Textarchiv - Stephan von Millenkovich https://www.textarchiv.com/stephan-von-millenkovich Österreichischer Lyriker, Erzähler, Offizier und Kartograph. Geboren am 9. März 1836 in Orsowa (Banat), Kaisertum Österreich. Gestorben am 12. März 1915 in Mödling, Niederösterreich. de Im Strafhause https://www.textarchiv.com/stephan-von-millenkovich/im-strafhause <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Mich trieb’s trotz einem heimlich stillen Grauen<br /> Hinein ins Strafhaus, das am Strome lag,<br /> Um die Gefangnen und ihr Thun zu schauen.<br /> Es war im Herbst und golden klar der Tag.<br /> Ich wies am Thor den Pass; der Riegel klirrte.<br /> Da stand ich nun in einem langen Gang,<br /> Den raschen Flugs mein Auge scheu durchirrte.<br /> Es folgte Thür auf Thür die Wand entlang.<br /> Die erste wurde mir jetzt aufgeschlossen:<br /> In eine Schreinerwerkstatt fiel mein Blick,<br /> Darin ein Schwarm Gefangner unverdrossen<br /> Die flinken Hände rührte mit Geschick.<br /> Ich suchte zu erforschıen ihre Mienen<br /> Und blickte jedem tief ins Angesicht;<br /> Allein, so seltsam sie mir auch erschienen,<br /> Verbrecher las ich doch aus ihnen nicht.<br /> In sich versenkt, wie völlig fremd dem Leben,<br /> Und ohne jeden Blitz der Leidenschaft,<br /> Mit stiller Fassung ihrem Los ergeben,<br /> Dem immer gleichen Tagslauf ihrer Haft,<br /> Dabei noch bartlos, kahl das Haupt geschoren,<br /> Sah’n sie, dem Kleid zu Trotz, wie Mönche aus.<br /> Die selbst die Abgeschiedenheit erkoren,<br /> Die Sünde fliehend und das Weltgebraus.<br /> Es gab mir der Direktor das Geleite.<br /> Da fiel mir’s auf: that er nur einen Schritt,<br /> Rührt’ er sich noch so leis an meiner Seite,<br /> So war’s, als zuckte jeder Sträfling mit.<br /> Griff er nach etwas, um es mir zu zeigen,<br /> Gleich sprangen alle dienstbereit herbei;<br /> Doch sah er keinen an und wies mit Schweigen<br /> Sie wieder fort, als ob’s nicht recht ihm sei.<br /> Und weiter ging’s. Gewerbe um Gewerbe<br /> Fand ich geübt und blickte kurz hinein;<br /> Dass keiner brütend innerlich verderbe,<br /> Sollt’ ihm ein Schirm die rüst’ge Arbeit sein.<br /> Wir kamen, mir zum Staunen, gar am Ende<br /> In eine Schmiede: hell die Glut entfacht,<br /> Und lauter Lärm, geschäftig alle Hände;<br /> Nur waren hier sie doppelt stark bewacht,<br /> Damit die Hammerschwinger sich nicht irren<br /> Und, von dem Drang nach Freiheit jäh erfasst,<br /> Mit Wucht die Waffe lassen niederschwirren,<br /> Zu brechen ihrer eignen Ketten Last.<br /> Jetzt waren in den Hofraum wir getreten,<br /> Da – welch ein lieblich Bild erschloss sich mir!<br /> Er war bepflanzt mit Rasen, Blumenbeeten,<br /> Und alles prangte rings in farb’ger Zier.<br /> So sah ich hier gepflegt nun auch das Schöne;<br /> Jedwedem Sträfling war gewährt die Gunst,<br /> Dass er des Schaffens nimmer sich entwöhne,<br /> Zu üben seine früh erlernte Kunst. – –<br /> Der Boden stieg bergan gemach; von oben<br /> Vermocht’ ich in die Fernen auszuschau’n:<br /> Da glänzten Bergeshäupter, duftumwoben,<br /> Und schimmernd floss der Strom durch grüne Au’n<br /> Die ganze Landschaft lag mir herrlich offen,<br /> Als wie verklärt im lichten Sonnenbrand;<br /> Ich stand bewegt, im Innersten getroffen,<br /> Bis ich zu dem Direktor mich gewandt:<br /> »Was sollten die Gefangnen hier vermissen,<br /> Wie sehnten sie sich in die Not zurück,<br /> Wär’ eins nur nicht: das nagende Gewissen,<br /> Und gäb’s nur ohne Freiheit je ein Glück!«<br /> »So ist’s!« Doch wer am schwersten wohl von allen<br /> In diesen Mauern hinlebt Jahr um Jahr?<br /> »Ich bin’s!« sprach jener, »dem das Los gefallen,<br /> Zu walten über der Verlornen Schar.<br /> Sie sah’n, mit welcher kühlen Handbewegung<br /> Ich früher die Gefangnen abgewehrt,<br /> Wie unzugänglich jeder Herzensregung,<br /> Als hätt’ ich mit Aussätzigen verkehrt.<br /> So musst’ ich sein! Ich darf mich nicht erweichen:<br /> Greift einer mir ans Herz auch noch so sehr,<br /> Verriet’ ich ihm’s nur mit dem kleinsten Zeichen,<br /> Ich säte Zwietracht, und er büsst’ es schwer.<br /> Ihn träfe noch zu allen seinen Bürden<br /> Der lauernden Genossen Neid und Hass,<br /> Indes sie gegen mich zu Heuchlern würden,<br /> Mir hündisch schmeichelnd ohne Unterlass.<br /> Wie dringt mich’s oft, den Bessern anzusprechen,<br /> Dem die Vergangenheit und Gegenwart<br /> Mit spitzem Stachel in die Seele stechen;<br /> Doch muss ich lieblos scheinen, kalt und hart.<br /> Nur wenn die Stunde kommt für Den und Jenen,<br /> Wo ich ihm’s endlich künden kann: Zieh’ fort!<br /> Dann darf das langverschlossne Herz sich dehnen<br /> Und überquellen warm im Freundeswort.<br /> Ich geb’ ihm, was er sich erwarb durch Jahre,<br /> Und geb’ ihm Liebe, die er lang entbehrt;<br /> Mich zwingt nichts mehr, dass ich mit Worten spare,<br /> Ich sag’ ihm’s: Du warst gut und bist mir wert!<br /> Da seh’ ich ihn froh zitternd vor mir stehen,<br /> Wie mir die Augen feucht, die Pulse glühn:<br /> Leb’ wohl! Was hinter dir, lass untergehen,<br /> Und mög’ ein neues Dasein dir erblühn!«</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/stephan-von-millenkovich" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Stephan von Millenkovich</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1904</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/stephan-von-millenkovich/im-strafhause" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Im Strafhause" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sun, 25 Dec 2016 12:31:04 +0000 admin 5333 at https://www.textarchiv.com