Der Seeadler
Wob, König der Lüfte, für deinen Flug
Der Sturm dir die Schwingen, die weißen,
Daß sie geschwind, wie ein Atemzug,
Vom Meer gen Himmel dich reißen?
Hat dir die Sonne das Auge gefeit,
Daß du nicht droben erblindest,
Wenn du in blauer Unendlichkeit
Dem Sehrohr selber entschwindest?
Hoch, hoch, wo der Alpen mächtigste Piks
In Dämmernebel verschwinden,
Hinunter spähst du leuchtenden Blicks
Zu des Weltalls gähnenden Schlünden;
Und siehst von deiner himmlischen Wacht
Jenseits von der Erde Grenzen
Den Tag, der Abend nicht kennt noch Nacht,
Den unvergänglichen glänzen.
Wenn wirbelnd daher das Gewitter saust
Und aus unterstem Oceane
Die Flut aufpeitscht, daß sie himmelan braust,
Wiegst du dich auf dem Orkane;
Und ob in den Wellen, zu Bergen getürmt,
Auch ganze Flotten versinken,
Du jubelst, wo es am wildesten stürmt,
Der Windsbraut Odem zu trinken.
Das Frührot bleibt, das purpurnen Saums
Aufsteigt ob Meeren und Ländern,
Matt hinter dir, Beherrscher des Raums,
Zurück an den Himmelsrändern;
Ans Nordkap hörtest du wilden Schlags
Bei Nacht die Wogen noch branden
Und grüßest den Strahl des werdenden Tags
Schon hoch vom Gipfel der Anden.
Wie dir – o lang versunkene Zeit! –
Einst wollte zu ihren Flügen
Des Raumes weite Unendlichkeit
Kaum meiner Seele genügen;
Nun seufzt sie, gebeugt vom niederen Joch,
In des Lebens finsterer Enge;
Ach! daß sie nur einmal jubelnd noch
In den leuchtenden Aether sich schwänge!
In durstigen Zügen, voll und stark,
Die Luft des Himmels zu schlürfen,
Hinab zu der Schöpfung entlegenster Mark
Die Blicke senden zu dürfen –
O Adler! dir neid' ich den seligen Tod,
Der dir dort oben bereitet,
Wenn die ewige Sonne ihr glühendes Rot
Um die brechenden Schwingen dir breitet!
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