Gesang des Priesters

Der du einst in freier Liebe
Dich in unsern Staub gebannt,
Unsrer Brust verworrne Triebe,
Ach, und all ihr Leid erkannt;
Der du selbst in jenen Tagen
Schmecktest der Versuchung Pein,
Denen, die im Kampf erlagen,
Reiner, kannst du gnädig sein.

Ach, du weißt, in Sehnsucht schweifen
Tausend Geister weit und breit;
Doch, vom Schein betört, ergreifen
Für das Wesen sie das Kleid.
Was nur geistlich mag gelingen,
Was nur göttlich kann erstehn,
Wollen sie im Fleisch vollbringen –
Sollen sie verloren gehn?

Die da suchen ohne Steuer
Heimwehbang ein Ruhgestad',
Die ein irres Liebesfeuer
Hintreibt auf der Sinne Pfad,
Die im Dämmer tauber Schachten
Graben nach der Wahrheit Licht,
Alle, die nach Freiheit schmachten,
Meinen dich und wissen's nicht.

O, beim Worte, das die Rächer
Von der Sünderin verwies,
Bei der Milde, die dem Schächer
Noch am Kreuz das Heil verhieß,
Bei dem Glanz, der himmlisch blendend
Um Damaskus' Weg geflammt
Und, den Sinn des Eifrers wendend,
Ihn gesalbt zum Botenamt:

Zeuch, o Herr, die durst'gen Seelen,
Die in dunkler Trostbegier
Im Vergänglichen sich quälen,
Zeuch sie liebend all zu dir!
Statt der Schale, dran sie kleben,
Laß sie schaun der Dinge Kern,
Steig in ihrem dunkeln Leben,
Steig empor als Morgenstern!

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