Textarchiv - Johann Christian Günther

In Ewigkeit

akessler — Tue, 19 May 2015 22:55:05 +0000

Bis die schwere Zunge stammelt,
Bis mich ein gedrungnes Haus
Zu der Väter Beinen sammelt,
Sprech ich deinen Namen aus;
Deine Schönheit, dein Gemüte,
Deine Tugend, deine Güte
Soll mit mir zu Grabe gehn.
Dich nur nochmals zu umfangen,
Will ich, wenn die Welt vergangen,
Wieder rüstig auferstehn.

Johann Christian Günther

1904

Lebensgenuss

akessler — Thu, 19 Mar 2015 04:24:03 +0000

Brüder, lasst uns fröhlich sein,
Weil der Frühling währet,
Und der Jugend Sonnenschein
Unser Laub verkläret;
Grab und Bahre warten nicht,
Wer die Rosen jetzo bricht,
Dem ist der Kranz bescheret.

Rasch entstürmt der Jahre Flucht
Mit verhängtem Zügel,
Und des Schicksals Eifersucht
Leiht dem Lenze Flügel.
Brüder! trinkt, noch ist es Zeit,
Eh’ der Herbstwind Blätter streut
Auf uns’res Grabes Hügel.

Wo sind jene, sagt es mir,
Die vor wenig Jahren,
Eben also, gleich wie wir,
Jung und fröhlich waren?
Ihre Leiber deckt der Sand,
Sie sind in ein fremdes Land
Aus dieser Welt gefahren.

Wer nach unsern Vätern forscht,
Mag den Kirchhof fragen:
Ihr Gebein, das längst vermorscht,
Wird ihm Antwort sagen.
Uns auch, Brüder, kann man bald,
Eh’ die Morgenglocke schallt,
In uns’re Gräber tragen.

Darum lasst uns fröhlich sein,
Weil der Frühling währet,
Und der Jugend Sonnenschein
Unser Laub verkläret:
Grab und Bahre warten nicht;
Wer die Rosen heute bricht,
Dem ist der Kranz bescheret.

Johann Christian Günther

1904

Der Geliebten

akessler — Sat, 14 Mar 2015 17:59:25 +0000

So wisst einmal, ich bin verliebt,
Und zwar in so ein Kind,
Das mir erst Lust zu leben giebt,
So schwer die Zeiten sind.
Sein Kuss ist meiner Seele Kraft
Und hat an süsser Glut
Fast aller Schönen Eigenschaft,
Nur nicht den Wankelmut.

Es schwächt mir weder Geist noch Leib.
Was denen sonst geschieht,
Die Amors stiller Zeitvertreib
Am Narrenseile zieht:
Es redet mir in Lust und Leid
So klug als freundlich ein,
Und lässt mich in der nächsten Zeit
Des Unsterns Meister sein.

Ach Hoffnung! Ach du Engelsbild,
Du meiner Güter Rest!
Ach komm und bleib mein starker Schild,
Da alles schlägt und presst!
Komm, flicht uns unsern Hochzeitschmuck
Von deinem Wintergrün!
Der Tod, sonst nichts ist stark genug
Ihn wieder abzuziehn.

Johann Christian Günther

1904