Textarchiv - Karl Kraus https://www.textarchiv.com/karl-kraus Österreichischen Schriftsteller. Geboren am 28. April 1874 in Jičín (WP), Böhmen. Gestorben am 12. Juni 1936 in Wien. de Gebet https://www.textarchiv.com/karl-kraus/gebet <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Du großer Gott, laß mich nicht Zeuge sein!<br /> Hilf mir hinab ins Unbewußte.<br /> Daß ich nicht sehen muß, wie sie mit Wein<br /> zur Not ersetzen ihre Blutverluste.</p> <p>Du großer Gott, vertreib mir diese Zeit!<br /> Hilf mir zurück in meine Kindheit.<br /> Der Weg zum Ende ist ja doch so weit,<br /> und wie die Sieger schlage mich mit Blindheit.</p> <p>Du großer Gott, so mach den Mund mir stumm!<br /> Nicht sprechen will ich ihre Sprache.<br /> Erst machen sie sich tot und dann noch dumm,<br /> es lügt ihr Haß, nimmt an der Wahrheit Rache.</p> <p>Du großer Gott, der den Gedanken gab,<br /> ihr Wort hat ihm den Rest gegeben.<br /> Ihr Wort ist allem Werte nur ein Grab,<br /> selbst Tat und Tod kam durch das Wort ums Leben.</p> <p>Du großer Gott, verschließ dem Graus mein Ohr,<br /> die Weltmusik ist ungeheuer!<br /> Dem armen Teufel in der Hölle fror,<br /> er fühlt sich wohl in diesem Trommelfeuer.</p> <p>Du großer Gott, der die Erfinder schuf<br /> und Odem haucht’ in ihre Nasen,<br /> schufst du die Kreatur zu dem Beruf,<br /> daß sie dir dankt mit ihren giftigen Gasen?</p> <p>Du großer Gott, warum beriefst du mich<br /> in diese gottverlassene Qualzeit?<br /> Strafst du mit Hunger, straflos setzte sich<br /> der Wucher zu der fetten Totenmahlzeit.</p> <p>Du großer Gott, warum in dieser Frist,<br /> wozu ward ich im blutigen Hause,<br /> wo jeder, der noch nicht getötet ist,<br /> sich fröhlich setzt zu seinem Leichenschmause?</p> <p>Du großer Gott, dies Land ist ein Plakat,<br /> auf dem sie ihre Feste malen<br /> mit Blut. Ihr Lied übt an dem Leid Verrat,<br /> der Mord muß für die Hetz’ die Zeche zahlen.</p> <p>Du großer Gott, hast du denn aus Gemüt<br /> Vampyre dieser Welt erschaffen?<br /> Befrei mich aus der Zeit, aus dem Geblüt,<br /> unseligem Volk von Henkern und Schlaraffen!</p> <p>Du großer Gott, erobere mir ein Land,<br /> wo Menschen nicht am Gelde sterben,<br /> und wo im ewig irdischen Bestand<br /> sie lachend nicht die reiche Schande erben!</p> <p>Du großer Gott, kennst du die Mittel nicht,<br /> die diese Automaten trennten,<br /> wenn sie sich trotz dem letzten Kriegsgericht<br /> bedrohen mit Granaten und Prozenten?</p> <p>Du großer Gott, raff mich aus dem Gewühl!<br /> Führ mich durch diese blutigen Räume.<br /> Verwandle mir die Nacht zu dem Gefühl,<br /> daß ich von deinem jüngsten Tage träume.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/karl-kraus" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Karl Kraus</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1920</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/karl-kraus/gebet" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Gebet" class="rdf-meta element-hidden"></span> Mon, 16 May 2016 22:00:02 +0000 akessler 1699 at https://www.textarchiv.com Wiese im Park https://www.textarchiv.com/karl-kraus/wiese-im-park <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Wie wird mir zeitlos. Rückwärts hingebannt<br /> weil’ ich und stehe fest im Wiesenplan,<br /> wie in dem grünen Spiegel hier der Schwan.<br /> Und dieses war mein Land.</p> <p>Die vielen Glockenblumen! Horch und schau!<br /> Wie lange steht er schon auf diesem Stein,<br /> der Admiral. Es muß ein Sonntag sein<br /> und alles läutet blau.</p> <p>Nicht weiter will ich. Eitler Fuß, mach Halt!<br /> Vor diesem Wunder ende deinen Lauf.<br /> Ein toter Tag schlägt seine Augen auf.<br /> Und alles bleibt so alt.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/karl-kraus" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Karl Kraus</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1920</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/karl-kraus/wiese-im-park" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Wiese im Park" class="rdf-meta element-hidden"></span> Wed, 11 May 2016 22:00:02 +0000 akessler 1693 at https://www.textarchiv.com Zwei Soldatenlieder https://www.textarchiv.com/karl-kraus/zwei-soldatenlieder <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>In einem totenstillen Lied<br /> vom Weh zum Wort die Frage zieht:<br /> Wer weiß wo.</p> <p>Wer weiß, wo dieses stille Leid<br /> begraben liegt, es lärmt die Zeit<br /> vorüber so.</p> <p>Sie schweigt nicht vor der Ewigkeit<br /> und stirbt und ist doch nicht bereit<br /> zur letzten Ruh.</p> <p>In einem lebenslauten Lied<br /> vom Wahn zum Wort die Frage zieht:<br /> Wer weiß, wozu!</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/karl-kraus" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Karl Kraus</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1920</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/karl-kraus/zwei-soldatenlieder" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Zwei Soldatenlieder" class="rdf-meta element-hidden"></span> Tue, 03 May 2016 22:00:01 +0000 akessler 1696 at https://www.textarchiv.com Wiedersehn mit Schmetterlingen https://www.textarchiv.com/karl-kraus/wiedersehn-mit-schmetterlingen <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Wie nach den Lebensnächten<br /> es prangt in neuen Prächten,<br /> vom Morgenthau benetzt!<br /> Was hebet aus den Grüften<br /> und letzt mit linden Lüften<br /> auch mich zuguterletzt?</p> <p>Es heilt das Herz vom Hirne<br /> und kühlt die kranke Stirne<br /> am jungen Tag gesund.<br /> Das strömt von andern Sternen<br /> und läßt die Liebe lernen<br /> auf einem grünen Grund.</p> <p>Der Welt war ich ein Riese.<br /> Ein Kind bin ich der Wiese.<br /> Nun ist’s wie dazumal.<br /> Dort drüben hinterm Berge,<br /> dort kämpfen feige Zwerge.<br /> Ich spiele in dem Thal.</p> <p>Hier, fern von Trug und Tadel,<br /> leiht Rittersporn den Adel,<br /> mein Muth ist Löwenzahn!<br /> Die Zeit mir zu begleiten,<br /> erzählt der Bach von Zeiten,<br /> die hat die Zeit verthan.</p> <p>Und daß ich wieder singe,<br /> erscheinen Schmetterlinge,<br /> o grenzenloses Glück!<br /> Auf einem Sonnenstrahle<br /> die stolzen Admirale,<br /> sie kehren mir zurück!</p> <p>War’s schwer, ihr Papilionen,<br /> auf dieser Welt zu wohnen?<br /> Verlort ihr diese Spur?<br /> Zusammen hier zu rasten,<br /> lockt uns ein Leierkasten,<br /> der spielt »Nur für Natur«.</p> <p>Wir junggewohnten Schwärmer,<br /> wir wurden arm und ärmer<br /> in der papiernen Pein.<br /> So sagt, ihr losen Lieben,<br /> wo wart ihr denn geblieben,<br /> und ließet mich allein?</p> <p>Der Walzer ist verflossen,<br /> wir waren Zeitgenossen,<br /> bleibt doch ein Weilchen stehn!<br /> Die Zukunft ist begraben,<br /> die fressen schon die Raben.<br /> Wann werden wir uns wiedersehn?</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/karl-kraus" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Karl Kraus</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1920</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/karl-kraus/wiedersehn-mit-schmetterlingen" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Wiedersehn mit Schmetterlingen" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sun, 10 Apr 2016 22:00:01 +0000 akessler 1700 at https://www.textarchiv.com Aus jungen Tagen https://www.textarchiv.com/karl-kraus/aus-jungen-tagen <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Nie kann es anders sein.<br /> Nun wirft mein Glaube keinen Schatten mehr.<br /> Von deinem großen Lichte kam er her,<br /> von des Geschlechtes rätselhaftem Schein.</p> <p>Nun bin ich ganz im Licht,<br /> das milde überglänzt mein armes Haupt.<br /> Ich habe lange nicht an Gott geglaubt.<br /> Nun weiß ich um sein letztes Angesicht.</p> <p>Wie es den Zweifel bannt!<br /> Wie wirst du Holde klar mir ohne Rest.<br /> Wie halt' ich dich in deinem Himmel fest!<br /> Wie hat die Erde deinen Werth verkannt.</p> <p>Du gabst dich zum Geschenk<br /> der Welt, ich hab es für dich aufbewahrt.<br /> Ich habe Gott den größten Schmerz erspart.<br /> Geliebte, bleibe deiner eingedenk!</p> <p>Wie glänzt mir deine Pracht.<br /> Dein Menschliches umarmt, der beten will.<br /> Er heiligt es im Kuß. Wie ist sie still<br /> von Sternen, deiner Nächte tiefste Nacht.</p> <p>Nie soll es anders sein.<br /> Ob alles Irdische zerbricht und stirbt,<br /> nur dein Zerfall ein geistig Glück verdirbt.<br /> Vergib dich an die Erde nicht, sei dein!</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/karl-kraus" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Karl Kraus</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1920</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/karl-kraus/aus-jungen-tagen" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Aus jungen Tagen" class="rdf-meta element-hidden"></span> Fri, 11 Mar 2016 23:00:01 +0000 akessler 1689 at https://www.textarchiv.com Vor einem Springbrunnen https://www.textarchiv.com/karl-kraus/vor-einem-springbrunnen <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Wie doch die Kraft das Wasser hebt!<br /> Es steigt und schwindet, schwillt und schwebt,<br /> es steht im Strahl, es kommt und fällt<br /> in diese nasse Gotteswelt,</p> <p>die zwecklos wie am ersten Tag<br /> bloß ihrer Lust genügen mag<br /> und von dem holden Überfluß<br /> an keine Pflicht verstatten muß,</p> <p>nur jener einen Macht sich beugt,<br /> die sie erschuf — zum Himmel steigt<br /> ihr Dank, ein immer, früh und spät,<br /> unendlich rauschendes Gebet.</p> <p>Das rauscht und raunt, das rinnt und rennt<br /> im daseinsseligen Element;<br /> es fällt empor und steigt herab —<br /> kalt ist die Sonne, heiß das Grab.</p> <p>Und da es lebt, indem es stirbt,<br /> das Licht noch um das Wasser wirbt:<br /> Der Geist, dem solche Lust gefiel,<br /> dankt ihr ein Regenbogenspiel!</p> <p>Ob auch die Schale überfließt,<br /> ob Alles sich in nichts ergießt:<br /> der Geist, der es besieht, gewinnt,<br /> und ob auch Lust und Zeit verrinnt.</p> <p>Und nichts besteht und Alles bleibt,<br /> dem heiligen Geiste einverleibt,<br /> der nah dem Ursprung, treu und echt<br /> fortlebt dem heiligen Geschlecht.</p> <p>Der Brunnen rauscht, nur ihm vertraut<br /> vom Jauchzen bis zum Klagelaut,<br /> dem ewigen Ton, der ihm nur sagt,<br /> daß hier die Lust die Welt beklagt,</p> <p>die ihre Lust zum Zweck verdarb,<br /> bis alles Licht des Lebens starb;<br /> die sich die eigene Liebe stahl<br /> und sich bestraft mit Scham und Qual.</p> <p>Noch fließt ein Quell, noch flammt ein Licht,<br /> noch streben beide zum Gedicht,<br /> noch steigt die Sehnsucht hoch empor,<br /> noch öffnet sich ein Himmelstor —</p> <p>noch wär' ich auf dem Regenbogen<br /> beinah mit dir dort eingezogen,<br /> daß nie verrinne Lust und Zeit.<br /> O schöne Überflüssigkeit!</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/karl-kraus" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Karl Kraus</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1920</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/karl-kraus/vor-einem-springbrunnen" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Vor einem Springbrunnen" class="rdf-meta element-hidden"></span> Thu, 03 Mar 2016 23:00:01 +0000 akessler 1690 at https://www.textarchiv.com Vision des Erblindeten https://www.textarchiv.com/karl-kraus/vision-des-erblindeten <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>So, Mutter, Dank! So fühl’ ich deine Hand.<br /> Oh, sie befreit von Nacht und Vaterland!<br /> Ich athme Wald und heimatliches Glück.<br /> Wie führst du mich in deinen Schoß zurück.</p> <p>Nun ist der Donner dieser Nacht verrollt.<br /> Ich weiß es nicht, was sie von mir gewollt.<br /> O Mutter, wie dein guter Morgen thaut!<br /> Schon bin ich da, wo Gottes Auge blaut.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/karl-kraus" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Karl Kraus</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1920</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/karl-kraus/vision-des-erblindeten" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Vision des Erblindeten" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sun, 07 Feb 2016 23:00:02 +0000 akessler 1697 at https://www.textarchiv.com Abschied und Wiederkehr https://www.textarchiv.com/karl-kraus/abschied-und-wiederkehr <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>O f f e n b a r u n g</p> <p>Löst sich die Lust von ihrem letzten Lohn,<br /> so klammert sich ans Herz ein Klageton.</p> <p>O ewiger Abschied ewiger Wiederkehr —<br /> wohin entrinnst du und wo kommst du her!</p> <p>Du Echo, das mit einer Nymphe ruft<br /> in der Geschlechter unnennbare Kluft!</p> <p>Du Stimme, die mit einer Nymphe weint,<br /> weil die Natur so trennt, was sie vereint —</p> <p>Schmerzvoller Nachhall der Unendlichkeit!<br /> Du Angst des Blickes in die Endlichkeit!</p> <p>Durch alle Schöpfung blutet dieser Riß —<br /> Echo klagt immer wieder um Narziß.</p> <p>Hat es der Schöpfer denn gewollt, gewußt?<br /> Lust so von Lust verkürzt, ergibt Verlust.</p> <p>Lebendige Lust, du klagst am Sarg der Lust,<br /> von deren Tod du selber sterben mußt.</p> <p>Du Grabwind, Leid und Lied zum eignen Grab,<br /> du willst nicht in den finstem Tag hinab.</p> <p>So leuchtend war die Nacht; der Tag ist grau.<br /> Entläßt die Nacht den Tag, so weint sie Thau.</p> <p>Stumm ist die Wonne, der das Wort entspringt.<br /> Lust weckt den Geist, der ihr kein Wort entringt.</p> <p>Du letzter Laut, der mir von weit her spricht,<br /> mir wird die Sprache, du bist das Gedicht!</p> <p>Du reichstes Glück, das im Gewinn verlor,<br /> du größte Kraft, die an der Glut erfror,</p> <p>du Augenblick der Liebestodesangst,<br /> der du dich selber zu verlieren bangst —</p> <p>verweile Augenblick, du bist so schön!<br /> Ich sag's zu ihm. Ich hab das Aug gesehn!</p> <p>L e g e n d e</p> <p>Doch ist er fort. Sie hat ihn mitgenommen<br /> beim Abschied ihrer selbst. Ich stand beklommen.</p> <p>Wie alles Licht in Rauch und Nebel schwand —-<br /> ein armes Hündchen plötzlich vor mir stand.</p> <p>Sah zu mir auf und hatte ihren Blick.<br /> Ließ sie mir ihn als Unterpfand zurück?</p> <p>Und wie es wimmernd immer zu mir schaut,<br /> so war’s ihr Schmerz, so war’s ihr Klagelaut.</p> <p>Ihr Abschied war’s und war ihr Wiedersehn –<br /> die Zeit bleibt stehn, ein Wunder ist geschehn.</p> <p>Dies Auge, diesen Ton hab ich gekannt!<br /> Vergehendes ist in die Zeit gebannt.</p> <p>Die lustverlorne Göttin ward ein Schall;<br /> er rief mich aller Wände aus dem All.</p> <p>Nun ruf’ ich ihn zurück; ich warte hier –<br /> da ruft er mich verwandelt aus dem Tier.</p> <p>Wir kennen uns, ich und die Kreatur –<br /> es ist ein Wunder: glaubet, glaubet nur!</p> <p>Die letzte Spur vom Glück ist neues Glück.<br /> Das Echo ging, ein Echo blieb zurück.</p> <p>Leid klagt um Lust, ich klage um das Leid;<br /> nun ist es da, so ist die Lust nicht weit.</p> <p>Verlorner Lust verlorne Klage klingt.<br /> Ich höre nur, daß jetzt ein Engel singt.</p> <p>Verlorner Lust verlorner Ton ertönt.<br /> Ich sehe eine Seele, die sich sehnt</p> <p>und wiederkehrt. Der Abschied ist ein Spiel.<br /> Sie ging und suchte, bis sie hin zum Ziel,</p> <p>vorbei der Menschheit, irdisch unerkannt,<br /> den Weg durch ein verlornes Hündchen fand.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/karl-kraus" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Karl Kraus</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1920</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/karl-kraus/abschied-und-wiederkehr" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Abschied und Wiederkehr" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sun, 24 Jan 2016 23:00:01 +0000 akessler 1694 at https://www.textarchiv.com Verwandlung https://www.textarchiv.com/karl-kraus/verwandlung <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Stimme im Herbst, verzichtend über dem Grab<br /> auf deine Welt, du blasse Schwester des Monds,<br /> süße Verlobte des klagenden Windes,<br /> schwebend unter fliehenden Sternen —</p> <p>raffte der Ruf des Geists dich empor zu dir selbst?<br /> nahm ein Wüstensturm dich in dein Leben zurück?<br /> Siehe, so führt ein erstes Menschenpaar<br /> wieder ein Gott auf die heilige Insel!</p> <p>Heute ist Frühling. Zitternder Bote des Glücks,<br /> kam durch den Winter der Welt der goldene Falter.<br /> Oh knieet, segnet, hört, wie die Erde schweigt.<br /> Sie allein weiß um Opfer und Thräne.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/karl-kraus" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Karl Kraus</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1920</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/karl-kraus/verwandlung" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Verwandlung" class="rdf-meta element-hidden"></span> Thu, 14 Jan 2016 23:00:02 +0000 akessler 1692 at https://www.textarchiv.com Der Bauer, der Hund und der Soldat https://www.textarchiv.com/karl-kraus/der-bauer-der-hund-und-der-soldat <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>»Der Hund ist krank! Was fehlt dem armen Hunde?«<br /> »Er ist verwundet, Herr. Das ist der Krieg,<br /> und davon eben hat er seine Wunde.«<br /> Der Bauer sprach’s und streichelt’ ihn und schwieg.</p> <p>»Wie aber, wann und wo empfing die Wunde<br /> der arme Hund? Er kann ja gar nicht gehn!«<br /> »Herr, es ist Krieg und da ist es dem Hunde,<br /> er stand so da, da ist es ihm geschehn.</p> <p>Der Hund stand da und da kam ein Soldat,<br /> der ging vorbei und stach nach meinem Hunde,<br /> der keinem Menschen was zu leide tat,<br /> nie biß er wen, nun hat er seine Wunde.</p> <p>Seht ihn nur an, es war ein gutes Tier,<br /> er dient mir lang’, und in der weiten Runde<br /> der beste Schäferhund, er führte mir<br /> das Vieh allein, nun hat er seine Wunde.</p> <p>Seht, wie er hinkt. Das tut er seit der Stunde,<br /> da der Soldat vorbeikam, der Soldat,<br /> der stach nach meinem alten Schäferhunde,<br /> der keinen Menschen noch gebissen hat.«</p> <p>»Und warum, glaubt ihr, bracht’ er ihm die Wunde,<br /> der Mann dem Hund die schwere Wunde bei?<br /> Der Hund ist stumm, sein Blick befiehlt dem Munde<br /> für ihn zu sprechen, sprecht nur frank und frei.«</p> <p>»Wir wissen’s nicht. Doch wißt ihr’s selbst wie wir,<br /> daß Krieg ist. Mir und meinem armen Hunde<br /> und Gott und jedem Kind und auch dem Tier<br /> ist es bekannt, und Krieg schlägt jede Wunde.</p> <p>Ich sagt’s euch Herr, der Mann war ein Soldat<br /> und wer die Waffe hat, der schlägt die Wunde.<br /> Wißt ihr denn nicht, wie viel’s geschlagen hat<br /> in dieser gottgesandten Zeit und Stunde?«</p> <p>»So solltet ihr, daß er vom Schmerz gesunde,<br /> das arme Tier sogleich mit Gift vergeben.<br /> Erschießt ihr ihn, wißt ihr, daß eine Wunde<br /> auch Wohltat sei, und helft ihm aus dem Leben!«</p> <p>»Ach Herr, ich ließ’ es nimmermehr geschehn,<br /> ich kann nur leiden mit dem armen Hunde.<br /> ’s ist Krieg, ich kann ein Huhn nicht sterben sehn,<br /> ’s ist Krieg, da, wißt ihr, gibt es manche Wunde.</p> <p>Der Hund war gut, vorbei ist’s mit dem Hunde,<br /> seit der Soldat vorbeiging, ’s ist der Krieg.<br /> Man muß es nehmen, was sie bringt die Stunde.«<br /> Der Bauer sprach’s und streichelt’ ihn und schwieg.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/karl-kraus" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Karl Kraus</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1920</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/karl-kraus/der-bauer-der-hund-und-der-soldat" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Der Bauer, der Hund und der Soldat" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sun, 10 Jan 2016 23:00:02 +0000 akessler 1698 at https://www.textarchiv.com