Auf einen grünen Zweig
Zur Fremde zog ein frommer Knabe
An Gold so arm, wie Gold so treu,
Er sang ein Lied um milde Gabe,
Sein Lied war alt, die Welt war neu.
Wie Freiheit singt in Liebesbanden,
So stieg das Lied aus seiner Brust;
Die Welt hat nicht sein Lied verstanden,
Er sang mit Schmerzen von der Lust.
Das Leben leichter zu erringen,
Tut er der eignen Lust Gewalt;
Will nimmer spielen, nimmer singen,
Geht Kräuter suchen in den Wald.
Die Füße muß er wund sich laufen
Zum heißen Fels, zum kühlen Bach,
Und muß um wenig Brot verkaufen,
Die Blume, deren Dorn ihn stach.
Und wie er durch die Wälder irret,
Ein seltsam Tönen zu ihm drang;
Durch wildes Singen rasselnd schwirret,
Ein schmerzlicher metallner Klang.
Der Knabe teilt die wilden Hecken,
Und vor ihm steht ein gift'ger Baum;
Die Zweige dürr hinaus sich strecken,
Mit Blech geziert und goldnem Schaum.
Und viel gemeine Vögel kreisen,
Rings um des Baumes schneidend Laub;
Und die von seinen Früchten speisen,
Sie sind des goldnen Giftes Raub.
Da rührt der Knabe seine Laute,
Er singt ein schmerzlich wildes Lied;
Und in dem Baum, zu dem er schaute,
Er einen bunten Vogel sieht.
Er sitzt betrübt, die bunten Schwingen
Senkt an der Silberbrust er hin,
Und kann nicht fliegen, kann nicht singen
Des Baumes Gifte fesseln ihn.
Dem Knaben regt sich's tief im Herzen,
Das Vöglein zieht ihn mächtig an,
Und seines Liedes kind'sche Schmerzen
Hört gern das kranke Vöglein an.
Und weil im Wind die Blätter klingen,
So kann es nicht das Lied verstehn;
Doch er hört nimmer auf zu singen,
Bleibt treu vor seiner Liebe stehn.
Und singt ihm vor zu tausendmalen
Von Liebeslust und Frühlingslust,
Von grünen Bergen, milden Talen
Und Ruhe an geliebter Brust.
Schon regt das Vöglein seine Schwingen,
Schaut freundlich zu dem Knaben hin;
Des Arme um den Baum sich schlingen,
Die Liebe machet mutig ihn.
Er klimmet in den gift'gen Zweigen
Zerreißt mit Lust die Hände sich,
Das kranke Vöglein zu ersteigen,
Es spricht: Ach nimmer heilst du mich.
Und sinket stille zu ihm nieder,
An seinem Herzen hält er's warm;
Und ordnet sorglich sein Gefieder,
Und trägt's zur Sonne auf dem Arm.
Steigt auf die Berge, läßt es trinken
Des blauen Himmels freie Luft,
Und weiß zu blicken, weiß zu winken,
Bis er die Freude wieder ruft.
Die Freude kömmt, die bunten Schwingen,
Sie funkeln Liebesstrahlen gleich;
Das Vöglein weiß so süß zu singen,
Es singt den armen Knaben reich.
Wie auch zum Flug die Flüglein streben,
So bleibt es doch dem Treuen treu;
In Liebesfesseln will es schweben,
In Liebesfesseln ist es frei.
Und ich der ich dies Lied dir singe
Bin wohl dem treuen Knaben gleich,
Vertrau mir Vöglein, denn ich bringe
Dich noch auf einen grünen Zweig.
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