Textarchiv - Georg von Ompteda https://www.textarchiv.com/georg-von-ompteda Deutscher Schriftsteller. Geboren am 29. März 1863 in Hannover. Gestorben am 10. Dezember 1931 in München. de Die Uhr https://www.textarchiv.com/georg-von-ompteda/die-uhr <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Im Café am Potsdamerplatz,<br /> Wo die Menschen vorüberfluten,<br /> Wo sich staut die treibende Menge,<br /> Sitze ich oft, seitab vom Gedränge,<br /> Wärme mich in den Sonnengluten,<br /> Lasse die Blicke hinübergleiten,<br /> Sehe die Mädel vorüberschreiten,<br /> Sei es allein auf flüchtigen Sohlen,<br /> Sei es heimlicherweise, verstohlen,<br /> Wenn sie erwarten den Freund, den Schatz<br /> An der Normaluhr zum Stelldichein …<br /> Schräg gegenüber im Sonnenschein<br /> Blinkt das Zifferblatt über den Platz …</p> <p>Sass ich dort oft wohl eine Stunde,<br /> Blickte träumend rings in die Runde:<br /> Immer wenn es ein Viertel war,<br /> Traf sich dort drüben ein liebendes Paar.<br /> Und so ging es die Viertel fort,<br /> Als gäbe es gar keinen anderen Ort,<br /> Zu treffen sich in der Riesenstadt,<br /> Als das einzige Zifferblatt!</p> <p>So gegen 7 erschien dann immer<br /> Ein kleines, niedliches Frauenzimmer,<br /> Ein blutjunges, frisches, herziges Ding.<br /> Trippelnd auf und nieder sie ging,<br /> Aeugte verschämt nach allen Seiten.<br /> Immer scheu im Vorüberschreiten<br /> Sah sie zur Uhr, bis endlich er kam<br /> Und sie am Arme mit sich nahm.</p> <p>Er war gross und schlank von Gestalt,<br /> Zwanzig und etliche Jahre alt.<br /> Blonder Schnurrbart und blondes Haar:<br /> Es war ein hübsches, ein stattliches Paar.<br /> Das erste Mal, als ich sie gesehen,<br /> Blieben sie eine Weile stehen:<br /> Förmlich war er zu ihr und gemessen,<br /> Hatte zu grüssen auch nicht vergessen!<br /> Langsam darauf davon sie schritten,<br /> Nebeneinander … nicht eingehenkt,<br /> Seite nicht an Seite gedrängt,<br /> Als ginge die Mutter in ihrer Mitten!</p> <p>Doch mit der Zeit ward er vertraut,<br /> Hat ihr keck in die Augen geschaut,<br /> Grüsste sie kaum, nahm sie gleich beim Arm,<br /> Tauchten unter im Menschenschwarm!</p> <p>War er zuerst ganz pünktlich erschienen,<br /> Wartete bald sie mit finsteren Mienen!<br /> Einmal kam er gar erst halb acht;<br /> Immer noch hielt sie drüben die Wacht!<br /> Er sagte etwas … sie sprach kein Wort:<br /> Stumm schritten sie dann des Weges fort.<br /> Und endlich einmal, als es acht schon gar,<br /> Er immer noch nicht gekommen war!<br /> Da schlich sie davon. Hinüberzuspähn<br /> Blieb auf dem Trottoir sie neben mir stehn.<br /> Sie wischte die Wange mit zitternder Hand,<br /> Das Wasser ihr in den Augen stand.</p> <p>Dann sah ich noch zweimal sie wiederkommen,<br /> Zwar hat er sie immer noch mit sich genommen,<br /> Doch gingen sie ernst, von einander weit,<br /> Wie ich sie gesehn in der ersten Zeit,<br /> Als ob zwischen ihnen, in ihrer Mitte,<br /> Die Reue mahnend und trennend schritte!</p> <p>Und eines Tages, als ich wieder sass<br /> Bei der Tasse Kaffee und die Zeitung las,<br /> Der Zeiger drüben auf sieben stand:<br /> Den Platz an der Uhr ich verlassen fand.</p> <p>Das war vor zwei Jahren, und wieder heute<br /> Sitze ich hier am gewohnten Platz,<br /> Begucke die Wagen, besehe die Leute,<br /> Lasse die Blicke hinübergleiten,<br /> Sehe die Mädel vorüberschreiten,<br /> Sei es allein auf flüchtigen Sohlen,<br /> Sei es nur heimlicherweise, verstohlen,<br /> Wenn sie erwarten den Freund, den Schatz!</p> <p>Wie ich drüben das Zifferblatt sehe,<br /> Denke ich an das blutjunge Ding,<br /> Das dort wartend und trippelnd ging,<br /> Das dem Manne am Arme hing.<br /> Mir wird um’s Herz ganz weich und wehe.<br /> Ich wärme mich in dem Sonnengeflirr,<br /> Ich schaue hinein in das Wagengewirr,<br /> In all das bunte Abendgeschwärm,<br /> Das Tramwaygeklingel, den Strassenlärm!</p> <p>Da plötzlich kommt ein Dogcart gerollt,<br /> Und Beifall hat mein Auge gezollt<br /> Dem schnittigen Gaul, der davor gespannt.<br /> Ich schütze mich gegen das Licht mit der Hand:<br /> Potztausend wie chic! Eine Dame lenkt<br /> Das flotte Gespann … wo in aller Welt<br /> Sah ich den Kopf … ihr »Heh« laut gellt!<br /> Scharf um die Ecke hat sie geschwenkt.</p> <p>Da fällt es mir ein … mich täuschte das Kleid<br /> Und das glitzernde, glänzende Ohrengeschmeid.<br /> Das gepuderte, leicht geschminkte Gesicht …<br /> Eine Dame! … Nein, so trägt die sich nicht!</p> <p>Im Strassengetriebe der Dogcart verschwand …<br /> Ich starrte ihm lange nach, unverwandt …</p> <p>Die Lichter brannten, und es ward Nacht,<br /> Mir war es, als habe mich angelacht<br /> Das Zifferblatt drüben, erleuchtet matt:<br /> Der Kuppler der grossen Riesenstadt!<br /> Mir war es, als grinste die Uhr mich an:<br /> Glaubst Du denn, dass ich dafür was kann?</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/georg-von-ompteda" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Georg von Ompteda</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1904</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/georg-von-ompteda/die-uhr" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Die Uhr" class="rdf-meta element-hidden"></span> Mon, 01 May 2017 07:26:15 +0000 admin 7686 at https://www.textarchiv.com