Du? –
So komm doch näher, Kind … was giebt es denn?
Was hast du denn? O sieh – du hast geweint!
Gieb mir die Hand: wer hat dir was gethan?« –
Und freundlich fasst er ihre Hand und schaut
in ihre grossen braunen Augen. Flehend,
doch ohne Scheu sind sie auf ihn gerichtet.
Und langsam sagt sie: »Nächsten Sonntag schon …
am Ostersonntag werd ich eingesegnet …
und alle kommen hin in schwarzen Kleidern …
in neuen schwarzen Kleidern … aber ich …
ich bat die Mutter … Ach, wir sind so arm!«
Von jähem Mitleid mit sich selbst bewältigt,
bricht sie aufs neu in heisse Thränen aus,
und, wie nach Tröstung suchend, fasst sie fester
die Hand des jungen Mannes.

»Gretchen! Komm:
sei still!« Und ihre linke Hand, mit der
sie ihre Thränen trocknet, zieht er sanft
herab. – »Ich schenk es dir, das schwarze Kleid!«

Dann aber stösst er sie fast rauh von sich:
»Ich habe noch zu thun … Komm! Sei gescheit!
Lass meine Hand … Ich habe noch zu thun …«
– – – – – – – – – – – – – –
Am Ostermontag früh – es war bald drei –
kam der Student, der heut im Kreis der Freunde
das Fest, wie sichs gebührt, gefeiert hatte,
vergnügt und aufgeräumt nach Hause.

Tastend sucht er auf seinem Nachttisch nach dem Feuer.
Er streicht ein Zündholz an – »Was?« Alsogleich
lässt er es wieder fallen. »Was war das?« –
’s ist wieder dunkel. »Bin ich denn bezecht?«
Und wiederum streicht er ein Zündholz an.
Doch diesmal zittert seine Hand. Er sieht
nicht auf das Bett, bevor die Kerze nicht
brennt – »Himmel!«
Auf dem offnen Bette liegt
in festem Schlafe Gretchen: noch geschmückt,
wie sie es Gott zu Ehren that. Das Kleid
ist aufgeknöpft – in ihrem Schosse liegt
noch der verwelkte Strauss, und heitrer Friede
ruht auf dem zarten Antlitz. Halb geöffnet
sind ihre Kinderlippen, und ein Traum
spielt wie ein Blütenduft um diese Lippen …

Minutenlang betrachtet er dies Bild,
starr, ohne Denken. Glühend heiss fühlt er
das Blut in seinen Adern, wieder dann
spürt er ein eiskalt Schauern bis ins Mark.
Doch dann besinnt er sich und fährt sich über
die Stirne mit der Hand und sucht zu lachen.

»Gretchen!« Sie lächelt still im Traume. »Gretchen!«
Sie fährt empor – der Friede ist gewichen,
und Schreck und Scham malt sich auf ihren Wangen.
»Mein liebes Kind, wie kommst du denn hieher?
Hast du im Zimmer dich geirrt?« – Sie hält verwirrt
ihr Kleid zusammen, senkt das Köpfchen. »Nein,«
sagt sie, »die Mutter schickte mich hierher.
Ich sollte Sie erwarten … Ihnen danken …
Sie hätten’s so gewünscht –«

»Ich?! – Doch, jawohl …
Ich … wollte dich noch sehn in deinem Kleide,
ich dachte nicht … es ist so spät geworden,
und dann, der … der Pastor gab euch jedem doch
ein Bibelwort, – nicht wahr? Wie hiess denn deins?«

Sie knöpft an ihrem Kleide. »Selig sind,
die reines Herzens sind.« Sie sitzt und knöpft
an ihrem Kleide.

»Komm, nun geh hinüber.
Und schlafe weiter: bist gewiss recht müde.«
Er führt sie an der Hand zur Thür. Da tritt
die Alte ein.

Sie lacht – verächtlich fast:
»Sie woll’n sie nicht? Auch gut. Es kommt ein andrer …
der andere, der immer kommt. Gut Nacht!
Wir wollten uns nicht lumpen lassen … Komm!« –

Und hinter ihnen fällt die Thür ins Schloss.

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