Textarchiv - Friedrich Braumann https://www.textarchiv.com/friedrich-braumann de Wasserleiche https://www.textarchiv.com/friedrich-braumann/wasserleiche <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Am Landwehrkanal ein Menschenhaufen,<br /> Aus weiter Grossstadt zusammengelaufen,<br /> Und schrilles Geschrei – verworrene Rufe! –<br /> Auf der nassen untersten Treppenstufe<br /> Schlammüberzogenes Steingeviert<br /> Das Auge der müssigen Gaffer stiert<br /> Mit dem teilnahmlosen, widrigen Blick<br /> Der feilen Neugier an fremdem Geschick.<br /> Da unten aber, dem Wasser entrissen,<br /> Die dürftigen Kleider zerlumpt und zerschlissen,<br /> Von dem stinkigen, dumpfen Gewässer durchnetzt<br /> Von gierigen Fischen zerfressen, zerfetzt,<br /> Das Antlitz gedunsen und grün und blass,<br /> Die Haare durchzogen von Schlamm und Gras,<br /> Liegt starr ein armes Menschenkind,<br /> Ein Menschenkind, wie wir alle sind.<br /> Wie einst sie gewesen,<br /> Ich kann es nicht seh’n –<br /> Mein Gott, im Verwesen<br /> Ist niemand schön!<br /> Ob Elend sie in den Tod getrieben,<br /> Ob Schwäche der Seele, ob sündiges Lieben,<br /> Was schert mich das; ich seh’, wie fest<br /> Die Hand sie auf das Herz gepresst,<br /> Seh’ nur, wie diese Hand geballt,<br /> Die Nägel in das Fleisch gekrallt;<br /> Da weiss ich genug! Solch Zeichen schreibt<br /> Das Schicksal nur, das zum Tode treibt,<br /> Wenn nach marternden, qualvollen Kampfesstunden<br /> Die letzte Hoffnung dem Menschen geschwunden. –<br /> Ich seh’ erschüttert auf das Weib,<br /> Auf den unförmig wassergedunsenen Leib<br /> Und denke: „du Aermste, gepeitscht und gehetzt,<br /> Dein ganzes Leben vom Glücke gemieden,<br /> Im Tode nun endlich hast du erst jetzt<br /> Den langersehnten Frieden – – Frieden.“ –<br /> Und neben mir Frau Schulze spricht:<br /> „Ersäufen, nee, det tu’ ick mir nicht,<br /> Ick verjifte mir lieber stille zu Haus,<br /> Da seh’ ick nich nachher so eklig aus.“</p> <p>Nun wird die Leiche beiseite geschafft.<br /> Es fallen im Pöbel, der teilnamlos gafft,<br /> Viel Witzworte, grausam-gemeine.<br /> Ein Bursche, des seltenen Schauspiels froh,<br /> Ein Schusterjunge, pfeift frech und roh:<br /> „Fischerin, du kleine …!“</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/friedrich-braumann" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Friedrich Braumann</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1904</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/friedrich-braumann/wasserleiche" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Wasserleiche" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sun, 05 Apr 2015 01:11:12 +0000 akessler 901 at https://www.textarchiv.com