Menschenliebe

Im Tagesgrauen schlief das stille Thal,
Und seine Schönheit war mir noch verborgen;
Dann plötzlich kam der erste Sonnenstrahl,
Und mit ihm ward es heller, goldner Morgen.
Es fluthete das Licht vom Himmel nieder,
Als habe er sich selbst herabgesenkt,
Und laut erklangen alle Morgenlieder,
Die er allein, allein dem Walde schenkt.

Nun ging des Tages Engel über Land,
Ging durch den Hag, ging über Feld und Auen,
Und überall, wo er ein Blümlein fand,
Bog er sich nieder, um es anzuschauen.
Er kam auf allen Wegen hergeschritten,
Und sah er wo ein wartend Fensterlein,
So ließ er sich nicht lange darum bitten,
Er gab ihm Licht und gab ihm Sonnenschein.

Er stieg den Berg, den steilen Fels hinan,
Klomm auf die Firnen, in die Kletscherspalten;
Er kletterte in alle Tiefen dann,
Kam über schroffe Hänge, todte Halden,
Und überall, am höchsten, tiefsten Orte
Ward ihm der Mensch, das Thier, der Baum, der Stein
Zum mahnenden, zum heilgen Gottesworte:
»Gieb Liebe hier; auch diese Welt ist mein!« –

So liegt des Menschen Herz in dunkler Nacht,
Wenn sich die Andern ihm nicht gütig zeigen;
Doch, wird der Strahl der Liebe ihm gebracht,
So wird das Dunkel bald dem Lichte weichen.
Dann zeigen sich in Blüthen seine Auen;
Es sprudeln alle Quellen hell und klar,
Und du kannst Alles, Alles deutlich schauen,
Was ohne Liebe dir verborgen war.

Dann steig empor, steig nieder in das Land,
Das sich in reicher Schönheit vor dir breitet;
Doch thue es mit schonendem Verstand,
Der niemals über Heiligthümer schreitet.
Und willst du weiter, immer weiter gehen,
Bis dort, wohin vielleicht noch Niemand kam,
So wirst du bald erkennen und verstehen,
Wer dieser Welt das Licht, die Wärme nahm.

So wird sie dir vielleicht wohl lieb und werth;
Du lernst sie besser, immer besser kennen;
Sie bietet dir des Freundes Haus und Herd;
Du möchtest dich nicht wieder von ihr trennen.
Und wenn sie so dir eigen ist geworden,
Ist sie, die früher fremde, gänzlich dein.
Es kann die Welt an allen, allen Orten,
Wenn du die Menschen liebst, die Deine sein.

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