Die Nadel im Baume
Vor Zeiten, ich war schon groß genug,
Hatt' die Kinderschuhe vertreten,
Nicht alt war ich, doch eben im Zug'
Zu Sankt Andreas zu beten,
Da bin ich gewandelt, Tag für Tag,
Das Feld entlang mit der Kathi;
Ob etwas Liebes im Wege lag?
Tempi passati – passati!
Und in dem Heideland stand ein Baum,
Eine schlanke schmächtige Erle,
Da saßen wir oft in wachendem Traum,
Und horchten dem Schlage der Merle;
Die hatte ihr struppiges Nest gebaut,
Grad in der schwankenden Krone,
Und hat so keck herniedergeschaut
Wie ein Gräflein vom winzigen Throne.
Wir kosten so viel und gingen so lang,
Daß drüber der Sommer verflossen;
Dann hieß es: »Scheiden, o weh wie bang!«
Viel Tränen wurden vergossen;
Die Hände hielten wir stumm gepreßt,
Da zog ich aus flatternder Binde
Eine blanke Nadel, und drückte fest
Sie, fest in die saftige Rinde;
Und drunter merkte ich Tag und Stund',
Dann sind wir fürder gezogen,
So kläglich schluchzend aus Herzensgrund,
Daß schreiend die Merle entflogen;
O junge Seelen sind Königen gleich,
Sie können ein Peru vergeuden,
Im braunen Heid, unterm grünen Zweig,
Ein Peru an Lieben und Leiden.
Die Jahre verglitten mit schleichendem Gang,
Verrannen gleich duftiger Wolke,
Und wieder zog ich das Feld entlang
Mit jungem lustigen Volke;
Die schleuderten Stäbe, und schrien »Hallo!«
Die sprudelten Witze wie Schlossen,
Mir ward's im Herzen gar keck und froh,
Mutwillig wie unter Genossen.
Da plötzlich rauscht' es im dichten Gezweig,
»Eine Merle«, rief's, »eine Merle!«
Ich fuhr empor – ward ich etwa bleich?
Ich stand an der alternden Erle;
Und rückwärts zog mir's den Schleier vom Haar,
Ach Gott, ich erglühte wie Flamme,
Als ich sah, daß die alte Nadel es war,
Meine rostige Nadel im Stamme!
Drauf hab' ich genommen ganz still in Schau
Die Inschrift, zu eigenem Frommen,
Und fühlte dann plötzlich, es steige der Tau,
Und werde mir schwerlich bekommen.
Ich will nicht klagen, mir blieb ein Hort,
Den rosten nicht Wetter und Wogen,
Allein für immer, für immer ist fort
Der Schleier vom Auge gezogen!
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