Der Alte von Athen
Es wehte kühl vom Meer, der Tag war längst gesunken,
Das Feuer am Iliß versprühte rote Funken,
Im Kreise lag die Schar, das Banner aufgepflanzt,
Die Pfeifen glommen hell, der Becher ging im Kreise,
Und zu der Trommel Schlag und der Hoboen Weise
Ward die Romaika getanzt.
Wie klirrten da im Takt die Säbel der Gesellen!
Wie flatterten im Wind die weißen Fustanellen!
Der Flamme Strahl beschien manch bärtig Angesicht,
Gefurcht und sonnverbrannt, und plötzlich dann dazwischen
Ein lockig Knabenhaupt; so schaut aus dunkeln Büschen
Im Lenz der Rose junges Licht.
Da trat ein alter Mann ins tosende Gedränge,
Wohl ragt' er aus der Schar um eines Hauptes Länge,
Hinab zum Gürtel floß der Bart ihm silberweiß,
Kühn war die Stirn, darum die Locken flatternd wehten,
In seinem Auge glomm das Feuer des Propheten,
Und also rief der hohe Greis:
»Hinweg, Verblendete, mit Trinkgelag und Reigen!
Setzt ab den Weinpokal, laßt die Hoboen schweigen,
Den lust'gen Schall der Trommel dämpft!
Vergeßt ihr, daß, indes ihr schwelgt in müß'ger Feier,
Auf Kretas blut'gem Strand der Adler mit dem Geier
Um eurer Brüder Leichen kämpft?
O wär' ich noch ein Knab', ich könnte Tränen weinen!
Doch Mut! Wie unheilvoll für uns die Sterne scheinen,
Noch ward die Hoffnung nicht zum Trug;
Leonidas erlag einst an den Thermopylen,
In Flammen stand Athen, und seine Tempel fielen,
Eh' Salamis die Perser schlug.
Drum auf! Nicht länger hört, was euch die Fremden raten;
Im Schwerte nur ist Heil, und mit des Schwertes Taten
Rächt Kretas Schmach und Griechenlands;
Die Zeit ist reif, den Grund, drin unsre Heil'gen modern,
Den frechgeraubten Grund im Kampf zurückzufodern;
Gen Norden geht es nach Byzanz!
So steigt denn vom Gebirg', ihr braunen Klephten, nieder,
Ergreift das lange Rohr, den krummen Säbel wieder,
Erwacht, ihr Männer von Athen!
Ihr Adler Sulis, auf und zeigt den Weg den andern,
Kanaris, fülle du den Hellespont mit Brandern,
Laß, Hydra, deine Wimpel wehn!
Und du, o junger Fürst von blondem Heldenstamme,
Das Wittelsbacher Schwert war sonst der Schlachten Flamme,
Vertrau', ein Schwimmer, dich der Zeit gewalt'gem Strom;
So schön der Ölzweig ziert, er weicht dem Lorbeerkranze,
Wir harren deines Winks; wirf dich aufs Roß und pflanze
Das Kreuz auf Sankt Sophiens Dom!
Hört ihr's in hoher Luft wie ziehnde Schwäne singen?
Der Engel Scharen sind's, die Flammenschwerter schwingen,
Vor ihnen wird der Feind zum Spott;
Wem sie zu Häupten ziehn, mag Not und Tod verachten,
Darum frisch auf, mein Volk! Es rufen dich die Schlachten,
Vorwärts! Vorwärts! Mit uns ist Gott.«
So sprach der hohe Greis und schwand im Volksgedränge,
Hoch schlug das Feuer auf - erschüttert stand die Menge,
Sie bebten; jeder Mund sprach murmelnd ein Gebet.
Wohl forscht' ich, aber wo der Alte hergekommen,
Ob er ein Schwärmer war, ich hab' es nicht vernommen;
Doch, traun, mir dünkt' er ein Prophet.
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