Magdalene geht zum Grabe
Die bange Nacht ist hingegangen,
Doch kennt noch nicht ein Mensch den andern,
Noch kann ich mit den Tränen prangen,
Und zu des Meisters Grab still wandern;
Der Tempelwächter ruft die Stunden,
Maria ringt in stummen Schmerzen,
Sie zählte ihres Kindes Wunden,
Ein Schwert drang schneidend ihr zum Herzen.
Laß los von der Welt,
Von dem bunten Zelt,
Von der Truggestalt,
Jesus kommt bald!
Freundlich wird er grüßen,
Sink zu seinen Füßen,
Suche, fange, halt ihn dir,
Seufze, sage, klage hier;
Bleib, o Jesu, bleib bei mir!
Die Spezerei, die wir bereitet
Von Myrrhen, Aloe und Narden,
Trägt Salome, die mich begleitet,
Und Jacobe zum Grabesgarten.
Schon fängt's im Osten an zu tagen,
Ich streck' die Hände aus zum Felsen,
Johanna fragt mit bangem Zagen:
Wer wird vom Grab den Stein uns wälzen?
So wandle ich im Morgengrauen
Zum Grab, wo meine Liebe ruht;
Ich will mit Tränen ihn betauen,
Er gab mir all sein Herzensblut.
Um mir den Stein vom Herz zu heben,
Ging in den Tod all meine Wonne;
Da zuckt ein Blitz, die Felsen beben,
Und aus dem Grab schwingt sich die Sonne.
Die Wachen rings erstarret liegen,
Und von dem abgewälzten Steine
Grüßt uns, die sich zum Grabe biegen,
Ein Engel, weiß im Himmelsscheine:
Erschrecket nicht! Er ist erstanden,
Er ist nicht hier. Kommt her und schauet
An leerem Ort die Todesbanden,
Es ist sein Tempel neu erbauet.
Weil ich den Leib entführet glaubte,
Eilt' nochmals ich das Grab zu grüßen;
Ein Engel saß dem Grab zu Haupte,
Ein Engel saß dem Grab zu Füßen.
Was weinst du Weib? zu mir sie sagen.
Ich sprach: Weil sie ihn weggenommen,
Und ich nicht weiß, wohin getragen.
O sagt: wo ist er hingekommen?
Dann blickt' ich um, und sah im Schimmer
Den Gärtner, glaubt' ich, hört' ihn fragen:
Was weinst du, Weib, wen suchst du immer?
Ich sprach: Hast du ihn weggetragen?
O sag: wohin? daß ich ihn finde!
Da hört' ich mich Maria grüßen,
Und rief: Rabuni! und geschwinde
Sank meinem Jesus ich zu Füßen.
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