Textarchiv - Annette von Droste-Hülshoff https://www.textarchiv.com/annette-von-droste-huelshoff Deutsche Schriftstellerin. Geboren am 12. Januar 1797 auf Burg Hülshoff bei Münster. Gestorben am 24. Mai 1848 in Meersburg. de Am Allerheiligentage https://www.textarchiv.com/annette-von-droste-huelshoff/am-allerheiligentage <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Selig sind im Geist die Armen,<br /> Die zu ihres Nächsten Füßen<br /> Gern an seinem Licht erwarmen<br /> Und mit Dienerwort ihn grüßen,<br /> Fremden Fehles sich erbarmen,<br /> Fremden Glückes überfließen:<br /> Ja, zu ihres Nächsten Füßen<br /> Selig, selig sind die Armen.</p> <p>Selig sind der Sanftmut Kinder,<br /> Denen Zürnen wird zum Lächeln<br /> Und der Milde Saat nicht minder<br /> Sprießt aus Dorn und scharfen Hecheln,<br /> Deren letztes Wort ein linder<br /> Liebeshauch in Todesröcheln,<br /> Wenn das Zucken wird zum Lächeln:<br /> Selig sind der Sanftmut Kinder!</p> <p>Selig sind die Trauer tragen<br /> Und ihr Brod mit Tränen tränken,<br /> Nur die eigne Sünde klagen<br /> Und der fremden nicht gedenken,<br /> An den eignen Busen schlagen,<br /> Fremder Schuld die Blicke senken:<br /> Die ihr Brod mit Tränen tränken,<br /> Selig sind die Trauer tragen!</p> <p>Selig wen der Durst ergriffen<br /> Nach dem Rechten, nach dem Guten,<br /> Mutig, ob auf morschen Schiffen,<br /> Mutig steuernd nach den Fluten,<br /> Sollte unter Strand und Riffen<br /> Auch das Leben sich verbluten:<br /> Nach dem Rechten, nach dem Guten,<br /> Selig, wen der Durst ergriffen!</p> <p>Die Barmherzigen sind selig,<br /> So nur nach der Wunde sehen,<br /> Nicht erpressend kalt und wählig,<br /> Wie der Schaden mocht&#039; entstehen,<br /> Leise, schonend und allmählich<br /> Lassen drin den Balsam gehen:<br /> So nur nach der Wunde sehen,<br /> Die Barmherzigen sind selig.</p> <p>Überselig reine Herzen,<br /> Unbefleckter Jungfraun Sinnen!<br /> Denen Kindeslust das Scherzen,<br /> Denen Himmelshauch das Minnen,<br /> Die wie an Altares Kerzen<br /> Zündeten ihr klar Beginnen:<br /> Unbefleckter Jungfraun Sinnen,<br /> Überselig reine Herzen!</p> <p>Und des Friedens fromme Wächter<br /> Selig, an den Schranken waltend,<br /> Und der Einigkeit Verfechter<br /> Hoch die weiße Fahne haltend,<br /> Mild und fest gen den Verächter<br /> Wie der Daun die Klinge spaltend:<br /> Selig an den Schranken waltend,<br /> Selig sind des Friedens Wächter!</p> <p>Die um dich Verfolgung leiden,<br /> Höchster Feldherr, deine Scharen<br /> Selig, wenn sie alles meiden,<br /> Um dein Banner sich zu wahren!<br /> Mag es nie von ihnen scheiden<br /> Nicht in Lust noch in Gefahren:<br /> Selig, selig deine Scharen!<br /> Selig, die Verfolgung leiden!</p> <p>Und so muß ich selig nennen<br /> Alle, denen fremd mein Treiben,<br /> Muß indes die Wunden brennen,<br /> Fremden Glückes Herold bleiben.<br /> Wird denn nichts von dir mich trennen,<br /> Wildes, saftlos morsches Treiben?<br /> Muß ich selber mich zerreiben?<br /> Wird mich keiner selig nennen?</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/annette-von-droste-huelshoff" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Annette von Droste-Hülshoff</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1851</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/annette-von-droste-huelshoff/am-allerheiligentage" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Am Allerheiligentage" class="rdf-meta element-hidden"></span> Wed, 20 Feb 2019 22:10:11 +0000 mrbot 11685 at https://www.textarchiv.com Am Christihimmelfahrtstage https://www.textarchiv.com/annette-von-droste-huelshoff/am-christihimmelfahrtstage <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Er war ihr eigen dreiunddreißig Jahr&#039;,<br /> Die Zeit ist hin, ist hin!<br /> Wie ist sie doch nun alles Glanzes bar<br /> Die öde Erd&#039;, auf der ich atm&#039; und bin!<br /> Warum durft&#039; ich nicht leben, als sein Hauch<br /> Die Luft versüßte, als sein reines Aug&#039;<br /> Gesegnet jedes Kraut und jeden Stein?<br /> Warum nicht mich? warum nicht mich allein?<br /> O Herr! du hättest mich gesegnet auch!</p> <p>Dir nachgeschlichen wär&#039; ich überall,<br /> Und hätte ganz von fern,<br /> Verborgen von Gebüsches grünem Wall,<br /> Geheim betrachtet meinen liebsten Herrn.<br /> Zu Martha hätt&#039; ich bittend mich gewandt<br /> Um einen kleinen Dienst für meine Hand:<br /> Vielleicht den Herd zu schüren dir zum Mahl,<br /> Zum Quell zu gehn, zu lüften dir den Saal –<br /> Du hättest meine Liebe wohl erkannt.</p> <p>Und draußen in des Volkes dichtem Schwarm<br /> Hätt&#039; ich versteckt gelauscht,<br /> Und deine Worte, lebensreich und warm,<br /> So gern um jede andre Lust getauscht;<br /> Mit Magdalena hätt&#039; ich wollen knien,<br /> Auch meine Träne hätte sollen glühn<br /> Auf deinem Fuß, vielleicht dann, ach vielleicht<br /> Wohl hätte mich dein selig Wort erreicht:<br /> »Geh hin, auch deine Sünden sind verziehn!«</p> <p>Umsonst! und zwei Jahrtausende nun fast<br /> Sind ihrem Schlusse&#039; nah,<br /> Seitdem die Erde ihren süßen Gast<br /> Zuletzt getragen in Bethania.<br /> Schon längst sind deine Martyrer erhöht,<br /> Und lange Unkraut hat der Feind gesät,<br /> Gespalten längst ist deiner Kirche Reich<br /> Und trauernd hängt der mühbeladne Zweig<br /> An deinem Baume, doch die Wurzel steht.</p> <p>Geboren bin ich in bedrängter Zeit;<br /> Nach langer Glaubensrast<br /> Hat nun verschollner Frevel sich erneut;<br /> Wir tragen eine fast vergeßne Last,<br /> Und wieder deine Opfer stehn geweiht.<br /> Ach, ist nicht Lieben seliger im Leid?<br /> Bist du nicht näher, wenn die Trauer weint,<br /> Wo drei in deinem Namen sind vereint,<br /> Als Tausenden im Schmuck und Feierkleid?</p> <p>&#039;s ist sichtbar, wie die Glaubcnsflamme reich<br /> Empor im Sturme schlägt,<br /> Wie mancher, der zuvor Nachtwandlern gleich,<br /> Jetzt frisch und kräftig seine Glieder regt.<br /> Gesundet sind die Kranken, wer da lag<br /> Und träumte, ward vom Stundenschlage wach;<br /> Was sonst zerstreut, verflattert in der Welt,<br /> Das hat um deine Fahne sich gestellt<br /> Und jeder alte, zähe Firnis brach.</p> <p>Was will ich mehr? ist es vergönnt dem Knecht<br /> Die Gabe seines Herrn<br /> Zu meistern? was du tust, das sei ihm recht!<br /> Und ist dein Lieben auch ein Flammenstern,<br /> Willst läutern du durch Glut, wie den Asbest,<br /> Dein Eigentum von fauler Flecken Pest:<br /> Wir sehen deine Hand und sind getrost,<br /> Ob über uns die Wetterwolke tost,<br /> Wir sehen deine Hand und stehen fest.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/annette-von-droste-huelshoff" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Annette von Droste-Hülshoff</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1851</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/annette-von-droste-huelshoff/am-christihimmelfahrtstage" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Am Christihimmelfahrtstage" class="rdf-meta element-hidden"></span> Fri, 15 Feb 2019 22:10:05 +0000 mrbot 11683 at https://www.textarchiv.com Am Dienstage in der Karwoche https://www.textarchiv.com/annette-von-droste-huelshoff/am-dienstage-in-der-karwoche <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>»Gleich deiner eignen Seelen<br /> Sollst du den Nächsten lieben!«<br /> O Herr, was wird noch fehlen,<br /> Bevor dein Wort erfüllt!<br /> So muß denn all mein Denken<br /> Mich rettungslos betrüben;<br /> Wie sich die Augen lenken,<br /> Steht nur der Torheit Bild.</p> <p>Mein Herr, ich muß bekennen,<br /> Daß wenn in tiefsten Gründen<br /> Oft meine Sünden brennen,<br /> Mich diese nie gequält.<br /> So ist denn all den Flecken,<br /> Die meine Brust entzünden,<br /> Des Übermutes Schrecken<br /> Noch tötend beigezählt!</p> <p>Und hast du mich verlassen,<br /> Mein rügendes Gewissen,<br /> Weil ich dich wie zu hassen<br /> In meinen Ängsten schien?<br /> O schärfe deine Qualen!<br /> Und laß mich ganz zerrissen,<br /> Bedeckt mit blut&#039;gen Malen,<br /> Vor Gottes Augen glühn!</p> <p>Sprich! wolltest du mich trügen?<br /> Und kann der Heller Klingen<br /> Dein feiles Wort besiegen?<br /> Die ich der Armut bot.<br /> O Gold, o schnöde Gabe!<br /> Die alles soll erringen,<br /> So trägst du mir zu Grabe<br /> Mein Letztes in der Not!</p> <p>Wie oft drang die Versteckte,<br /> Die Sinnlichkeit, zu spenden,<br /> Wenn mich ein Antlitz schreckte,<br /> Vom Elend ganz verzerrt,<br /> Und mußt&#039; es bald entrinnen<br /> Den arbeitlosen Händen,<br /> Den ratlos irren Sinnen,<br /> In Jammer ausgedörrt.</p> <p>O Gold, o schnöde Gabe!<br /> Wie wenig magst du frommen,<br /> Magst läuten nur zu Grabe<br /> Das letzte Gnadenwehn.<br /> So hast du sondergleichen<br /> Die Liebe mir genommen,<br /> Daß ich kann lächelnd reichen,<br /> Wo Gottes Kinder sehn.</p> <p>Ihr Sinne, sprecht ihr scheuen,<br /> Was habt ihr euch entzogen?<br /> Muß euch nicht alles freuen?<br /> Was mich nur freuen mag!<br /> In flatterndem Verlangen<br /> Habt ihr die Lust gesogen,<br /> Indes die Not vergangen<br /> An eurem Jubeltag!</p> <p>So hab&#039; ich deine Pfunde<br /> In Frevelmut vergeudet,<br /> Und für der Armut Wunde<br /> War mir ein Heller gut!<br /> Das wird an mir noch zehren,<br /> Wenn Leib und Seele scheidet,<br /> Wird kämpfen, mir zu wehren<br /> Den letzten Todesmut.</p> <p>Ich müßte wohl verzagen,<br /> Ich habe viel verbrochen,<br /> Doch da du mich getragen,<br /> Mein Gott, bis diesen Tag,<br /> Wo meiner Seele Grauen<br /> In fremder Kraft gebrochen,<br /> Wie soll sie dem nicht trauen!<br /> Der ihre Bande brach.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/annette-von-droste-huelshoff" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Annette von Droste-Hülshoff</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1851</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/annette-von-droste-huelshoff/am-dienstage-in-der-karwoche" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Am Dienstage in der Karwoche" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sun, 10 Feb 2019 22:10:02 +0000 mrbot 11682 at https://www.textarchiv.com Am Allerseelentage https://www.textarchiv.com/annette-von-droste-huelshoff/am-allerseelentage <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Die Stunde kömmt, wo Tote gehn,<br /> Wo längst vermorschte Augen sehn.<br /> O Stunde! Stunde! größte aller Stunden,<br /> Du bist bei mir und läßt mich nicht,<br /> Ich bin bei dir in strenger Pflicht,<br /> Dir atm&#039; ich auf, dir bluten meine Wunden!</p> <p>Entsetzlich bist du, und doch wert,<br /> Ja meine ganze Seele kehrt<br /> Zu dir sich, in des Lebens Nacht und Irren<br /> Mein fest Asyl, mein Herzgeblüt,<br /> Zu dem die zähe Hoffnung flieht,<br /> Wenn Angst und Grübeln wie Gespenster irren.</p> <p>Wüßt&#039; ich es nicht, daß du gewiß<br /> In jener Räume Finsternis<br /> Liegst schlummernd wie ein Embrio verborgen:<br /> Dann möcht&#039; ich schaudernd mein Gesicht<br /> Verbergen vor der Sonne Licht,<br /> Vergehn wie Regenlache vor dem Morgen.</p> <p>Verkennung nicht treibt mich zu dir,<br /> Mild ist die strengste Stimme mir,<br /> Nimmt meine Heller und gibt Millionen.<br /> Nein, wo mir Unrecht je geschehn,<br /> Da ward mir wohl, da fühlt&#039; ich wehn<br /> Dein leises Atmen durch der Zeit Äonen.</p> <p>Doch Liebe, Ehre treibt mich fort<br /> Zu dir als meinem letzten Port,<br /> Wo klar mein Grabesinnre wird erscheinen.<br /> Dann auf der rechten Waage mag<br /> Sich türmen meine Schuld und Schmach,<br /> Und zitternd nahn mein Kämpfen und mein Weinen.</p> <p>Vor dir ich sollte Trostes bar<br /> Zergehen wie ein Schatten gar;<br /> Doch anders ist es ohne mein Verschulden:<br /> Zu dir als zu dem höchsten Glück<br /> Wie unbeweglich starrt der Blick,<br /> Und kaum, kaum mag die Zögerung ich dulden.</p> <p>Doch da sich einmal Hoffnung regt,<br /> So wird die Hand, die sie gelegt<br /> In dieses Busens fabelgleichen Boden,<br /> Sie wird den Keim, der willenlos<br /> Und keinem Übermut entsproß,<br /> Nicht wie ein Unkraut aus dem Grunde roden.</p> <p>Wenn kömmt die Zeit, wenn niederfällt<br /> Der Flitter, den gelegt die Welt,<br /> Talent und Glück, ums hagere Gerippe:<br /> Da steht der Bettler, schaut ihn an!<br /> Dann ist die Zeit, um Gnade dann<br /> Darf zitternd flehen des Verarmten Lippe.</p> <p>Dann macht nicht schamrot mich ein Tand,<br /> Dann hat gestellt die rechte Hand<br /> Mich tief und ärmlich, wie ich es verdienet,<br /> Dann trifft mich wie ein Dolchstoß nicht<br /> Hinfort ein Aug&#039; voll Liebeslicht:<br /> Ich bin erniedriget und bin gesühnet.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/annette-von-droste-huelshoff" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Annette von Droste-Hülshoff</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1851</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/annette-von-droste-huelshoff/am-allerseelentage" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Am Allerseelentage" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sun, 10 Feb 2019 22:10:02 +0000 mrbot 11684 at https://www.textarchiv.com Als der Herr in Sidons Land gekommen https://www.textarchiv.com/annette-von-droste-huelshoff/als-der-herr-in-sidons-land-gekommen <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Als der Herr in Sidons Land gekommen,<br /> Naht ein kananäisch Weiblein sich.<br /> »Herr!« spricht sie in Demut und in Frommen,<br /> »Herr! erbarme meiner Tochter dich.<br /> Sieh, sie liegt daheim in großen Peinen,<br /> Denn es wohnt in ihr ein böser Geist.«<br /> Und voll Trauer hebt sie an zu weinen,<br /> Als der Herr sie strenge von sich weist.</p> <p>Doch sie schaut in seiner Augen Prachten,<br /> Und ihr treues Herz bleibt ungeschreckt,<br /> Einem Hündlein gleich will sie sich achten,<br /> Das die Krümlein von der Erde leckt,<br /> Ihre Demut hat sich durchgerungen:<br /> »Weib, dein Glaub&#039; hat dir geholfen,« spricht<br /> Jesu süße Stimme, und bezwungen<br /> Weicht der finstre Geist dem Gnadenlicht.</p> <p>Kann nur Demut uns den Segen bringen,<br /> Und ich schnöder Wurm der Sterblichkeit<br /> Meine noch, es müsse mir gelingen,<br /> Da ich von der Demut noch so weit?<br /> Hab&#039; ich nur ein kleines Leid getragen,<br /> Einen Heller meiner großen Schuld,<br /> Fühl&#039; ich schon ein leises Wohlbehagen<br /> Über meine Stärke und Geduld.</p> <p>Seele mein, hast du denn ganz vergessen<br /> Deiner Sünden, dunkel wie die Nacht,<br /> Hast den Quell im Sande stolz gemessen,<br /> Und der weiten Wüste nicht gedacht?<br /> Ach, wie täuschte dich die Eigenliebe<br /> Über dein Beginnen sonder Treu,<br /> Eine Mücke fängst du auf im Siebe,<br /> Das Kamel verschlingst du sonder Scheu.</p> <p>Denkst wohl gar Verdienste zu gewinnen,<br /> Wähnst um dich der Siegespalmen Grün,<br /> Ach, was du auch immer magst beginnen,<br /> Deiner Kräfte äußerstes Bemühn,<br /> Könntest tausend Jahr dem Herrn du dienen,<br /> In Zerknirschung büßend fort und fort,<br /> Deine Frevel kannst du nimmer sühnen,<br /> Gnade bleibt dein einz&#039;ges Hoffnungswort.</p> <p>Und wie wenig hast du nicht gelitten<br /> In der Reue bittrer Läutrungsglut,<br /> Und wie lau und schwächlich nicht gestritten<br /> Gegen deiner innern Feinde Wut!<br /> Kannst du eine Viertelstunde nennen,<br /> Wo du ganz und gar dem Herrn gehört,<br /> Keine Wünsche dich von Jesu trennen,<br /> Kein Gedanke dein Gebet gestört?</p> <p>Ach, mit jedem meiner Seufzer treten<br /> Neue Sünden vor dein Angesicht.<br /> Herr, ich bin nicht wert, zu dir zu beten,<br /> Schone mein, du starker Gott im Licht.<br /> O! mich faßt ein ungeheurer Schrecken,<br /> Daß ich so vermessen mich erkühnt,<br /> Weh, mein ganzes Leben ist ein Flecken,<br /> Jede Stunde hat den Tod verdient.</p> <p>Dennoch, dennoch darfst du nicht verzagen,<br /> Nicht in deines tiefsten Elends Drang,<br /> Mußt die Schmerzen grimm, die in dir nagen,<br /> Fesseln mit der Hoffnung süßem Zwang.<br /> Jesus will es, und du mußt vollbringen,<br /> Ob dich seine Milde fast zerdrückt,<br /> Darfst nicht trotzend in Verzweiflung ringen,<br /> Wie der eigne Wille dich berückt.</p> <p>Wie der Pharus an dem Seegestade<br /> Frieden leuchtet durch der Stürme Wut,<br /> Strahlt so mildiglich das Kreuz der Gnade,<br /> Drum nur Mut, bedrängte Seele, Mut!<br /> Halte fest in Demut und Vertrauen<br /> Seele mein, mit deiner ganzen Macht,<br /> Siehe, wie fünf rote Sonnen schauen<br /> Jesu Wunden durch die wüste Nacht.</p> <p>Und wie einst die Arche trug das Leben<br /> Durch der Sünde allgemeinen Tod,<br /> Wird das süße Kreuz mich rettend heben,<br /> Wenn entsetzlich das Verderben droht.<br /> Ja, ich will auf Jesu Worte bauen,<br /> Seh ich gleich nicht ihn, und nur die Nacht,<br /> Fest nur, fest in Demut und Vertrauen,<br /> Seele mein, mit deiner ganzen Macht.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/annette-von-droste-huelshoff" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Annette von Droste-Hülshoff</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1851</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/annette-von-droste-huelshoff/als-der-herr-in-sidons-land-gekommen" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Als der Herr in Sidons Land gekommen" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sat, 09 Feb 2019 22:10:02 +0000 mrbot 11688 at https://www.textarchiv.com Am achtzehnten Sonntage nach Pfingsten https://www.textarchiv.com/annette-von-droste-huelshoff/am-achtzehnten-sonntage-nach-pfingsten <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Sechs Tage sollst du tun<br /> Dein Werk mit aller Treue;<br /> Und sollst am siebten ruhn,<br /> Er trägt des Herren Weihe.<br /> So ward es uns gesetzet<br /> Und also folgen wir,<br /> Recht wie den Schnabel wetzet<br /> Das lüstern stumpfe Tier.</p> <p>Der feiert bei dem Spiel,<br /> Und jener bei der Flasche,<br /> Sinnt jeder lang und viel,<br /> Wie er sich Lust erhasche.<br /> Was nicht den Herrn mag loben,<br /> Und was den Sinn betört,<br /> Wem wird es aufgehoben?<br /> Dem heil&#039;gen Sonntag wert.</p> <p>Ja, wenn man häufen mag<br /> Der ganzen Woche Sünden<br /> Gen was an diesem Tag<br /> Muß seine Ernte finden,<br /> So wird, o Schmach! es zollen<br /> Wie gen gehäuftes Maß,<br /> Von dem die Körner rollen,<br /> Zwei Ähren, so man las.</p> <p>Stehn denn die Kirchen leer,<br /> Flieht seinen Herrn der Sünder?<br /> O wenn dem also wär&#039;!<br /> Der Frevel drückte minder,<br /> Doch aus dem Weihrauchwallen,<br /> Das unsern Gott umfließt,<br /> Zu des Verderbens Hallen<br /> Man wie ein Geier schießt.</p> <p>In alten Bundes Pflicht,<br /> Als keimend noch die Gnade<br /> Und dämmernd nur das Licht<br /> Fiel auf der Menschen Pfade:<br /> Da trug der Sünde Flecken<br /> Noch nicht der Sabbat, doch<br /> Mußt&#039; er den Gläub&#039;gen schrecken,<br /> Ach, wie ein eisern Joch.</p> <p>Wohl mag es töricht sein,<br /> Dem höchsten Gott zu Ehren<br /> Zu liegen wie ein Stein,<br /> Und jeder Regung wehren;<br /> Doch eitlen Lüsten fügen<br /> Der Sinne kirren Bund –<br /> O besser zehnfach liegen<br /> Wie eine Scholl&#039; am Grund.</p> <p>So hat der Heiland nicht<br /> Den alten Bund gehoben:<br /> Durch Taten wie das Licht<br /> Sollst du den Höchsten loben!<br /> Sei mit der milden Spende<br /> Der Arme dir gegrüßt:<br /> Nicht unrein sind die Hände,<br /> Aus denen Segen fließt.</p> <p>Und wer gering und klein<br /> Im Schmerzenslager rücket,<br /> Wo schlimmer als die Pein<br /> Verlassenheit ihn drücket,<br /> Verbinde dessen Wunden<br /> Und lächle ihm dazu;<br /> Dann hast du sie gefunden<br /> Die echte Sabbatsruh!</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/annette-von-droste-huelshoff" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Annette von Droste-Hülshoff</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1851</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/annette-von-droste-huelshoff/am-achtzehnten-sonntage-nach-pfingsten" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Am achtzehnten Sonntage nach Pfingsten" class="rdf-meta element-hidden"></span> Fri, 08 Feb 2019 22:10:03 +0000 mrbot 11686 at https://www.textarchiv.com Am achten Sonntage nach Pfingsten https://www.textarchiv.com/annette-von-droste-huelshoff/am-achten-sonntage-nach-pfingsten <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Wohl sehr erschöpft die Menge war<br /> Und wohl der Hunger nagte sehr,<br /> Da nahmst du treulich ihrer wahr.<br /> Ach, für die Seele matt und leer,<br /> Nach jahrelanger Dürr&#039; und Schwüle,</p> <p>Hast du nicht einen Bissen auch,<br /> Nicht einen Labetrunk für sie,<br /> Nicht einen frischen Gnadenhauch,<br /> Der in der Wüste Brand und Müh&#039;<br /> Das siedende Gehirne kühle?</p> <p>Denn sieh, von ferne kam ich ja,<br /> Und ob ich selber mich verbannt:<br /> Du stehst mir drum nicht minder nah.<br /> Wer einmal sich zu dir gewandt<br /> Mit neu erwachendem Gefühle,</p> <p>Wer einmal aus des Treibers Joch<br /> Sich flüchtete zu deinem Ohr,<br /> Und sei er so verkümmert noch,<br /> Du bist so mild, hältst ihm nicht vor<br /> Der Sklavenpeitsche harte Schwiele.</p> <p>O rette mich, daß nicht der Trug<br /> Des Hungers mich bezwingen kann,<br /> Daß ich nicht unter Wahnsinns Fluch<br /> Die Hände strecke, greife an<br /> Die gift&#039;ge Frucht am welken Stiele,</p> <p>So aus dem Paradiese trieb<br /> Und die Erkenntnis wird genannt!<br /> Stiehlt sie das Leben wie ein Dieb:<br /> So lockt sie doch des Gaumens Brand<br /> Mit scheinbar frischen Saftes Spiele.</p> <p>Ach, nicht die Wüste neben mir,<br /> Die Wüste mir im Busen liegt!<br /> Wo find&#039; ich denn, wo find&#039; ich hier<br /> Was meinen Hunger nicht betrügt,<br /> Was meine dürre Kehle spüle?</p> <p>So sprachen deine Jünger auch;<br /> Du Gnäd&#039;ger fandest doch ein Brod,<br /> Wo sengenden Samumes Hauch<br /> Dir keine fromme Ähre bot,<br /> Nur Sand und stäubendes Gewühle.</p> <p>»Da aßen sie und wurden satt,<br /> Und sammelten was übrigblieb«;<br /> War keiner krank mehr, keiner matt<br /> Und der Genesne ward dir lieb,<br /> So lieb als der Gesunden viele.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/annette-von-droste-huelshoff" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Annette von Droste-Hülshoff</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1851</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/annette-von-droste-huelshoff/am-achten-sonntage-nach-pfingsten" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Am achten Sonntage nach Pfingsten" class="rdf-meta element-hidden"></span> Tue, 05 Feb 2019 22:10:02 +0000 mrbot 11687 at https://www.textarchiv.com Der Mutter Wiederkehr https://www.textarchiv.com/annette-von-droste-huelshoff/der-mutter-wiederkehr <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Du frägst mich immer von neuem, Marie,<br /> Warum ich mein Heimatland<br /> Die alten lieben Gebilde flieh<br /> Dem Herzen doch eingebrannt?<br /> Nichts soll das Weib dem Manne verhehlen,<br /> Und nichts dem treuen Weibe der Mann,<br /> Drum setz dich her, ich will erzählen,<br /> Doch abwärts sitze – schau mich nicht an.</p> <p>Bei meinen Eltern ich war, – ein Kind,<br /> Ein Kind und dessen nicht froh,<br /> Im Hause wehte ein drückender Wind,<br /> Der ehliche Friede floh,<br /> Nicht Zank noch Scheltwort durfte ich hören,<br /> Doch wie ein Fels auf allen es lag,<br /> Sahn wir von Reisen den Vater kehren,<br /> Das war uns Kindern ein trauriger Tag.</p> <p>Ein Kaufmann, ernst, sein strenges Gemüt<br /> Verbittert durch manchen Verlust,<br /> Und meine Mutter die war so müd,<br /> So keuchend ging ihre Brust!<br /> Noch seh ich wie sie, die Augen gerötet,<br /> Ein Bild der still verhärmten Geduld,<br /> An unserm Bettchen gekniet und gebetet.<br /> Gewiß, meine Mutter war frei von Schuld!</p> <p>Doch trieb der Vater sich um – vielleicht<br /> In London oder in Wien –<br /> Dann lebten wir auf und atmeten leicht,<br /> Und schossen wie Kressen so grün.<br /> Durch lustige Schwänke machte uns lachen<br /> Der gute Mesner, dürr und ergraut,<br /> Der dann uns alle sollte bewachen,<br /> Denn meiner Mutter ward nichts vertraut.</p> <p>Da schickte der Himmel ein schweres Leid,<br /> Sie schlich so lange umher,<br /> Und härmte sich sachte ins Sterbekleid,<br /> Wir machten das Scheiden ihr schwer!<br /> Wir waren wie irre Vögel im Haine,<br /> Zu früh entflattert dem treuen Nest,<br /> Bald tobten wir toll über Blöcke und Steine,<br /> Und duckten bald, in den Winkel gepreßt.</p> <p>Dem alten Manne ward kalt und heiß,<br /> Dem würdigen Sakristan,<br /> Sah er besudelt mit Staub und Schweiß<br /> Und glühend wie Öfen uns nahn;<br /> Doch traten wir in die verödete Kammer,<br /> Und sahn das Schemelchen am Klavier,<br /> Dann strömte der unbändige Jammer,<br /> Und nach der Mutter wimmerten wir.</p> <p>Am sechsten Abend nachdem sie fort<br /> – Wir kauerten am Kamin,<br /> Der Alte lehnte am Simse dort<br /> Und sah die Kohlen verglühn,<br /> Wir sprachen nicht, uns war beklommen –<br /> Da leis im Vorsaal dröhnte die Tür,<br /> Und schlürfende Schritte hörten wir kommen.<br /> Mein Brüderchen rief: »Die Mutter ist hier!«</p> <p>Still, stille nur! – wir horchten all,<br /> Zusammengedrängt und bang,<br /> Wir hörten deutlich der Tritte Hall<br /> Die knarrende Diel&#039; entlang,<br /> Genau wir hörten rücken die Stühle,<br /> Am Schranke klirren den Schlüsselbund,<br /> Und dann das schwere Krachen der Diele,<br /> Als es vom Stuhle trat an den Grund.</p> <p>Mein junges Blut in den Adern stand,<br /> Ich sah den Alten wie Stein<br /> Sich klammern an des Gesimses Rand,<br /> Da langsam trat es herein.<br /> O Gott, ich sah meine Mutter, Mariee!<br /> Marie, ich sah meine Mutter gehn,<br /> Im schlichten Kleide, wie morgens frühe<br /> Sie kam nach ihren zwei Knaben zu sehn!</p> <p>Fest war ihr Blick zum Grunde gewandt,<br /> So schwankte sie durch den Saal,<br /> Den Schlüsselbund in der bleichen Hand,<br /> Die Augen trüb wie Opal;<br /> Sie hob den Arm, wir hörten&#039;s pfeifen,<br /> Ganz wie ein Schlüssel im Schlosse sich dreht,<br /> Und ins Klosett dann sahn wir sie streifen,<br /> Drin unser Geld und Silbergerät.</p> <p>Du denkst wohl, daß keines Odems Hauch<br /> Die schaurige Öde brach,<br /> Und still war&#039;s in dem Klosette auch,<br /> Noch lange lauschten wir nach.<br /> Da sah ich zusammen den Alten fallen,<br /> Und seine Schläfe schlug an den Stein,<br /> Da ließen wir unser Geschrei erschallen,<br /> Da stürzten unsere Diener herein.</p> <p>Du sagst mir nichts, doch zweifl&#039; ich nicht,<br /> Du schüttelst dein Haupt, Marie,<br /> Ein Greis – zwei Kinder – im Dämmerlicht –<br /> Da waltet die Phantasie!<br /> Was wollte ich nicht um dein Lächeln geben,<br /> Um deine Zweifel, du gute Frau,<br /> Doch wieder sag&#039; ich&#039;s: bei meinem Leben!<br /> Marie, wir sahen und hörten genau!</p> <p>Am Morgen kehrte der Vater heim,<br /> Verstimmt und müde gehetzt,<br /> Und war er nimmer ein Honigseim,<br /> So war er ein Wermut jetzt.<br /> Auch waren es wohl bedenkliche Worte,<br /> Die er gesprochen zum alten Mann,<br /> Denn laut sie haderten an der Pforte,<br /> Und schieden in tiefer Empörung dann.</p> <p>Nun ward durchstöbert das ganze Haus,<br /> Ein jeder gefragt, gequält,<br /> Die Beutel gewogen, geschüttet aus,<br /> Die Silberbestecke gezählt,<br /> Ob alles richtig, versperrt die Zimmer,<br /> Nichts konnte dem Manne genügen doch;<br /> Bis abends zählte und wog er immer,<br /> Und meinte, der Schade finde sich noch.</p> <p>Als nun die Dämmerung brach herein,<br /> Ohne Mutter und Sakristan,<br /> Wir kauerten auf dem staubigen Stein,<br /> Und gähnten die Flamme an.<br /> Verstimmt der Vater, am langen Tische,<br /> Wühlt&#039; in Papieren, schob und rückt&#039;,<br /> Wir duckten an unserm Kamin, wie Fische,<br /> Wenn drauf das Auge des Reihers drückt.</p> <p>Da horch! – die Türe dröhnte am Gang,<br /> Ein schlürfender Schritt darauf<br /> Sich schleppte die knarrende Diel&#039; entlang.<br /> Der Vater horchte – stand auf –<br /> Und wieder hörten wir rücken die Stühle,<br /> Am Schranke klirren den Schlüsselbund.<br /> Und wieder das schwere Krachen der Diele,<br /> Als es vom Stuhle trat an den Grund.</p> <p>Er stand, den Leib vornüber gebeugt,<br /> Wie Jäger auf Wildes Spur,<br /> Nicht Furcht noch Rührung sein Auge zeigt&#039;,<br /> Man sah, er lauerte nur.<br /> Und wieder sah ich die mich geboren,<br /> Verbannt, verstoßen vom heiligen Grund,<br /> O, nimmer hab&#039; ich das Bild verloren,<br /> Es folgt mir noch in der Todesstund&#039;!</p> <p>Und er? – hat keine Wimper geregt,<br /> Und keine Muskel gezuckt,<br /> Der Stuhl, auf den seine Hand gelegt,<br /> Nur einmal leise geruckt.<br /> Ihr folgend mit den stechenden Blicken<br /> Wandt&#039; er sich langsam wie sie schritt,<br /> Doch als er sie ans Klosett sah drücken,<br /> Da zuckte er auf, als wolle er mit.</p> <p>Und »Arnold!« rief&#039;s aus dem Geldverlies,<br /> – Er beugte vornüber, weit –<br /> Und wieder »Arnold!« so klagend süß,<br /> – Er legte die Feder beiseit&#039; –<br /> Zum dritten Mal, wie die blutige Trauer,<br /> »Arnold!« – den Meerschaumkopf im Nu<br /> Erfaßt&#039; er, schleudert&#039; ihn gegen die Mauer,<br /> Schritt ins Klosett und riegelte zu.</p> <p>Wir aber stürzten in wilder Hast<br /> Hinaus an das Abendrot,<br /> Wir hatten uns bei den Händen gefaßt,<br /> Und weinten uns schier zu Tod.<br /> Die ganze Nacht hat die Lampe geglommen,<br /> Geknattert im Saal des Kamines Rost,<br /> Und als der dritte Abend gekommen,<br /> Da setzte der Vater sich auf die Post.</p> <p>Ich habe ihm nicht Lebewohl gesagt,<br /> Und nicht seine Hand geküßt,<br /> Doch heißt es, daß er in dieser Nacht<br /> Am Bettchen gestanden ist.<br /> Und bei des nächsten Morgens Erglühen,<br /> Das erste was meine Augen sahn,<br /> Das war an unserem Lager knieen<br /> Den tief erschütterten Sakristan.</p> <p>Dem ward in der Früh&#039; ein Brief gebracht,<br /> Und dann ein Schlüsselchen noch;<br /> »Ich will nicht lesen«, hat er gedacht<br /> Und zögerte, las dann doch<br /> Den Brief, in letzter Stunde geschrieben<br /> Von meines unglücklichen Vaters Hand,<br /> Der fest im Herzen mir ist geblieben,<br /> Obwohl mein Bruder ihn einst verbrannt.</p> <p>»Was mich betroffen, das sag&#039; ich nicht,<br /> Eh dorre die Zunge aus!<br /> Doch ist es ein bitter, ein schwer Gericht,<br /> Und treibt mich von Hof und Haus.<br /> In dem Klosette da sind gelegen<br /> Papiere, Wechsel, Briefe dabei.<br /> Dir will ich auf deine Seele legen<br /> Meine zwei Buben, denn du bist treu.</p> <p>Sorg nicht um mich, was ich bedarf<br /> Des hab&#039; ich genügend noch,<br /> Und forsch auch nimmer, – ich warne scharf –<br /> Nach mir, es tröge dich doch.<br /> Sei ruhig, Mann, ich will nicht töten,<br /> Den Leib, der vieles noch muß bestehn,<br /> Doch laß meine armen Kinderchen beten,<br /> Denn sehr bedarf ich der Unschuld Flehn.«</p> <p>Und im Klosette gefunden ward<br /> Ein richtiges Testament,<br /> Und alle Papiere nach Kaufmannsart<br /> Geordnet und wohl benennt.<br /> Und wir? – in der Fremde ließ man uns pflegen,<br /> Da waren wir eben wie Buben sind,<br /> Doch mit den Jahren da muß sich&#039;s regen,<br /> Bin ich doch jetzt sein einziges Kind!</p> <p>Du weißt es, wie ich auch noch so früh,<br /> So hart den Bruder verlor,<br /> Und hätte ich dich nicht, meine Marie,<br /> Dann wär ich ein armer Tor! –<br /> Ach Gott, was hab&#039; ich nicht all geschrieben,<br /> Aufrufe, Briefe, in meiner Not!<br /> Umsonst doch alles, umsonst geblieben.<br /> Ob er mag leben? – vermutlich tot!</p> <p>–––––</p> <p>Nie brachte wieder auf sein Geschick<br /> Die gute Marie den Mann,<br /> Der seines Lebens einziges Glück<br /> In ihrer Liebe gewann.<br /> So mild und schonend bot sie die Hände,<br /> Bracht&#039; ihm so manches blühende Kind,<br /> Daß von der ehrlichen Stirn am Ende<br /> Die düstern Falten gewichen sind.</p> <p>Wohl führt&#039; nach Jahren einmal sein Weg<br /> Ihn dicht zur Heimat hinan,<br /> Da ließ er halten am Mühlensteg,<br /> Und schaute die Türme sich an.<br /> Die Händ&#039; gefaltet, schien er zu beten,<br /> Ein Wink – die Kutsche rasselte fort;<br /> Doch nimmer hat er den Ort betreten,<br /> Und keinen Trunk Wasser nahm er dort.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/annette-von-droste-huelshoff" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Annette von Droste-Hülshoff</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1844</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/annette-von-droste-huelshoff/der-mutter-wiederkehr" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Der Mutter Wiederkehr" class="rdf-meta element-hidden"></span> Fri, 02 Mar 2018 22:10:03 +0000 mrbot 9394 at https://www.textarchiv.com Das Fräulein von Rodenschild https://www.textarchiv.com/annette-von-droste-huelshoff/das-fraeulein-von-rodenschild <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Sind denn so schwül die Nächt&#039; im April?<br /> Oder ist so siedend jungfräulich Blut?<br /> Sie schließt die Wimper, sie liegt so still,<br /> Und horcht des Herzens pochender Flut.<br /> »O will es denn nimmer und nimmer tagen!<br /> O will denn nicht endlich die Stunde schlagen!<br /> Ich wache, und selbst der Seiger ruht!</p> <p>Doch horch! es summt, eins, zwei und drei, –<br /> Noch immer fort? – sechs, sieben und acht,<br /> Elf, zwölf, – o Himmel, war das ein Schrei?<br /> Doch nein, Gesang steigt über der Wacht,<br /> Nun wird mir&#039;s klar, mit frommem Munde<br /> Begrüßt das Hausgesinde die Stunde,<br /> Anbrach die hochheilige Osternacht.«</p> <p>Seitab das Fräulein die Kissen stößt,<br /> Und wie eine Hinde vom Lager setzt,<br /> Sie hat des Mieders Schleifen gelöst,<br /> Ins Häubchen drängt sie die Locken jetzt,<br /> Dann leise das Fenster öffnend, leise,<br /> Horcht sie der mählich schwellenden Weise,<br /> Vom wimmernden Schrei der Eule durchsetzt.</p> <p>O dunkel die Nacht! und schaurig der Wind!<br /> Die Fahnen wirbeln am knarrenden Tor, –<br /> Da tritt aus der Halle das Hausgesind&#039;<br /> Mit Blendlaternen und einzeln vor.<br /> Der Pförtner dehnet sich, halb schon träumend,<br /> Am Dochte zupfet der Jäger säumend,<br /> Und wie ein Oger gähnet der Mohr.</p> <p>Was ist? – wie das auseinanderschnellt!<br /> In Reihen ordnen die Männer sich,<br /> Und eine Wacht vor die Dirnen stellt<br /> Die graue Zofe sich ehrbarlich,<br /> »Ward ich gesehn an des Vorhangs Lücke?<br /> Doch nein, zum Balkone starren die Blicke,<br /> Nun langsam wenden die Häupter sich.</p> <p>O weh meine Augen! bin ich verrückt?<br /> Was gleitet entlang das Treppengeländ?<br /> Hab&#039; ich nicht so aus dem Spiegel geblickt?<br /> Das sind meine Glieder, – welch ein Geblend&#039;!<br /> Nun hebt es die Hände, wie Zwirnes Flocken,<br /> Das ist mein Strich über Stirn und Locken! –<br /> Weh, bin ich toll, oder nahet mein End&#039;!«</p> <p>Das Fräulein erbleicht und wieder erglüht,<br /> Das Fräulein wendet die Blicke nicht,<br /> Und leise rührend die Stufen zieht<br /> Am Steingelände das Nebelgesicht,<br /> In seiner Rechten trägt es die Lampe,<br /> Ihr Flämmchen zittert über der Rampe,<br /> Verdämmernd, blau, wie ein Elfenlicht.</p> <p>Nun schwebt es unter dem Sternendom,<br /> Nachtwandlern gleich in Traumes Geleit,<br /> Nun durch die Reihen zieht das Phantom,<br /> Und jeder tritt einen Schritt zur Seit&#039;. –<br /> Nun lautlos gleitet&#039;s über die Schwelle, –<br /> Nun wieder drinnen erscheint die Helle,<br /> Hinauf sich windend die Stiegen breit.</p> <p>Das Fräulein hört das Gemurmel nicht,<br /> Sieht nicht die Blicke, stier und verscheucht,<br /> Fest folgt ihr Auge dem bläulichen Licht,<br /> Wie dunstig über die Scheiben es streicht.<br /> – Nun ist&#039;s im Saale – nun im Archive –<br /> Nun steht es still an der Nische Tiefe –<br /> Nun matter, matter, – ha! es erbleicht!</p> <p>»Du sollst mir stehen! ich will dich fahn!«<br /> Und wie ein Aal die beherzte Maid<br /> Durch Nacht und Krümmen schlüpft ihre Bahn,<br /> Hier droht ein Stoß, dort häkelt das Kleid,<br /> Leis tritt sie, leise, o Geistersinne<br /> Sind scharf! daß nicht das Gesicht entrinne!<br /> Ja, mutig ist sie, bei meinem Eid!</p> <p>Ein dunkler Rahmen, Archives Tor;<br /> – Ha, Schloß und Riegel! – sie steht gebannt,<br /> Sacht, sacht das Auge und dann das Ohr<br /> Drückt zögernd sie an der Spalte Rand,<br /> Tiefdunkel drinnen – doch einem Rauschen<br /> Der Pergamente glaubt sie zu lauschen,<br /> Und einem Streichen entlang der Wand.</p> <p>So niederkämpfend des Herzens Schlag,<br /> Hält sie den Odem, sie lauscht, sie neigt –<br /> Was dämmert ihr zur Seite gemach?<br /> Ein Glühwurmleuchten – es schwillt, es steigt,<br /> Und Arm an Arme, auf Schrittes Weite,<br /> Lehnt das Gespenst an der Pforte Breite,<br /> Gleich ihr zur Nachbarspalte gebeugt.</p> <p>Sie fährt zurück, – das Gebilde auch –<br /> Dann tritt sie näher – so die Gestalt –<br /> Nun stehen die beiden, Auge in Aug,<br /> Und bohren sich an mit Vampyres Gewalt.<br /> Das gleiche Häubchen decket die Locken,<br /> Das gleiche Linnen, wie Schnees Flocken,<br /> Gleich ordnungslos um die Glieder wallt.</p> <p>Langsam das Fräulein die Rechte streckt,<br /> Und langsam, wie aus der Spiegelwand,<br /> Sich Linie um Linie entgegenreckt<br /> Mit gleichem Rubine die gleiche Hand;<br /> Nun rührt sich&#039;s – die Lebendige spüret<br /> Als ob ein Luftzug schneidend sie rühret,<br /> Der Schemen dämmert, – zerrinnt – entschwand.</p> <p>Und wo im Saale der Reihen fliegt,<br /> Da siehst ein Mädchen du, schön und wild,<br /> – Vor Jahren hat&#039;s eine Weile gesiecht –<br /> Das stets in den Handschuh die Rechte hüllt.<br /> Man sagt, kalt sei sie wie Eises Flimmer,<br /> Doch lustig die Maid, sie hieß ja immer:<br /> »Das tolle Fräulein von Rodenschild.«</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/annette-von-droste-huelshoff" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Annette von Droste-Hülshoff</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1844</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/annette-von-droste-huelshoff/das-fraeulein-von-rodenschild" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Das Fräulein von Rodenschild" class="rdf-meta element-hidden"></span> Tue, 23 Jan 2018 22:10:02 +0000 mrbot 9366 at https://www.textarchiv.com Bajazet https://www.textarchiv.com/annette-von-droste-huelshoff/bajazet <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Der Löwe und der Leopard<br /> Die singen Wettgesänge,<br /> Glutsäulen heben Wettlauf an,<br /> Und der Samum ihr Herold.<br /> O Sonne, birg die Strahlen!</p> <p>Was schleicht dort durch den gelben Sand,<br /> Ist es ein wunder Schakal?<br /> Ist es ein großer Vogel wohl,<br /> Ein schwergetroffner Ibis?<br /> O Sonne, birg die Strahlen!</p> <p>Ein wunder Schakal ist es nicht,<br /> Kein schwergetroffner Vogel,<br /> Es ist der mächt&#039;ge Bajazet,<br /> Der Reichste in Kaïro.<br /> Er, der die dreizehn Segel hat,<br /> Die reichbeladnen Schiffe,<br /> Auf seiner Achsel liegt der Schlauch,<br /> Der Stab in seiner Rechten.<br /> O Sonne, birg die Strahlen!</p> <p>»Weh dir, du unglücksel&#039;ges Gold,<br /> Verräterisches Silber!<br /> Und weh dir, Hassan, falscher Freund,<br /> Du ungetreuer Diener!<br /> Nahmst in der Nacht die Zelte mir<br /> Und nahmst mir die Kamele.«<br /> O Sonne, birg die Strahlen!</p> <p>»Wie einen Leichnam ließest mich,<br /> Wie Mumien, verdorrte,<br /> Wie ein verschmachtetes Kamel,<br /> Wie ein Getier der Wüste!<br /> Und gab dir doch das reiche Gut,<br /> Die zwanzigtausend Kori.«<br /> O Sonne, birg die Strahlen!</p> <p>»So fluch&#039; ich denn zu sieben Mal,<br /> Und tausendmal verfluch&#039; ich:<br /> Daß dich verschlingen mag das Meer,<br /> Dein brennend Haus dich töten!<br /> Daß breche dein Gebein der Leu,<br /> Dein Blut der Tiger lecke!<br /> Der Beduine plündre dich,<br /> Preisgebe dich der Wüste,<br /> Daß in dem Sande du versiechst,<br /> Verschmachtend – hülflos – irrend!«<br /> O Sonne, birg die Strahlen!</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/annette-von-droste-huelshoff" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Annette von Droste-Hülshoff</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1844</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/annette-von-droste-huelshoff/bajazet" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Bajazet" class="rdf-meta element-hidden"></span> Mon, 22 Jan 2018 22:10:06 +0000 mrbot 9392 at https://www.textarchiv.com