Die Jungfrau des Schlosses
Vor grauen Jahrhunderten stand
Auf Tannenumgürteten Höhen
(Noch sind ihre Mauern zu sehen)
Eine Burg im sächsischen Land.
Dort hauste Graf Erich, ein Mann
Von grausamen Sitten, es wehte
Gar oft schon in blutiger Fehde
Sein drohendes Banner voran.
Jetzt hatt’ ihn das Alter erreicht,
Schon glänzten, vom Reife der Jahre
Bedecket, die bräunlichen Haare
Des Ritters zu Silber gebleicht.
Doch blieb er stets trotzig und wild,
Ein harter Gebieter, es bebten
Vor ihm seine Diener und lebten
Mit furchtsamen Grauen erfüllt,
Nur Jutta erzitterte nie,
Wenn rauh sie der Vater bedräute,
Nie zittert die Unschuld, auch scheute
Der Nimmerbezähmte nur sie;
Oft hielt sie mit bittendem Blick
Das Schwerdt das der wüthende schwenkte
Die Diener zu würgen und senkte
Es sanft in die Scheide zurück.
Kaum sah sie zum funfzehnten mal
Die Wipfel der Tannen beschneiet,
Und wieder ergrünt und erneuet
Die schwankenden Erlen im Thal,
Doch pflegte mit holder Geduld
Des mürrischen Vaters sie stille,
Ihr höchstes Gesetz war sein Wille,
Ihr einziger Wunsch seine Huld.
Einst da sie dem Vater beim Strahl
Des Morgens, in dämmernder Frühe
Mit liebend geschäftiger Mühe
Gefüllt den gewohnten Pokal,
Da lockt der erwachende Chor
Des Hayns, die erröthende Bläue
Des heiteren Himmels die Scheue
Zum niedrigen Pförtchen am Thor.
Sie athmet in trunkener Lust,
Des Morgens balsamische Düfte,
Sanft heben ihr schmeichelnde Lüfte
Die Locken von Stirne und Brust.
Und wie sie noch weilet, erschrickt
Sie sanft, als in nahen Gesträuchen,
Die schützend sich über ihn beugen,
Ihr Aug einen Jüngling erblickt.
Still schmiegt sich ein schmeichlender Hund
Dem ruhenden Jäger im Schoose,
Ihm lieget zur Seit’ in dem Moose
Die Armbrust auf thauigtem Grund.
Sie bleibt mit gefesseltem Blick
Mit zweifelnden Tritten noch stehen,
Schnell heißt sie die Schüchternheit gehen
Und fest hält sie Neugier zurück.
Sie nahet dem Jüngling und spricht:
„So früh schon Herr Ritter vergnüget
Die Jagd Euch? – denn sicher, es trüget
Dies stattliche Ansehn mich nicht;
Wohl habt ihr als Gast schon, geehrt,
Im hohen gewölbeten Saale
Des Vaters, beim festlichen Mahle,
Die glänzenden Becher geleert.
Nur mir seyd Ihr noch nicht bekannt;
Es hält aus der fröhlichen Mitte
Der Männer die strengere Sitte
Uns schüchterne Frauen verbannt;
Doch nehmt diesen Frühtrunk, fürwahr
Ihr habt der Erquickung vonnöthen!“ –
Hier beut sie mit keuschem Erröthen
Den schwankenden Becher ihm dar.
Und ach mit dem Weine durchdringt
Der Liebe verzehrendes Feuer
Den Jüngling; wie zahlt er so theuer
Ein Labsal das Mitleid ihm bringt! –
O Mädchen! – du wähnst, es sey Wein
Der labend den Müden getränket?
Ruft feurig der Jüngling, ihm senket
In Busen sich glühende Pein.
Ich schlürft aus dem Becher nur Schmerz,
Der dumpf mir die Sinne umwindet,
Gekühlt ist der Gaum; doch entzündet
Mit ewiger Flamme mein Herz! –
Doch weh mir! – es zürnet dein Blick
Du fliehest? – O Jungfrau verzeihe,
Schon folgt dem Vergehen die Reue,
Doch nehm’ ich es nimmer zurück.
Mein Nam’ ist von Wart, und es lag
In Schwaben die Burg meiner Väter
Doch ach! es befleckt’ ein Verräther
Den rühmlichen Namen mit Schmach;
Er ist der Verfolgungen Ziel,
Seit ehrlos ihn Rudolph getragen,
Und Albert der Kaiser, erschlagen
Durch bübischen Meuchelmord, fiel.
Auch uns traf die Rache; wir flohn.
Es birgt in der dichtesten Mitte
Des Waldes die niedere Hütte
Seit Monden die Irrenden schon.
Dort tönet so einsam und bang
Des Vaters verzehrende Klage,
Indeß ich die Forsten durchjage
Dem dämmernden Morgen entlang.
Wohl fühl’ ich’s, daß arm und verbannt,
Geächtet, ein Flüchtling ich schleiche,
Schon eil’ ich von hinnen, doch reiche
Verzeihend mir liebreich die Hand.
Nie soll mehr dein zürnender Blick
O Schönste, dem Allzuverwegnen
Auf schattiger Höhe begegnen,
Doch denke an ihn noch zurück.
Und Blässe des Todes umschwebt
Jetzt plötzlich des Scheidenden Wange,
Indeß noch mit schmerzlichem Drange
Der Busen des Mädchens sich hebt.
Sie ist sich nichts weiter bewußt,
Besiegt von dem mächtigsten Triebe,
Umfangen vom Zauber der Liebe,
Sinkt glühend sie ihm an die Brust.
Er ist der Verbannte nicht mehr;
Von zärtlichen Armen umstricket,
Am Busen der Liebe, erblicket
Verwandelt er rings um sich her
Zur freundlichen Heimath die Flur,
Wo jüngst er ein Fremdling sich glaubte,
Es giebt, was das Schicksal ihm raubte,
Jetzt schöner ihm Lieb’ und Natur.
Und jeglicher Morgen erneut
Mit süßem Geheimniß die Wonne
Der Liebenden, eh noch die Sonne
Die hüllenden Nebel zerstreut,
Eh zitternd am dunkleren Blau
Der Schimmer der Sterne verglimmet,
Und zweiflendes Dämmerlicht schwimmet,
Rings über der schlummernden Au.
Es hört nicht der Stürme Geheul,
Es fühlt nicht den stürzenden Regen
Der Jüngling, den Fluthen entgegen
Erglimmet mit liebender Eil’
Er Sommer und Winter die Höh’
Und bahnt auf der fährlichen Reise
Sich Pfade auf trüglichem Eise
Und Wege durch bahnlosen Schnee.
Stets harret die Liebende sein,
Sie läßt ihn mit holdem Erbarmen
Am klopfenden Busen erwarmen,
Sie reicht ihm den purpurnen Wein.
Im Schutze des nämlichen Baum’s
Wo beide zuerst sich gefunden
Verträumen sie seelig die Stunden
Des kurzen beglückenden Traums.
Doch einst da zur Pforte sie schleicht,
Naht plötzlich gerüstet zum Jagen
Der Vater, es sieht ihn mit Zagen
Die Tochter, sie wankt und erbleicht.
Streng fragt er: „Wie trägst du den Wein
Zur Pforte?“ – „Er war einem Müden“
Entgegnet sie stammelnd „beschieden
Vom Söller gewahrte ich sein.“
Schnell öfnet er zweiflend das Thor,
Da eilt’ von den nahenden Tritten
Getäuscht, mit geflügelten Schritten
Der harrende Jüngling hervor.
Und stolz ruft Graf Erich ihn an:
„Wer bist du, um frevlend zu wagen,
Dies fremde Geheg zu durchjagen
Wer zeigte dem Knaben die Bahn?“
Doch als sich mit zürnendem Muth
Der trotzige Ritter genennet,
(Unselige Kekheit) entbrennet
Gewaltig des Grausamen Wuth.
Wie, schnaubt er, entfloh dieser Brut
Noch einer der himmlischen Rache?
So führe mein Schwerd ihre Sache,
Ihr fließe zum Opfer dein Blut.
Ha! rufet von Unwill entglüht
Der andre: „die fremden Verbrechen
Am schuldlosen Flüchtling zu rächen
Bist grausam du jetzt noch bemüht?“ –
So spricht er, indeß er mit Fleiß
Die stürmenden Streiche noch wehret,
Sanft schont er des Wütrich’s und ehret
In ihm noch den Vater und Greis.
Und plötzlich mit flehendem Blick
Stürzt Jutta sich zwischen die Streiter
Bang faßt sie den Vater, – „Nicht weiter! –
O haltet die Streiche zurück.
Vergönnt mir, daß, eh noch der Stahl
In schuldlosem Blute sich färbe,
Durch ihn die Verbrecherin sterbe! –
Der Jüngling – Er ist mein Gemahl!“
Und schäumend und schrecklicher schwingt
Der Alte sein Schwerdt; das Erbarmen
Entflieht, da mit bebenden Armen
Die Tochter den Jüngling umschlingt –
Doch ach! den Geliebten beschützt
Vergebens mit männlichem Muthe
Die Treue, sie sinket vom Blute
Des sterbenden Jünglings besprützt.
Und als sie zum Leben erwacht,
(Schon trug man den Gatten von hinnen)
Da hüllt die zerrütteten Sinnen
Der Wahnsinn in tröstende Nacht.
Sie wandelt im wachenden Traum
Noch täglich bei dämmernder Helle
Hinaus zu der blutigen Stelle
Und ruht an dem schützenden Baum.
Stets bringt den Pokal sie hierher,
Und harret des Wiedersehns Stunde,
Dann flüstert mit lächelndem Munde
Die Arme: „Er durstet nicht mehr!“ –
Starr blickt sie ins grünende Moos
Mit zögernden Händen, vergießet
Den Wein zur Erde, da fließet
Die lindernde Zähr’ in den Schooß.
Und nimmer mit stärkender Macht
Erquickt sie der tröstende Schlummer,
Wild scheuchet der rastlose Kummer
Den holden Gefährten der Nacht.
Sie wendet das bleiche Gesicht
Wenn Mitleid die Nahrung ihr bietet,
Und stirbt wie von Stürmen umwüthet
Die glänzende Lilie bricht.
Noch schweifet ihr Geist in dem Schein
Der Dämmrung, man sieht unter Ranken
Des düsternden Epheus sie wanken
Am grauen bemoosten Gestein.
Wild flattert ihr weißes Gewand
Beim ersten verkündenden Strahle
Des Morgens, sie wird in dem Thale
Die Jungfrau des Schlosses genannt.
Sie ruht auf versunkenem Maal,
Wenn scheidend die Sterne erblassen,
Die geistigen Hände umfassen
Noch immer den goldnen Pokal,
Und hat den gefürchteten Hayn
Der irrende Jäger erreichet,
Entschwebt sie den Mauern und reichet
Dem Starren erquickenden Wein.
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