Textarchiv - Richard Dehmel https://www.textarchiv.com/richard-dehmel Deutscher Dichter. Geboren am 18. November 1863 in Wendisch-Hermsdorf, Mark Brandenburg. Gestorben am 8. Februar 1920 in Blankenese. de Heimweh in die Welt https://www.textarchiv.com/richard-dehmel/heimweh-in-die-welt <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Blieb es doch so lang’ vor Liebe stumm;<br /> kann ich doch mein Herz, mein Herz nicht töten.<br /> War ich Dein, nur Dein in Glut und Nöten;<br /> weißt warum?<br /> Weil mein Herz so wild;<br /> weil es Meere braucht,<br /> wenn der Sturm ins Blut mir taucht;<br /> weil es Deine Tiefen so gefühlt.</p> <p>Doch wenn nun der Frühling wieder sprießt,<br /> o ich fühl’s, ich fühl’s, so stumm ich blieb,<br /> und im warmen Sturm der junge Trieb<br /> schwillt und schießt:<br /> wird mein Herz so wild,<br /> weil es Meere braucht,<br /> wenn der Sturm ins Blut mir taucht,<br /> weil es so in alle Weiten fühlt.</p> <p>Hast es doch gewußt. Es war im Mai:<br /> als der schreckende Blitz uns rot umlohte,<br /> als ich meinem Bruder Donner drohte,<br /> wild und frei:<br /> gabst mir deine Hand,<br /> mein in Glut und Schmerz,<br /> sankest mir ans junge Herz,<br /> unten tief das ferne deutsche Land.</p> <p>Und wenn nun der Frühling blühen will<br /> und die wilden Blitze wieder glühn<br /> und im Sturm die Meere wieder sprühn:<br /> dann, oh still!<br /> gieb mir deine Hand,<br /> Einmal noch ein Schmerz,<br /> Einmal noch ein deutsches Herz.<br /> dann – leb wohl, mein Weib, mein Vaterland.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/richard-dehmel" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Richard Dehmel</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1893</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/richard-dehmel/heimweh-in-die-welt" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Heimweh in die Welt" class="rdf-meta element-hidden"></span> Tue, 21 Jun 2016 22:00:01 +0000 akessler 1768 at https://www.textarchiv.com Zur Beichte https://www.textarchiv.com/richard-dehmel/zur-beichte <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Ich war der Herr der Welt vor dir,<br /> im Traum;<br /> wie eine Sonne warst du mir,<br /> im Traum.<br /> Ich schmückte dich mit allen guten<br /> Glücksehnsuchtsgluten<br /> in diesem Traum,<br /> und hieß dich leuchten, ließ dich schweben.<br /> Und habe mich in den Staub gebogen<br /> vor dir, im Traum,<br /> und dich belogen und betrogen<br /> im Staub, im Traum –<br /> komm, laß uns leben!</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/richard-dehmel" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Richard Dehmel</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1893</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/richard-dehmel/zur-beichte" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Zur Beichte" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sat, 07 May 2016 22:00:06 +0000 akessler 1766 at https://www.textarchiv.com Aufblick https://www.textarchiv.com/richard-dehmel/aufblick <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Ueber unsre Liebe hängt<br /> eine tiefe Trauerweide.<br /> Nacht und Schatten um uns beide;<br /> unsre Stirnen sind gesenkt.</p> <p>Wortlos sitzen wir im Dunkeln;<br /> einstmals rauschte hier ein Strom,<br /> einstmals sahn wir Sterne funkeln …</p> <p>Ist denn Alles tot und trübe? –<br /> Horch: ein ferner Mund! vom Dom!</p> <p>Glockenchöre … Nacht … und Liebe …</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/richard-dehmel" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Richard Dehmel</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1893</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/richard-dehmel/aufblick" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Aufblick" class="rdf-meta element-hidden"></span> Thu, 28 Apr 2016 22:00:02 +0000 akessler 1767 at https://www.textarchiv.com Grüße!!! https://www.textarchiv.com/richard-dehmel/gruesse <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Drei Ausrufungzeichen und „Lieber Freund“ –<br /> hat er das blos so hingemeint?<br /> Er ist doch sonst nicht von der Sorte,<br /> die Jedem gleich alle zehn Finger reichen;<br /> und ich weiß, er wägt seine schriftlichen Worte<br /> und verschleudert keine Ausrufungzeichen.<br /> Hm; nimmt er mich also für seines Gleichen?<br /> Er weiß doch: in Dem, was ist und scheint,<br /> sind unsre Gehirne sich ziemlich feind!<br /> Also wahrhaft gemeint? – Ja, lieber Freund? –<br /> Dann, hier, beide Hände – zehn Ausrufungzeichen!</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/richard-dehmel" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Richard Dehmel</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1893</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/richard-dehmel/gruesse" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Grüße!!!" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sun, 17 Apr 2016 22:00:02 +0000 akessler 1396 at https://www.textarchiv.com Ein Ewiger https://www.textarchiv.com/richard-dehmel/ein-ewiger <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Ich lag in einem dunklen Taxushain<br /> und hatte Furcht . . .<br /> Im Schatten vor mir saß ein Mann,<br /> der war wie eine große<br /> nebelvolle Höhle,<br /> in der ein riesenhafter Dachs der Urzeit<br /> neue Welten träumte;<br /> nur ab und zu<br /> schob er seine schweren Wühlerhände<br /> durch das Gitter,<br /> und mit grauen,<br /> grausam traurigen Augen<br /> griff er sich ein Menschenhirn zum Fraß.<br /> Und über ihn, im Hintergrund der Höhle,<br /> mit unendlich weichem,<br /> kleinem stolzen Munde,<br /> in einen grünen Sack gewickelt,<br /> lag eine schöne geistesirre Frau gekauert,<br /> die weinte über den traurigen Dachs . . .<br /> Da hob der Mann<br /> die starre Gottesstirne zu mir her,<br /> darüber ihm die Haare<br /> seidenfein und blond<br /> in langen wirren Wellen lagen,<br /> als ob er eben aufgehört zu fliegen;<br /> und seine scheuen Frauenlippen zuckten<br /> Ich aber sah hinauf,<br /> wo durch den dunklen Taxuswald<br /> der kalte blaue Himmel straalte,<br /> klar, weit, hoch,<br /> und sah die Sonne um das Höhlengitter blitzen,<br /> und eine Freude wie im Winter<br /> verbrannte meine Furcht zu Funken,<br /> die sprühten einen Namen in das Dunkel,<br /> riesenhaft:<br /> STRINDBERG . . .</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/richard-dehmel" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Richard Dehmel</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1893</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/richard-dehmel/ein-ewiger" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Ein Ewiger" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sat, 19 Mar 2016 23:00:01 +0000 akessler 1395 at https://www.textarchiv.com Das Gesicht https://www.textarchiv.com/richard-dehmel/das-gesicht <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Er saß und konnte nicht los<br /> aus dieser drückenden Qual.<br /> Immer wieder<br /> sank es über ihn,<br /> wie ein magnetischer Ring um die Stirn,<br /> und lähmte seine Hand,<br /> seit Wochen nun schon,<br /> seitdem er wieder gesund war,<br /> immer wenn er malen wollte,<br /> immer die eine, große, unerfüllte Lust,<br /> das Ziel der hundert frohen<br /> Mühen und Entwürfe,<br /> das Bild, das Bild:<br /> ihr Gesicht –<br /> was er auch Neues vornehmen mochte.</p> <p>Er hörte sie im Nebenraum hantieren,<br /> durch den Teppich hindurch.<br /> So verhalten klang es,<br /> so fremd.<br /> Und die Brandflecken auf dem Teppich! –<br /> Er fühlte seine starken<br /> Schultern zucken,<br /> ohne daß er’s wehren konnte.<br /> Er sah müde und verächtlich<br /> in die Landschaft auf der Staffelei,<br /> und warf den Pinsel weg,<br /> und sah scheu nach der Wand drüben,<br /> nach dem Menschenbilde da.</p> <p>Da hing es und wartete,<br /> das letzte von den vielen;<br /> das sie noch gerettet hatte aus dem Brande,<br /> im letzten Augenblick,<br /> aus den fliegenden Flammen.<br /> Es war wie ein Bann:<br /> diese ungelöste Aufgabe,<br /> dies Gesicht.</p> <p>Oh gewiß – es war ja fertig,<br /> war ja ein Bild,<br /> ein Bild, wie nur Er es malen konnte:<br /> dies Weib da, mit der Narzisse<br /> in den streng gefalteten Händen.<br /> Sie duftete fast,<br /> die vorgebeugte<br /> makellose<br /> leuchtende Blüte<br /> mit dem purpurgelben Krönchen<br /> auf dem weißen Stern,<br /> die berauschende Blüte,<br /> vor den jungen, nackten, vollen Brüsten.<br /> Und darüber so stumm<br /> ihr gewährender Mund;<br /> und darüber die blauen<br /> drohenden Augen,<br /> groß und dunkel ins Weite gerichtet;<br /> und darüber ihre Haarglut,<br /> matt und schwer und rot wie Kupfergold,<br /> grünlich umschattet<br /> vom spitzen, glänzenden Laubwerk<br /> des alten Myrtenbaumes<br /> mit den kleinen,<br /> schimmernd springenden Knospen.<br /> Ja, seine Freunde hatten gescholten,<br /> daß er’s der Welt nicht zeigen wollte;<br /> damals.</p> <p>Aber das war es ja:<br /> auch jetzt nicht!<br /> und nie, niemals,<br /> bis er das Eine gefunden,<br /> das noch drin fehlte,<br /> Ihm nur sichtbar,<br /> das nur Er vermißte in seinen Bildern,<br /> das letzte Rätsel ihres Gesichtes:<br /> Das, warum er sie liebte.</p> <p>Oh, und nun war’s unmöglich,<br /> war es zerstört<br /> dies stille lebendige Rätsel,<br /> von den Flammen gefressen<br /> das Geheimnis ihrer Züge,<br /> von Narben zerrissen<br /> dieser stolze Hals,<br /> diese seltenen Lippen;<br /> und um seinetwillen.<br /> Und er hatte doch gewußt,<br /> mit seiner ganzen Kraft gewußt,<br /> daß es endlich ihm glücken würde,<br /> daß er’s ihr ablauschen würde<br /> und auf die Leinewand zwingen,<br /> dies lockende Wunder;<br /> nicht aus den Augen,<br /> nicht aus den Mundwinkeln,<br /> da saß es nicht,<br /> in keiner Einzelheit,<br /> auch in der Stimmung nicht –<br /> das hatte er Alles<br /> versucht und getroffen.<br /> Es war ein Ausdruck, ein Ausdruck;<br /> und er war ihm so nahe gewesen,<br /> in seinem letzten Bilde,<br /> dem an der Wand da drüben,<br /> dem einzigen übrigen.<br /> Und jetzt, jetzt –?<br /> er preßte die Finger ineinander,<br /> er hätte sie blutig drücken mögen.</p> <p>Und Alles, weil er sie liebte;<br /> grade weil.<br /> Und weil er so stark war.<br /> Ob es wol Strafen gab?<br /> Strafen der Kraft?<br /> aus sich selbst?<br /> Der gebrochene Fuß! –<br /> Ob Liebe Sünde war?<br /> Nicht überhaupt,<br /> aber für Ihn:<br /> Sünde gegen die Kunst,<br /> Uebermannung!<br /> Denn es war ja nicht gleich so gewesen;<br /> was ging ihn ihre Seele an.<br /> Aber allmählich –<br /> oh, das war’s ja aber,<br /> das Heilige,<br /> auch für den Künstler,<br /> Das, was ihm die Augen geöffnet hatte,<br /> das Allerheiligste der Form:<br /> die verschlossene Seele,<br /> die Gegenseitigkeit alles Lebendigen! –<br /> Und so war’s denn geworden:<br /> das Modell zum Weibe,<br /> der Leib zum Wesen,<br /> und immer gegenseitiger<br /> dem Künstler ihre Schönheit,<br /> und immer gegenseitiger<br /> dem Menschen ihr Geschlecht.<br /> Nein, er wollte es nicht;<br /> nur mit den Augen wollt’er sie haben,<br /> ihre Augen,<br /> die nachtblau dunklen, schwimmenden Blumen,<br /> ihr quellentiefes, stilles Gesicht,<br /> Alles! –<br /> Und doch:<br /> wie er sie dann erkannte,<br /> diese Gestalt,<br /> Blick für Blick,<br /> und Ahnung um Ahnung sicherer wurde,<br /> fester im Bilde,<br /> und sich alles ihr entgegenspannte<br /> in seinen Sinnen,<br /> und ihre Innigkeit mit seiner Sehnsucht wuchs:<br /> es war ja Natur, Natur!<br /> war das Ohnmacht?<br /> jener Augenblick,<br /> nach jenem letzten Bilde,<br /> als er sie am Handgelenk heranriß,<br /> noch zitternd vor schaffendem Entzücken,<br /> und ihr den neuen Ausdruck zeigte,<br /> der sie fast enträtselte,<br /> diese verlangende Keuschheit,<br /> und dann sie ansah,<br /> schwül und durstig,<br /> das Eine Letzte suchend,<br /> und sie’s nicht aushielt länger<br /> und an ihm niederwankte,<br /> so warm und schwer,<br /> und er an ihr:<br /> oh Versunkenheit! –<br /> Und dann, dann:<br /> es war zu hart,<br /> zu widersinnig hart:<br /> wie er sie hochgerissen hatte mit tollen Armen,<br /> schreiend vor Lust und doppeltem Ueberglück,<br /> und mit ihr über den Schemel sprang:<br /> dieser tückische Knöchelbruch, –<br /> um den er damals noch lachen konnte<br /> in seiner schwelgenden Liebe,<br /> damals.</p> <p>Er lauschte.<br /> Was sie wol dachte jetzt.<br /> An ihn nur.<br /> Das fühlte er.<br /> Das war das Schwere,<br /> der magnetische Ring.</p> <p>Wie still sie wieder saß;<br /> daß er sie nur nicht merken möchte,<br /> da in der kleinen Kammer,<br /> hinter dem Teppich;<br /> nichts rührte sich;<br /> so war’s nun Tag für Tag.<br /> Und Abends die Angst,<br /> die heimlich Angst,<br /> mit der sie sich im Dunkeln hielt,<br /> im Halblicht,<br /> oder ihr Gesicht verhüllte,<br /> daß er es nur nicht sehen möchte;<br /> daß er sie nur vergessen möchte,<br /> ihre tote Schönheit,<br /> das Bild ihrer Seele,<br /> diese quälende Unmöglichkeit.<br /> Ja: die Angst in der Luft,<br /> das war’s,<br /> das machte ihn zunichte,<br /> diese Liebe.</p> <p>Ja, und war denn das noch Liebe?<br /> dieser lähmende Zwang!<br /> War nicht Alles blos Erinnerung.<br /> Nicht einmal Nachts,<br /> nicht anrühren konnt’er sie mehr,<br /> ohne daß es wieder vor ihm stand,<br /> das ganze furchtbar rote Schauspiel,<br /> und ihm heiß und kalt die Sinne benahm.<br /> Wie sie ihn geweckt,<br /> ihn herausgehoben hatte<br /> mit seinem kranken, dick verschienten Fuß<br /> aus dem qualmenden Bett,<br /> hinter ihr her schon die leckenden Flammen,<br /> durch die Thür<br /> und hinab die dreizehn dunklen Treppenstufen –<br /> oh, sie war stark,<br /> fast so stark wie Er!<br /> und dann zurückgestürzt war<br /> und sich nicht halten ließ,<br /> wieder hinauf,<br /> um das Bild noch zu retten,<br /> das eine wenigstens,<br /> hinein in das glühende Viereck oben<br /> mit den langen, offenen Flechten,<br /> die im Feuerschein flossen wie blutige Seide –<br /> dies Flimmern!<br /> Und auf Einmal der Schrei,<br /> dieser lange, zerreißende Schrei,<br /> und das polternde Bild,<br /> herunter zu ihm,<br /> und oben sie,<br /> groß,<br /> in entsetzlicher Pracht,<br /> mit den greifenden Armen,<br /> die roten Haare zu bläulichen Funken zerflatternd,<br /> eine sprühende Glorie;<br /> züngelnde Flügel<br /> um den keuchenden Busen;<br /> und die grauenhaft flackernden Augen!<br /> Und Er<br /> hilflos da unten sich krümmend!<br /> Und noch Einmal der Schrei,<br /> der heiße, tierische Schrei,<br /> und sein eigener Schrei:<br /> wie sie wieder sich dreht,<br /> eine brennende Garbe,<br /> noch Einmal hinein –<br /> daß ihn die Sinne verlassen,<br /> bis die Leute ihn wecken<br /> und sie neben ihm liegt,<br /> in den Teppich gewickelt,<br /> nach dem sie zurückgerannt<br /> in letzter, gräßlicher Besonnenheit,<br /> den lodernden Schmerz zu ersticken,<br /> das tapfere, starke Geschöpf –<br /> seine Retterin!</p> <p>Ob sich das wol malen ließe:<br /> feurige Flügel?<br /> Nein Narrheit;<br /> so wenig wie der Sonnenstrahl,<br /> der da auf der Palette blitzte.<br /> Ach, das Sonnenlicht!<br /> wie ihr Haar drin schillerte früher,<br /> so glatt und wogend;<br /> ob es wol wiederwachsen würde?<br /> Aber was nützte das!<br /> Ihr Gesicht,<br /> das war das Unersetzliche;<br /> die Erinnerung,<br /> die ihn zu ihr zog<br /> und von ihr stieß.</p> <p>Er stierte zu Boden.<br /> Wenn sie doch gestorben wäre,<br /> ja, gestorben,<br /> nicht blos für Ihn.<br /> Dann würd’er zu ihr beten können,<br /> sein ganzes Leben lang,<br /> ruhig,<br /> traurig,<br /> wie als Kind zur Jungfrau Maria.<br /> Nein, Maria Magdalena<br /> hatte er immer gemeint,<br /> immer wenn er Sonntags knieen mußte:<br /> seitdem er sich heimlich die Bibel gekauft,<br /> bis die Mutter sie fand und ihn schlug, –<br /> Magdalena,<br /> die fühlende Sünderin.</p> <p>Ach, was sollte dies Grübeln.<br /> Sie lebte ja,<br /> lebte und liebte ihn,<br /> und war gesund,<br /> gesund wie Er.<br /> O das schöne, blühende Wort!<br /> Oh, ihre quälende Häßlichkeit!<br /> ihre mahnende Nähe!<br /> die Lust und der Abscheu!<br /> Ohnmacht!</p> <p>Er sah wieder auf,<br /> nach dem Teppich,<br /> nach dem Narzissenbild.<br /> Wenn er’s verkaufen würde.<br /> Ob er dann vielleicht Ruhe hätte.<br /> Wozu auch diese Versessenheit,<br /> ohne Sinn und Verstand,<br /> auf das eine einzige Bischen Seele.<br /> Wozu denn überhaupt<br /> der ganze pedantische Tiefsinn.<br /> Warum war’s ihm nicht genug<br /> an dem farbigen Witz, wie den Andern;<br /> an der Lichtflunkerei,<br /> über die er sonst spottete.<br /> Es war doch so einfach:<br /> was Neues probiren! –<br /> Aber sie, sie blieb ja.<br /> Und wenn er das Bild in Stücke zerschnitte,<br /> die Erinnerung blieb,<br /> solange sie selbst blieb;<br /> und mit ihr der Zwang.<br /> Und die Erinnerung<br /> ließ sich nicht malen.</p> <p>Freiheit! – Ja:<br /> das war das Ungesunde,<br /> das war unsittlich:<br /> diese widernatürliche<br /> dumpfe Gemeinschaft,<br /> Knechtschaft,<br /> Leibeigenschaft!</p> <p>Er starrte auf die Palette,<br /> ein Wolkenschatten wischte den Lichtstrahl aus;<br /> wenn er ihr Schminke gäbe –<br /> ihn ekelte.<br /> Und die Form<br /> bliebe ja dennoch zerstört,<br /> die Seele im Gesicht.<br /> Und ihre Scham! ihr Stolz!<br /> dann<br /> würde sie<br /> gehen!<br /> Aber das wollte er doch?<br /> Dann das Bild auf die Ausstellung,<br /> weg damit,<br /> eine Reise;<br /> Gletschersonne!<br /> Ein, zwei Jahre würd’es schon noch reichen,<br /> das Geld für das Bild<br /> und der Rest seiner Erbschaft;<br /> er würde blos arbeiten.<br /> Und er hatte ja genug gelernt an ihr!<br /> er wollt’es den Andern schon zeigen,<br /> warum er so lange im Stillen gesessen! –<br /> Und sie?<br /> Sie war ja klug genug,<br /> die Höhere Tochter;<br /> sie konnte ja Unterricht geben,<br /> oder als Buchhalterin –<br /> oder er würde ihr selber was schicken.<br /> Nein: das würde sie nicht nehmen.<br /> Und:<br /> und wenn die Leute sie nicht haben wollten:<br /> mit ihrem entstellten Gesicht! –<br /> Oh, dies Gewissen!<br /> Warum hatte er dies Gewissen!<br /> Ja: für die Kunst, da war’s gut.<br /> Aber fürs Leben:<br /> fürs Leben brauchte man doch kein Gewissen! –<br /> Nicht, weil er sie verführt hatte;<br /> nein!<br /> eher sie ihn.<br /> Oder weil sie eine Verstoßene war –<br /> eine Verstoßene?<br /> um seinetwillen!<br /> Nein: das war ja aus ihr selbst gekommen.<br /> Warum war sie denn wiedergekommen,<br /> noch eh er von Liebe was ahnte;<br /> und immer wieder,<br /> bis sie bleiben mußte.<br /> Das war ihr Verhängnis!<br /> ja, ihr eigenes Verhängnis:<br /> ihr Wille! –<br /> Weil sein Ernst sie lockte;<br /> was die Eltern auch sagen mochten.<br /> Weil sie seinen reinen Willen fühlte.<br /> Aber:<br /> aber war er denn rein?<br /> Ja –<br /> bis er ihn verlor,<br /> in jenem Augenblick,<br /> den Willen zur Form.<br /> Nein, schon vorher:<br /> bis er die Seele sah.<br /> Aber das war ja die Form,<br /> die verschlossene Seele;<br /> was Er gesucht hatte,<br /> was sie empfunden hatte,<br /> warum sie ihm vertraute,<br /> ihm, dem Künstler.<br /> Nein, auch dem Menschen!<br /> dem Menschen, der über sich stand,<br /> über Sich und Natur,<br /> über Seele und Leben.<br /> Und doch nicht!<br /> es war ja das Selbe,<br /> die selben Sinne,<br /> die selbe Natur:<br /> die Kraft des Künstlers, des Menschen.<br /> Ja: da hing es:<br /> jener Augenblick,<br /> jenes Bild:<br /> seine Kunst, sein Wille,<br /> sein Leben, ihr Leben,<br /> Das war Alles das Selbe,<br /> das folternde, drohende Selbe!<br /> denn sein Leben,<br /> das, das war er ihr schuldig,<br /> ihr, seiner Retterin!<br /> sein Leben,<br /> seine Kunst,<br /> seine Arbeit,<br /> seinen Zweck und Glauben!</p> <p>Er fuhr zusammen,<br /> ein neuer Wolkenschatten<br /> huschte durch die Stille.<br /> Er preßte die Augen zu;<br /> er wollt’es schon gar nicht mehr sehen,<br /> das fordernde, drohende Bild;<br /> er haßte es schon!<br /> Er drückte die Fäuste in die Augen,<br /> daß sie flimmerten.<br /> Er sah es nur mächtiger,<br /> im sprühenden Glanz,<br /> und sah sie, sie,<br /> wie sie jetzt war,<br /> mit dem schiefen, gestaltlosen Mund,<br /> mit dem haarlosen Kopf,<br /> mit den Narben um Nase und Kinn,<br /> mit dem blanken, striemenroten Hals.<br /> Er stöhnte laut auf,<br /> daß ihn graute<br /> vor der hohlen, einsamen Stimme.</p> <p>Da:<br /> das war doch seine Stimme nicht?<br /> Zagend, suchend<br /> kam es durch den großen Raum:<br /> „Riefest du?“<br /> weich und schwer,<br /> wie der Teppich, den er schwanken hörte.</p> <p>Er sah nicht auf.<br /> Er fühlte, wie sie fragend stand.<br /> Nur nicht jetzt ihr Gesicht!<br /> Er wollte sprechen.<br /> Da kam sie.</p> <p>Er wollte den Kopf schütteln;<br /> aber ihre Hand auf seiner Schulter,<br /> ihr Warten!<br /> Es war nicht möglich,<br /> es zwang ihn hoch,<br /> er mußte sie ansehn,<br /> ansehn,<br /> am weißen Morgenkleid hinauf,<br /> ihren Hals,<br /> und –<br /> Rot,<br /> und ein brausendes Schwarz,<br /> Seele,<br /> der Blick,<br /> ihr Gesicht,<br /> es war Uebergewalt,<br /> da stand sie,<br /> hoch,<br /> starr,<br /> erbebend:<br /> „Ich<br /> werde<br /> gehen“ –<br /> und wollte sich wenden.<br /> Und Er<br /> sah sie an,<br /> an,<br /> und seine Augen wurden immer weiter,<br /> daß sie nicht loskonnte,<br /> immer durstiger,<br /> und seine Finger tasteten und griffen,<br /> es zu fassen,<br /> zu halten,<br /> das unerkannte<br /> letzte<br /> Eine,<br /> das selige Wunder,<br /> Das, was ihn zu ihr in die Kniee riß,<br /> warum er sie umklammerte,<br /> weinend,<br /> „Offenbarung“ stammelnd:<br /> ihre große Sittlichkeit,<br /> die Schönheit ihrer Erschütterung!</p> <p>Und nun,<br /> weich,<br /> weich, schwer und leise,<br /> sank auch sie herab an ihm,<br /> Knie an Knie,<br /> kindermild,<br /> anders wie damals;<br /> und er küßte die gestaltlosen Lippen<br /> und schlang die Hände um den haarlosen Kopf<br /> und hielt sie von sich,<br /> schauend – schauend – nein:<br /> Das lag nicht in den Augen,<br /> nicht in den Mundwinkeln,<br /> in keiner Einzelheit:<br /> das würde ihn zur Andacht zwingen,<br /> und wenn sie ganz verschleiert vor ihm läge:<br /> diese strömende Hohheit,<br /> diese heilige, siegende Demut.</p> <p>Und er mußte es sagen,<br /> lachend,<br /> das Ueberflüssige –<br /> „Ich liebe dich“.</p> <p>Und wie sie sich erhoben von den Knieen,<br /> in ihrer Klarheit,<br /> und der breite Sonnenstrahl<br /> auf der Palette blitzte,<br /> nach der Wand hinüber,<br /> nach dem Myrtenbilde,<br /> da stieg es vor ihm auf,<br /> neu und mächtig:<br /> „Weißt du, wie ich dich malen werde?<br /> Blut und Nacht,<br /> Sterne,<br /> nur Auge und Bewegung:<br /> Magdalena,<br /> der Welt den Gekreuzigten zeigend“.</p> <p>„In den liebenden Armen“,<br /> sagte sie dunkel.</p> <p>Ein Wolkenschatten …</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/richard-dehmel" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Richard Dehmel</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1893</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/richard-dehmel/das-gesicht" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Das Gesicht" class="rdf-meta element-hidden"></span> Tue, 16 Feb 2016 23:00:02 +0000 akessler 1764 at https://www.textarchiv.com Liebe https://www.textarchiv.com/richard-dehmel/liebe <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Tief und tiefer: seliges Geben,<br /> bang Empfangen – welch Verschulden!<br /> Schwellend wühlt sich Leben in Leben:<br /> wildes Wachsen, stilles Dulden.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/richard-dehmel" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Richard Dehmel</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1893</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/richard-dehmel/liebe" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Liebe" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sun, 07 Feb 2016 23:00:02 +0000 akessler 1765 at https://www.textarchiv.com Bastard https://www.textarchiv.com/richard-dehmel/bastard <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Nun weißt du, Herz, was immer so<br /> in deinen Wünschen bangt und glüht,<br /> wie nach dem ersten Sonnenschimmer<br /> die graue Nacht verlangt und glüht,<br /> und was in deinen Lüsten<br /> nach Seele dürstet wie nach Blut,<br /> und was dich jagt von Herz zu Herz<br /> aus dumpfer Sucht zu lichter Glut.</p> <p>In früher Morgenstunde<br /> hielt heut mein Alb mich schwer umstrickt:<br /> aus meinem Herzen wuchs ein Baum,<br /> o wie er drückt! er schwankt und nickt;<br /> sein seltsam Laubwerk thut sich auf,<br /> und aus den düstern Zweigen rauscht<br /> mit großen heißen Augen<br /> ein junges Vampyrweib – und lauscht.</p> <p>Da kam genaht und ist schon da<br /> Apoll im Sonnenwagen;<br /> es flammt sein Blick den Baum hinan,<br /> die Vampyrbraut genießt den Bann<br /> mit dürstendem Behagen.<br /> Es sehnt sein Arm sich wild empor,<br /> vier Augen leuchten trunken;<br /> das Nachtweib und der Sonnenfürst,<br /> sie liegen hingesunken.</p> <p>Es preßt mein Herz die schwere Last<br /> der üppigen Sekunden,<br /> es stampft auf mir der Rosse Hast –<br /> er hat sich ihr entwunden.<br /> Schon schwillt ihr Bauch von seiner Frucht,<br /> hohl fleht ihr Auge: bleibe!<br /> Er stößt sie sich vom Leibe,<br /> von Ekel zuckt des Fußes Wucht,<br /> hin ras’t des Wagens goldne Flucht.</p> <p>Es windet sich im Krampfe<br /> und stöhnt das graue Mutterweib,<br /> mit ihren Vampyrfingern gräbt<br /> sie sich den Lichtsohn aus dem Leib,<br /> er ächzt – ein Schrei – Erbarmen: ich,<br /> mich hält der dunkle Arm umkrallt,<br /> da bin ich wach – – doch hör’ich,<br /> wie noch ihr Fluch und Segen hallt:</p> <p>Drum sollst du dulden dies dein Herz,<br /> das so von Wünschen bangt und glüht,<br /> wie nach dem ersten Sonnenschimmer<br /> die graue Nacht verlangt und glüht,<br /> und sollst in deinen Lüsten<br /> nach Seele dürsten wie nach Blut,<br /> und sollst dich mühn von Herz zu Herz<br /> aus dumpfer Sucht zu lichter Glut!</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/richard-dehmel" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Richard Dehmel</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1893</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/richard-dehmel/bastard" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Bastard" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sat, 09 Jan 2016 23:00:02 +0000 akessler 1397 at https://www.textarchiv.com Das Ideal https://www.textarchiv.com/richard-dehmel/das-ideal <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>Doch hab ich meine Sehnsucht stets gebüßt;<br /> ich ging nach Liebe aus auf allen Wegen,<br /> auf allen kam die Liebe mir entgegen,<br /> doch hab ich meine Sehnsucht stets gebüßt …</p> <p>Es stand ein Baum in einem Zaubergarten,<br /> von tausend Blüten duftete sein Bild,<br /> doch eine leuchtete vor allen mild;<br /> es stand ein Baum in einem Zaubergarten.</p> <p>Und aus den tausend pflückte ich die eine,<br /> sie war noch schöner mir in meinen Händen;<br /> ich aber kniete, Dank dem Baum zu spenden,<br /> von dem aus tausend ich gepflückt die eine.</p> <p>Ich hob die Augen zu dem Zauberbaume,<br /> und wieder schien vor allen Eine licht,<br /> und meine welkte schon – ich dankte nicht;<br /> ich hob die Augen zu dem Zauberbaume …</p> <p>Doch hab ich meine Sehnsucht nie verlernt;<br /> ich ging nach Liebe aus auf allen Wegen,<br /> auf jedem glänzte mir ein andrer Segen,<br /> drum hab ich meine Sehnsucht nie verlernt.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/richard-dehmel" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Richard Dehmel</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1893</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/richard-dehmel/das-ideal" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Das Ideal" class="rdf-meta element-hidden"></span> Thu, 24 Dec 2015 23:00:02 +0000 akessler 1398 at https://www.textarchiv.com Jesus der Künstler https://www.textarchiv.com/richard-dehmel/jesus-der-kunstler <div class="field field-name-body field-type-text-with-summary field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:text content:encoded"><p>So war’s. So stand ich: dumpf, doch fühlend: stumm:<br /> im roten Saal, reglos, in dunkler Ecke:<br /> dumpf, starr und fühlend: schwer: Stein unter Steinen:<br /> bang: starr, und fühlend! –<br /> Die schlanken Alabastersäulen leuchten;<br /> vom hohen Saum der Purpurkuppel hängen<br /> und glänzen weit ihr silbern Licht herab<br /> im Doppelkreis die großen weißen Ampeln;<br /> die roten Nischen bergen zarte Schatten<br /> und spiegeln sich im blanken Pfeilerwerk;<br /> es ist so still ...<br /> Und stumm gleich mir und unbewegt, von Nische<br /> zu Nische, stehn Gestalten: Mann und Weib.<br /> In weißer Nacktheit stehn sie schimmernd da;<br /> die glatten Sockelblenden werfen Strahlen;<br /> die roten Wände füllen lebensweiche<br /> geheime Schmelze um den Rand der Glieder;<br /> von Kraft und Ruhe träumt der reine Stein;<br /> sie sind so schön ...<br /> Ich aber hocke in der dunklen Ecke<br /> und fühle meines Leibes Magerkeit<br /> und meiner Stirne graue Sorgenfurchen<br /> und meiner Hände rauhe Häßlichkeit.<br /> In meinem Staub, in meinen Straßenlumpen<br /> mißfarben angetüncht, so hocke ich<br /> auf fahlem Postamente, steif und bang,<br /> vor ihrer Nacktheit mich der Kleider schämend:<br /> Stein unter Steinen ...<br /> Nur Einer atmet in der stillen Halle.<br /> Dort in der Mitte, auf dem mattgestreiften<br /> eisblassen Marmor, liegt im Dornenkranz,<br /> blutstropfenübersät die bleiche Stirn,<br /> ein Mensch und schläft. Sein weißer Mantel hebt sich<br /> in langen Falten leise auf und nieder.<br /> Im Silberlicht der Ampeln glänzen rötlich<br /> der schmale Bart, das schwere, weiche Haar.<br /> Hinauf zur Kuppel bebt der milde Mund;<br /> so lautlos schön ...<br /> Nun kommt ein Seufzen durch den stummen Glanz.<br /> Die stillen Lippen haben sich geöffnet.<br /> Im blanken Alabaster spiegelt sich<br /> des blutbesprengten Hauptes leise Regung.<br /> Klar, langsam thun zwei große blaue Augen<br /> empor zur Purpurwölbung weit sich auf,<br /> sanft auf; und alles Rot und Weiß des großen<br /> Gemaches überleuchtet dieser großen<br /> verklärten Augensterne dunkeltiefes,<br /> unsäglich tiefes, dunkles, sanftes Blau.<br /> So steht er auf ...<br /> Da scheinen sich die Steine rings zu rühren,<br /> die weißen Glieder eigner sich zu röten,<br /> und nur von Sehnsucht starr. Er aber wandelt.<br /> Die Dornenkrone bebt; und wie er sacht<br /> von Postament zu Postamente schreitet,<br /> und Wen er ansieht mit den blauen Augen,<br /> der lebt und steigt in Schönheit zu ihm nieder,<br /> Der lebt, Der lebt! –<br /> Und steigend, wandelnd, aus den Purpurzellen,<br /> in warmer Nacktheit leuchtend Leib an Leib,<br /> folgt Paar auf Paar ihm von den Marmorschwellen,<br /> so stolz, so stolz, umschlungen Mann und Weib.<br /> Von ihren Stirnen, von den lichtbetauten<br /> sorglosen Lippen ein Erwachen flieht,<br /> der weite Saal erklingt von Menschenlauten,<br /> es schwebt ein Lied.<br /> Es schwebt und klingt: „So wandeln wir in Klarheit<br /> und wissen aller Sehnsucht Sinn und Ziel:<br /> in Unsrer Schönheit haben wir die Wahrheit,<br /> zur Freude reif, und frei zum kühnen Spiel!“<br /> So schwebt das Lied ...<br /> Ich aber hocke in der dunklen Ecke,<br /> und fühle meiner Glieder Häßlichkeit<br /> und meiner Stirne graue Sorgenfurchen,<br /> und fühle neidisch ihre warme Nacktheit<br /> und frierend ihren Jubel – ich ein Stein.<br /> Von Pfeiler hell zu Pfeiler tönt der Zug,<br /> des stillen Wandlers Dornenkrone bebt,<br /> ich aber bebe mit in meinen Lumpen<br /> und warte, warte auf die blauen Augen<br /> und will auch leben, auch ein Freier wandeln,<br /> nicht Stein, nicht Stein! –<br /> Und näher glänzt und klingt es um die Säulen;<br /> vom letzten Sockel folgt ein Mädchen ihm;<br /> er kommt! er kommt! –<br /> Und er steht vor mir. Da verstummt der Zug;<br /> ich fühle ihre stolzen Augen staunen<br /> und fühle seine, seine Augen ruhn<br /> in meinen, ruh’n, und will mich an ihn werfen<br /> und will ihm küssen seinen milden Mund,<br /> da brechen perlend seine Wunden auf,<br /> die bleiche Stirn, die Lippe zuckt, – er spricht,<br /> ihm schießen Thränen durch den blutigen Bart,<br /> spricht: „Deine Stunde ist noch nicht gekommen!“<br /> Und ich erwachte. Weinend lag ich nackt;<br /> nackt wie die Armut.</p> </div></div></div><div class="field field-name-field-author field-type-taxonomy-term-reference field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" rel="schema:author"><a href="/richard-dehmel" typeof="skos:Concept" property="schema:name" datatype="">Richard Dehmel</a></div></div></div><div class="field field-name-field-releasedate field-type-number-integer field-label-hidden"><div class="field-items"><div class="field-item even" property="schema:datePublished">1893</div></div></div><span rel="schema:url" resource="/richard-dehmel/jesus-der-kunstler" class="rdf-meta element-hidden"></span><span property="schema:name" content="Jesus der Künstler" class="rdf-meta element-hidden"></span> Sun, 25 Oct 2015 23:00:02 +0000 akessler 1400 at https://www.textarchiv.com