Am längsten Tage
Dem Siegesfeuer gleich auf Bergesspitzen,
Das aufwärts flammt bis in des Himmels Blau,
So sieht man heut aus höchster Höhe blitzen
Der Sonne Aug', der königlichen Frau,
So steht sie da auf ihrem höchsten Throne
Und sendet allen Landen ihren Gruß.
Ihr gold'nes Scepter neigt sie rings zum Lohne
Und selbst ihr Lächeln ist ein Flammenkuß.
Wohl mag sie sich an ihrem Werke freuen,
Denn lauter Segen war auf ihrer Bahn,
Ihr Herrschen war ein gütig Gabenstreuen
Und alles Heil ließ sie ihr Land empfahn.
Doch ist es nun mit ihrer Macht zu Ende?
Sie muß! es ist ein ewiges Gebot –
Ihr Antlitz drückt sie in die Wolkenhände
Und weint im Tau, und glüht im Abendrot.
Sie flieht zurück – noch spendet sie uns Segen,
Fortwirkend zeugt das Gute Gutes nur,
Noch eine Weile bleibt ein fröhlich Regen,
Noch eine Weile grünt und blüht die Flur,
Noch eine Weile – dann ist's doch zu Ende,
Dann ist ein Sonnengruß ein Augenblick',
Dann fällt die Erde in des Eises Hände,
Und schläft und träumt nur von dem einst'gen Glück
Schon jetzt! Die Vögel haben ausgesungen
Und sitzen stumm bei ihrer jungen Brut;
Das Lied der Nachtigall ist längst verklungen,
Die Grille nur zirpt in des Mittags Glut,
Verstummt ist in der Saat der Wachtel Schlagen,
Bald, ahnt sie, rauscht die Sense zu ihr her;
Es will kein Baum mehr heitre Blüten tragen,
Er neigt sich ernst herab von Früchten schwer.
Ach, einen längsten Tag hat auch das Leben –
Ein jegliches für jedes Menschenherz,
Auch seine Sonne wird sich einst erheben
Zur Scheitelhöh' und zieht dann heimatwärts.
Noch kann ich mutig mit der Lerche singen,
Noch lebt ein Liederlenz in meiner Brust,
Noch kann ich Blüten mir zum Kranze schlingen,
Noch bin ich meiner Lenzkraft mir bewußt.
Und kommt der längste Tag des Herzens Schlagen
Und ist dahin der Jugend heitre Spur:
Noch eine Weile bleibt ein fröhlich Tagen,
Noch eine Weile grünt und blüht die Flur.
Noch eine Weile, dann ist's doch zu Ende,
Dann ist ein Sonnengruß ein Augenblick,
Das Menschenherz sinkt in des Eises Hände
Und schläft – und träumt kaum von dem einst'gen Glück.
Nein! nimmer mag ich diesen Tag erleben,
Nur keinen Winter für das Menschenherz,
Statt Blüten will ich wohl Euch Früchte geben,
Statt Lerchenlust und Nachtigallenschmerz
Ein ernstes Wirken in dem Dienst der Zeiten,
Das reif geworden in des Sommers Glut –
Mit Thaten will ich statt mit Liedern streiten,
Doch nie gefriere der Begeistrung Flut.
O möchte dann mein Los dem Weinstock gleichen:
Er weinet wonnereich am Frühlingstag,
Dann läßt er blühend süße Düfte steigen,
Hängt seine Kränze auf an Säul' und Hag,
Da werden Perlen seine Frühlingszähren
Und seine Blüten Purpurglanz und Gold,
Das glänzt und schwillt Begeistrung zu gewähren,
Wenn in den Kelch das Blut der Traube rollt.
Den Weinstock aber ohne Frucht und Ranken
Begräbt man in der Erde Mutterschoß,
Nicht in den kalten Stürmen soll er schwanken,
Soll schlafen, träumen winterahnungslos,
Laß mich, o Gott, ein gleiches Los erringen,
Laß aus den Thränen mir von Lust und Leid,
Aus meinen Kränzen, meinen Liedersingen
Begeistrung strömen in die künft'ge Zeit!
So laß mich meinem Volk zum Segen leben,
So zeige einst mir eine große That –
Wo nicht, so laß mich noch ein Lied erheben,
Das fördern soll auch eine künft'ge Saat.
Laß mich, o Gott, des Weinstock's Los erwerben,
Der mit Begeist'rung alles Volk erfüllt –
Doch in derselben Stunde laß mich sterben,
Von milder Erde, nicht von Schnee verhüllt.
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