Textarchiv - Otto Kindt https://www.textarchiv.com/otto-kindt Deutscher Verleger und Dichter. Geboren am 8. November 1857 in Warfleth (Berne). Gestorben 1916. de Moritura https://www.textarchiv.com/otto-kindt/moritura <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Sie wusste nicht, was ihr geschehen war.<br /> Als sie erwachte, schaute sie sich um:<br /> So fremd geworden schien das traute Heim,<br /> Das sie, als wie ein Nest den Vogel, barg;<br /> Und überall der Mutter frische Spur!<br /> Da flossen immer wieder neu die Thränen;<br /> Das Kinderherz, es wollte nicht verstehen,<br /> Dass nun die liebe, bleiche Hand erstarrt,<br /> Die segnend über ihren Scheitel glitt,<br /> Und dass sie nun allein sei, ganz allein! –<br /> – Man sprach zu ihr: komm, raff dich auf,<br /> Du bist so jung, du hast ein hübsch Gesicht,<br /> Das ist der Schlüssel zu dem Glück der Frauen!<br /> Da ging sie denn. – Sie hat kein Wort gesprochen.<br /> Verstossen aus der Kindheit Paradies<br /> Begann den Weg sie durch das weite Leben,<br /> Im Traume wandelnd ohne Wandermut!</p> <p>– Ein Weltmeer ist Berlin; sie tauchte unter.<br /> Doch die Gefahr giebt Mut, und Arbeit stählt.<br /> Von neuem zog ein Frieden bei ihr ein,<br /> Wenn Frieden heisst: Dem Leben still entsagen,<br /> Wenn Frieden heisst: Das Leben ängstlich fliehn! –</p> <p>– Du junges Herz, was treibt so schnell dein Blut,<br /> Wenn neue Säfte in die Zweige steigen,<br /> Und Frühlingsodem aus der Erde quillt?<br /> Ihr riefen’s zu die Sperlinge am Fenster:<br /> »Der Lenz ist da!« Da färbten sich die Wangen,<br /> Da fasste sie unsagbar ein Verlangen<br /> Nach Glück, nach Lust, nach Leben und nach Liebe.<br /> Der Lenz ist da! Sie liess die Nadel sinken<br /> Und zog hinaus, wo grüne Zweige rauschen,<br /> Wo Kinderjubel tönt, und frohe Menschen<br /> Der Wiederhall des eignen Herzens sind.<br /> – Da fand sie den, der ehrerbietig oft,<br /> Wenn hie und da sich ihre Wege kreuzten,<br /> Im Banne ihrer Anmut sie begrüsst.<br /> – Zwei Herzen schlagen schnell in gleichem Takt,<br /> Wenn Jugend sie und heisser Glückeswille<br /> Zusammen treibt. Sie lockt ein seltsam Drängen,<br /> Das allen Kreaturen eingepflanzt,<br /> Ein Frühlingsgift, das durch die Pulse jagend<br /> Die Jugend opfert und die Schönheit tötet.<br /> Und doch ist es so süss, den Trank zu nippen,<br /> Der uns berauschend hebt zu lichten Höh’n!<br /> Sie fühlte nicht des süssen Rausches Gift;<br /> Ihr reines Herz vernahm ein hohes Lied,<br /> Das Engelscharen ihr hernieder sangen. – – –</p> <p>– Es war ein Sonntagmorgen, weihevoll.<br /> Da hatte sie mit ihm die Stadt verlassen,<br /> Der nun erfüllte all ihr Sein und Thun.<br /> Sie wanderten, umweht von Lindenblüten,<br /> Dem Walde zu, der wonnig sie empfing.<br /> Wie Kinder, die der Schule Zwang entflohn,<br /> Durchzogen sie die grüne Einsamkeit.<br /> Ihr Weg war, wo die Schmetterlinge flogen<br /> Und wo der Kukuk rief. So weltenfern<br /> Nahm sie ein dämmernd Dickicht endlich auf.<br /> Wie herrlich schien ihr dieser Tag des Herrn!<br /> Die Stunden rückten vor, und Mittagschwüle,<br /> Sie senkte süsse Müdigkeit hernieder.<br /> Da richteten sie sich ein lauschig Lager<br /> An einem Hang und sanken bald in Schlaf.<br /> – Von fernem Dorfe zog durch ihren Traum<br /> Ein Glockenklang in zitternd leichten Wellen,<br /> Und Mücken surrten leis ein Schlummerlied. –</p> <p>– Als er erwachte, lag sie sanft erglüht<br /> Und lächelnd noch in halbem Traum befangen,<br /> Ein holdes Wesen aus der Märchenzeit!<br /> Und doch – wie irdisch schön in Fleisch und Blut;<br /> So lockend hatte er sie nie gesehn! –<br /> Ihn bannte herrisch eine dunkle Macht.<br /> Die eignen Pulse hört er stürmisch jagen!<br /> Der jugendfrommen Minne milde Glut,<br /> Sie schlug begehrend auf in loher Flamme! –<br /> Dahin des Sonntags heilige Gefühle,<br /> Um Gut und Böse tobte noch der Kampf<br /> In seiner Brust. – Dann sprang er jählings auf<br /> Und riss sie zu sich hin in toller Lust,<br /> Sie an sich pressend, dass sein brennend Herz<br /> Das Wogen fühlte ihres jungen Bluts.<br /> Berauschend heisse Liebesworte raunt<br /> Sein Mund ihr stammelnd zu, verführerisch<br /> Wie sie nur je erdacht ein trunkner Sinn. – –<br /> Sie bebt, sie ringt, ihr Blick wird starr und gross –<br /> Gähnt vor ihr eines Abgrunds Finsternis?<br /> Sie fasst nicht, was sie hört; wie giftigen Hauch<br /> Verspürt sie es in seines Atems Wehen –<br /> Da endete des Glückes letzte Spur!<br /> »O Mutter, Mutter!« ringt sich endlich los<br /> Ein gellend heisrer Schrei von ihren Lippen! – –</p> <p>– Was kümmern sie der Buchen schlanke Gerten,<br /> Die ins Gesicht ihr schlagen, was die Ranken,<br /> Die straucheln lassen ihren flüchtigen Fuss.<br /> Nur fort, nur fort aus diesem Waldesdämmer,<br /> Das Sünde deckt mit der Versuchung Zauber!<br /> Sie flieht, sie irrt, wohin? nur fort, nur fort,<br /> Gehetzt von ihren folternden Gedanken! –<br /> Der Tag schritt vor. Durch Feld und Sumpfgestrüppe.<br /> Dem Wege fern, da frohe Menschen zogen,<br /> So hastete sie weiter. Dumpfes Grollen,<br /> Der einsam Wandernden ein ängstend Droh’n,<br /> Verhallte fernhin aus der Stadt Getriebe. –<br /> Schon blitzt es funkelnd auf, bald hier, bald da,<br /> Aus grauem Dunst, der um die Türme brütet,<br /> Als sie der letzten Strassen Zug erreicht.<br /> Wo dieses Meer in letzten Wogen brandet,<br /> Da wirft es eklen Abschaum an das Land.<br /> So trieb auch hier ein lauerndes Gesindel<br /> Sein Wesen, stets bereit zu schlimmer That.<br /> Das Mädchen mit der reinen Stirn – allein –<br /> Das schien ein guter Fund. Gemeine Gier,<br /> Sie grinste roh aus breitgezogenem Munde,<br /> Und wüste Worte zischten an ihr Ohr.<br /> Begehrend streckte sich die freche Faust<br /> Nach ihrer Schulter aus; und Fluch auf Fluch,<br /> Als sie mit letzter, banger Kraft entfloh,<br /> Verfolgte sie wie eine schmutzige Welle.<br /> Da nahte Schutz. Der Wächter des Revieres<br /> Schritt eilend nun der Zitternden entgegen.<br /> Gerettet schien sie, – doch die Pflicht macht hart,<br /> Und Argwohn war des Mannes harte Pflicht!<br /> Die Flüchtende, was führte sie hierher,<br /> In diese Gegend und um diese Stunde?<br /> Trieb Schuldbewusstsein sie? – Er frug, – sie schwieg;<br /> Es krampfte sich ihr Herz, da fremde Hand<br /> Sich an die blutend frische Wunde legte.<br /> Kein Ohr erfahre je der Seele Qual,<br /> Die jungfräulich sie fest in sich verschloss.<br /> Sie litt und schwieg. – Der Argwohn aber wuchs,<br /> Und rauhe Worte bannten sie: Zur Wache!<br /> Die Dirne werde schon gestehen müssen.</p> <p>In dumpfem Sinnen schritt sie vor ihm hin. –<br /> Von ferne tauchten auf vergangene Tage,<br /> Die Kinderzeit, der Mutter zartes Bild,<br /> Der Traum von jenem heissersehnten Glück,<br /> Nach dem die Hand sie durstig ausgestreckt,<br /> Das aber jäh zerbrach, da sie es fasste.<br /> In wirrem Flnge drang es auf sie ein,<br /> Und unerträglich schwer schien ihr die Last,<br /> Die keuchend sie auf ihren Schultern wälzte. – –<br /> Ein Gang nach Golgatha! Sie wollte heim.<br /> Ihr Heim, das lag in der krystallnen Ferne,<br /> Da reine Liebe thront in Glanz und Licht.<br /> – – – – – – – – – – – – – – – –<br /> Das alte Lied: ein gurgelnder Kanal,<br /> In dessen trägen angeschwollnen Wassern<br /> Die Sonne spielt in letztem Abendgold –<br /> Ein rascher Sprung, ein leiser Schrei, ein Fall –<br /> Und weiter gleitet dann die braune Welle,<br /> Und weiter grollt von fern das Menschenmeer<br /> Wie eine Bestie, die nach Opfern sucht! – –</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/otto-kindt" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Otto Kindt</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1904</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/otto-kindt/moritura" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Moritura" class="rdf-meta element-hidden"></span> Mon, 20 Jul 2015 22:00:02 +0000 akessler 1279 at https://www.textarchiv.com Hinter den Kulissen https://www.textarchiv.com/otto-kindt/hinter-den-kulissen <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Der Saal erstrahlt im Lichterglanz,<br /> Die Herrschaft hat jour fix mit Tanz. –<br /> Zum Schlüsselloch schleicht's Zöfchen sacht<br /> Und lauscht hinein in all die Pracht.<br /> Sie seufzt; ihr Herze wird so schwer:<br /> „Wenn ich doch auch ein Fräulein wär!<br /> Wie sie sich fein und zierlich drehn,<br /> Wie ihre lichten Kleider wehn!<br /> So fein gemessen lächeln sie,<br /> So kühl und vornehm fächeln sie!" –<br /> Sie meint, sie spürt die Kühle noch,<br /> Die zu ihr strömt durchs Schlüsselloch.<br /> Da schallen Schritte hinter ihr, –<br /> Das ist ihr Schatz, der Grenadier!<br /> Der nimmt sie um die Mitte rund<br /> Und küsst sie mitten auf den Mund. –<br /> Da geht's ihr glühend durch den Sinn:<br /> „Gottlob, dass ich kein „Fräulein“ bin!“ –</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/otto-kindt" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Otto Kindt</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1904</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/otto-kindt/hinter-den-kulissen" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Hinter den Kulissen" class="rdf-meta element-hidden"></span> Thu, 16 Jul 2015 20:24:28 +0000 akessler 1278 at https://www.textarchiv.com