Der arme Jude

1.

Armer Jude, der du wandeln
Mußt von Dorf zu Dorf hausierend,
Schlecht genährt und bitter frierend,
Allwärts rufend: »Nichts zu handeln?«!

Holt die Seuche Mann und Frauen,
Ziehst du nach auf ihrer Fährte,
Und die Kleider, die sie leerte,
Schleppst du fort, dir darf nicht grauen.

Auf dem Baume krächzt der Rabe,
Hunde zerren dich am Rocke,
Schneegestöber Flock an Flocke,
Fleißig wanderst du am Stabe.

Ein Jerusalem, papieren,
Bauen deine Stammgenossen,
Doch für dich ist es verschlossen,
Wandern mußt du, darben, frieren.

Jene habens hoch getrieben,
Du verschacherst alte Kleider;
Aber alle seid ihr leider
Ein geknicktes Volk geblieben.

2.

Jud ist an ein Kreuz gekommen,
Speist am fremden Heiligtume
Auf der Bank ein Stücklein Krume,
Ruhe soll den Gliedern frommen,

Nickend träumt er: seine Väter
Jubeln um das Kreuz im Ringe,
Und er hört die Silberlinge
Klirren Judas dem Verräter.

Zieht ein Jäger, heimbeflissen,
Doch es schnüffelt noch sein Hündlein
Um den Schläfer, um das Bündlein,
Stiehlt ihm aus der Hand den Bissen.

Zieht des Wegs daher ein Bauer,
Und er rüttelt wach den Armen,
»Schlaf nicht!« ruft er mit Erbarmen,
»Sonst erfrierst im Winterschauer.

Leg wahrhaftig deine Bürde
Hin am Kreuze, samt dem Fluche;
Jude, irres Schäflein, suche
Jesu Christi warme Hürde.

Jude, wolle dich bekehren!
Dir vom ganzen alten Bunde
Blieb dies Bündlein nur zur Stunde,
Dich zu schützen, dich zu nähren.

Laß dich taufen und verwandeln;
Mancher tats, und mit vier Rossen,
Hornklang kommt er nun geschossen,
Der einst umrief; Nichts zu handeln?

Nimm mich an zu deinem Paten;
Nebst dem Angebind, dem werten,
– Gott gesegnets dem Bekehrten, –
Labst du dich an Wein und Braten.«

Drauf der Jude spricht, der echte:
»Laß mich nie und nimmer taufen.
Wollt Ihr nicht Gewänder kaufen
Für die Dirnen, für die Knechte?

Mancher trägt das Kreuz am Rücken,
Jude noch im Herzensgrunde,
Schwerer als des Bündels Pfunde;
Wählt Euch was von meinen Stücken!«

Doch er sieht den Bauer scheiden,
Und sein Bündel schnürt er wieder,
Müde senkt er drauf sich nieder,
Traurig von des Weges Leiden.

Wieder hat am Kreuz den Armen
Schlaf und froher Traum befallen,
Eine Stimme hört er schallen,
Süß, wie himmlisches Erbarmen:

»Harret, meine Kinder, harret!«
Ruft Messias, näher, näher. –
Wandrer finden den Hebräer
Liegen an dem Kreuz erstarret.

German Poetry App

This poem and many more can also be found in the German Poetry App.