Schön
Du warst kein sogenanntes »schönes« Kind.
Auch ich ward nicht vom Arm des Glücks getragen.
»Wie häßlich diese beiden Kleinen sind!«
So hörte über uns wie oft ich sagen.
Das hat so wehe, wehe mir gethan,
Nicht etwa meinet-, sondern deinetwegen.
Was diese Oberflächlichen nicht sahn,
Für mich hats nicht zu tief in dir gelegen,
Denn als ich einst vor Hunger leise weinte,
Hast du, selbst hungrig, mir dein Brot gebracht,
Und das, das wars, was uns fortan vereinte,
Weils dich für mich so schön, so schön gemacht.
Wir kannten nicht der Jugend Sonnenschein;
Wir lebten; aber schwer war es, zu leben.
Den kargen Trost, den haben wir allein,
Du mir, ich dir im Stillen uns gegeben.
Wir waren häßlich, aber ohne Neid;
Wir waren arm, doch fleißig und zufrieden
Und darum immer, immer dankbereit
Für das, was uns der liebe Gott beschieden.
Und als wir endlich am Altare standen,
Wo dir an Stolz und Demuth Keine glich,
Und wir für ewig, ewig uns verbanden,
Wie warst du da so schön, so schön für mich!
Führt mich mein Herz in jene Zeit zurück,
Wie muß ich da im Tode noch dich lieben!
Ein kleines Häuschen, doch ein großes Glück;
Das Häuschen wuchs; das Glück ist ihm geblieben.
Du bautest es mit mir zu einem Haus,
In dem der Himmel auf der Erde wohnte.
Du gingst als seine Seele ein und aus,
Die meinen Fleiß fast überreich belohnte.
Mir wars, wenn du so still und fromm gewaltet,
Als stündest du in heilger Engel Dienst,
Und niemals ist mein Herz für dich erkaltet,
Weil du mir stets so schön, so schön erschienst.
Wie gern, wie gern ich dich als Mutter sah!
Bin ich denn deiner wirklich werth gewesen?
Ich glaub es nicht, obgleich es oft geschah,
Daß ich in deinem Aug ein Ja gelesen.
Du gabst mir lächelnd immer, immer Recht,
Wenn wir um die Erziehung Rath gepflogen,
Doch ward nicht nur das jüngere Geschlecht,
Nein, auch der Vater wurde mit erzogen.
Erzogen? Ja: Du öffnetest die Pforte
Und führtest uns hinauf zu Gottes Höhn.
Dein Beispiel wars; es waren nicht die Worte,
Und dieses Beispiel war so schön, so schön!
Du spannst so gern, so heimlich, ungesehn;
Sogar auch mir verbargst du deinen Faden.
Doch war die stille, gute That geschehn,
So hab ich deine liebe Hand errathen.
So spannst du fort. Wir wurden beide grau,
Doch spannst du weiter, immer, immer weiter.
Du spannst, glaub ich, du liebe Herzensfrau,
In deiner Güte unsre Himmelsleiter.
Ich seh dich heute noch, so freundlich sinnend,
Wie ich dich einst, als du noch lebtest, sah,
An einem neuen Liebeswerke spinnend,
Und fühls: Wie schön, wie schön warst du mir da!
Als du mir schiedest, welch, o welch ein Tag!
Wars nur der Sarg? Sah ich auch dich versenken?
Ich will die Todte nicht, die vor mir lag,
Denn ich kann dich mir nur als lebend denken.
Du giebst ja noch; du giebst durch meine Hand;
Sie ist ja dein, durch Liebe dir erworben.
Du wirkst noch so, wie ichs von dir gekannt,
Bist bei mir, in mir, bist mir nicht gestorben.
Du zeigst dich nicht, doch fühl ich deine Nähe,
Und dies Gefühl, fast gleicht es dem Gesicht.
Wenn ich dich jetzt, jetzt vor mich treten sähe,
Wie schön wärst du, wie engelgleich, wie licht!
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