François Montcorbier, genannt Villon
François Montcorbier, genannt Villon,
Geboren Vierzehnhunderteinunddreißig,
Als Schüler faul, als Buhler strebsam fleißig,
Aus dunkelstem Paris, und darob lichtscheu.
Mit Faltern schwebend, Blüten blühend, pflichtscheu.
Bekannt von Meung sur Loire bis Roussillon,
Der Leibpoet des Herzogs von Bourbon
Und Leibpoet des letzten Straßenweibs,
Bedacht auf sondre Art des Zeitvertreibs,
Landstreicher, Gauner, Dieb, Zechpreller – und
Hündischer oft traktiert als der geringste Hund,
Um eines Haares Breite Mörder gar,
Mitglied der Bruderschaft der coquillards -
Liegt hier begraben: was er lebt' und litt,
Teilt er euch in des Meisters Werken mit.
Lag seine Stirn im Kot, sein armer Leib im Kofen,
Aus seinem Munde klang ein goldner Chor von Strophen.
Die Hand, mit Blut befleckt, schrieb heiligstes Gedicht.
Das erdendunkle Herz entzündet Sternenlicht.
Als er am Himmelstore angelangt,
Hat die Madonna selbst gebetet und gebangt.
Gottvater ließ ihn gnädig in den Himmel ein:
Weil du mich stets gesucht, sollst du willkommen sein.
Gefunden hast du mich. Du bist Poet nicht mehr.
Tritt als ein Engel in das selige Engelheer.
Da lächelt Villon ernst – und schluchzt mit einemmal:
Ich komme aus der allertiefsten Hölle Qual.
Läßt du die Mörder, Diebe, Fälscher, Ehebrecher,
Die Dirnen, Räuber, Säufer, Gauner, Degenstecher,
Die meine Brüder sind, nicht in den Himmel ein,
So soll die Seligkeit mir nicht vorhanden sein.
Nicht eine Stunde blieb ich selig, wenn ich wüßt,
Daß in der Höll ein armer Bruder leiden müßt.
Gottvater, lebe wohl! Ich will kein Heuchlerglück!
Zu meinen Brüdern kehr ich in die Höll zurück.
Und bin erst wieder hier, wenn die Posaune lehrt,
Daß Gott dem Ärmsten auch das himmlisch Reich gewährt.
Daß Gott dem Letzten auch ob seiner Tat nicht grollt,
Die ohne Gott nicht wär – denn Gott hat ihn gewollt.
Schenk allen Erdenwandrern die ersehnte Ruh! –
Und hob die Hand zu Gott. Und sank der Tiefe zu.
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