Wasserleiche

Am Landwehrkanal ein Menschenhaufen,
Aus weiter Grossstadt zusammengelaufen,
Und schrilles Geschrei – verworrene Rufe! –
Auf der nassen untersten Treppenstufe
Schlammüberzogenes Steingeviert
Das Auge der müssigen Gaffer stiert
Mit dem teilnahmlosen, widrigen Blick
Der feilen Neugier an fremdem Geschick.
Da unten aber, dem Wasser entrissen,
Die dürftigen Kleider zerlumpt und zerschlissen,
Von dem stinkigen, dumpfen Gewässer durchnetzt
Von gierigen Fischen zerfressen, zerfetzt,
Das Antlitz gedunsen und grün und blass,
Die Haare durchzogen von Schlamm und Gras,
Liegt starr ein armes Menschenkind,
Ein Menschenkind, wie wir alle sind.
Wie einst sie gewesen,
Ich kann es nicht seh’n –
Mein Gott, im Verwesen
Ist niemand schön!
Ob Elend sie in den Tod getrieben,
Ob Schwäche der Seele, ob sündiges Lieben,
Was schert mich das; ich seh’, wie fest
Die Hand sie auf das Herz gepresst,
Seh’ nur, wie diese Hand geballt,
Die Nägel in das Fleisch gekrallt;
Da weiss ich genug! Solch Zeichen schreibt
Das Schicksal nur, das zum Tode treibt,
Wenn nach marternden, qualvollen Kampfesstunden
Die letzte Hoffnung dem Menschen geschwunden. –
Ich seh’ erschüttert auf das Weib,
Auf den unförmig wassergedunsenen Leib
Und denke: „du Aermste, gepeitscht und gehetzt,
Dein ganzes Leben vom Glücke gemieden,
Im Tode nun endlich hast du erst jetzt
Den langersehnten Frieden – – Frieden.“ –
Und neben mir Frau Schulze spricht:
„Ersäufen, nee, det tu’ ick mir nicht,
Ick verjifte mir lieber stille zu Haus,
Da seh’ ick nich nachher so eklig aus.“

Nun wird die Leiche beiseite geschafft.
Es fallen im Pöbel, der teilnamlos gafft,
Viel Witzworte, grausam-gemeine.
Ein Bursche, des seltenen Schauspiels froh,
Ein Schusterjunge, pfeift frech und roh:
„Fischerin, du kleine …!“

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