Dritter Gesang

Der Klausner trug die leuchtende Laterne.
Fort war der Mond; aus finstern Wolken glommen
Nur matt und scheu hervor die seltnen Sterne.
Mich aber hatte plötzlich überkommen
Die große Wehmut der Vergangenheit.
Ich tat dem Alten schweigend und beklommen
Durch seinen dunklen Garten das Geleit.
Ich dachte traurig an so manches Grab,
Und allen Toten war mein Herz geweiht.
Auch die Natur, die nächtlich stille, gab
Gedankenvoller Wehmut sich zu eigen;
Nach dem Gewitter tropft' es noch herab
Wie weinendes Erinnern von den Zweigen.
So mochten wir wohl eine Stunde ziehn
Durch Fels und Wald mit ungebrochnem Schweigen.
Wir sahn die Wolken kommen und entfliehn,
Den Mond verhüllen bald und wiedergeben.
Drauf wies der Alte sinnig deutend hin,
Und endlich sprach er: »Dort am Fels erheben
Die Mauern sich vom alten Grafenschloß;
Dort wollen wir den Rest der Nacht verleben!«
Und schneller schritt mein leitender Genoß
Den Bergpfad mir voran im Mondenscheine,
Der wie versöhnend die Ruin umfloß.
»Hier«, – fuhr der Alte fort – »an diesem Steine,
Hier saß Maria, ich vergeß es nimmer,
Die schöne Jungfrau noch, die himmlisch reine,
Umspielt vom linden West, vom Abendschimmer.
Hier stand vor ihr der falsche Bösewicht,
Der lächelnd sie zerbrach in kalte Trümmer.
O Maienluft! o helles Abendlicht!
Warum habt ihr das arme Kind verraten,
Da ihr geschmeichelt um ihr Angesicht,
Daß ihre tiefsten Blicke auf sich taten,
Daß ihre Reize all, von euch betrogen,
Unselig siegreich auf die Wange traten!
Wie heiß Lorenzos Blicke sie umflogen!
Und, schwelgend in der Blüte vollem Prangen,
Den holden Reichtum trunkenhaft erwogen!
Wie zauberisch Lorenzos Lippen klangen!
Bald süß und weich die weltgeschliffnen Worte,
Bald kühn und kräftig auf den Hörer drangen,
Womit er leicht ein junges Herz durchbohrte!
Den Vater auch bezwang der Rede Kraft
Und brach zu seiner Gunst die letzte Pforte.
Mir ward Robertos Schloß zur Kerkerhaft;
Ich stieg zu Roß in selber Nacht und sprengte
Von dannen schnell mit meiner Leidenschaft.
Doch ob ich auch mich in die Schlachten mengte,
Ich konnte nicht die Glut im Herzen mildern,
Die heimlich und unlöschbar mich versengte.
Lang kämpft ich mit des Zweifels schwanken Bildern,
Bis aus der Heimat mir ein Bote kam,
Die traurige Gewißheit mir zu schildern:
Wie der Verführer frech und ohne Scham
Gar bald die Eide brach, die er geschworen:
Lorenzo floh; Maria starb vor Gram.
Wie bitter schwer Roberto sie verloren,
Und wie in ihm der Liebe letzter Funken
An seines Kindes kalter Leich erfroren;
Und wie sein Blick, ins tote Kind versunken,
Schmerzlich ergründet, was man ihm geraubt,
Und sich mit wilder Rache voll getrunken.
Die Nacht des Wahnsinns schlug sich um sein Haupt;
Sie trieb ihn fort und fort nach allen Winden
Rastlos, wie durch den Wald der Jäger schnaubt.
Doch sah er stets die blutge Hoffnung schwinden;
Durch Land und Meer trieb ihn der Rache Qual,
Er konnte nicht die Spur Lorenzos finden.
Da fuhr ihm plötzlich, wie ein Wetterstrahl,
Prophetisch durch der Seele Finsternis
Die Sehnsucht nach dem fernen Felsental;
Und was ihn erst in alle Fernen riß,
Nun zwang es ihn zurück in diese Räume,
Als wäre hier sein Opfer ihm gewiß.
Hier träumt' er immer wilder seine Träume,
Die rings umher getreue Freunde hatten:
Ruinen, Gräber, finstre Tannenbäume.
Wie auf der Wüste, dürr und ohne Schatten,
Wenn sie den Tag um dunkle Nacht vertauscht,
Der Wandrer sinkt in durstendem Ermatten,
Einschläft und träumt, daß ihm die Quelle rauscht;
Vom Sand empor dann fährt der Frohbetörte,
Und in die Nacht, die dunkle, stille, lauscht:
So wars Robert, wenns ihn vom Schlaf empörte,
Als ob er aus Lorenzos Busen noch
Die heißersehnte Quelle rieseln hörte.
Wenn dann das schwarze Traumbild sich verkroch,
Wie glühend quält' es ihn, zu hören nur
Des eignen Herzens einsames Gepoch!
Oft wenn er so empor vom Lager fuhr,
Erweckt' er seine alten treuen Knechte
Und schwor mit ihnen seinen Racheschwur.
Auch trieb er oft mit ihnen lange Nächte
Ein närrisch Puppenspiel, worein er trug
Wahrheit und Traum in grausigem Geflechte.
Die Puppen mußten spielen Zug für Zug
Viel längstvergangne traurige Geschichten,
Nachtappen seinem wilden Geistesflug;
Doch immer war das Spiel ein Klagen, Richten:
Unheimlich kindisch war des Alten Drang,
Auch nur im Bild Lorenzo zu vernichten.
So lebte Robert manche Jahre lang;
Von allen Wandrern, die das Tal betreten,
Tat keiner nach dem Schlosse mehr den Gang.
Doch kam ein Abend: Maienlüfte wehten,
Es ruhte auf dem alten Schloßgestein
Der Strahl, wie einst, mit rötlichem Verspäten.
Roberto saß betrübt im Abendschein,
Und sinnend sank das Haupt ihm, das ergraute,
Und hüllte ins Vergangne ganz sich ein.
Wie er nun klar sein Kind Maria schaute,
Und wie sein starrer Blick leibhaft vor sich
Das Bild Lorenzos in die Dämmrung baute:
Da schallten Tritte und – sein Traum entwich –
Ein junger Mann nun plötzlich vor ihm stand,
Der wunderbar genau Lorenzo glich.
Es war Lorenzos Sohn. Aus fernem Land
War er gefolgt dem dunklen Trieb zu reisen,
Bis sich sein Pfad in diese Täler wand
Und ihn mit Lockungen, mit holden, leisen,
Verführte schlangenhaft in diese Schluchten,
Nach des Verhängnisses geheimen Kreisen.
›Halloh! nun endlich hab ich dich, Verfluchten!‹
So rief Robert, sprang auf und hielt ihn fest;
›Gelüstet dich nach meinem Kind, Verruchten?
Stahlst du nicht frevelnd mir den letzten Rest?
Lorenzo, hab für dich kein Opfer mehr!
Maria ist von deinem Kuß verwest!‹
Und riesenkräftig schleift er ihn einher.
Was ihm an Kraft geschwunden mit den Jahren,
Beschwor die Wut zu schneller Wiederkehr.
Mit Flammenaugen, weißen Flatterhaaren,
Ist er mit ihm zu jenes Turmes Türe,
Ein Rachedämon, brausend hingefahren.
Umsonst beteuerten Antonios Schwüre,
Es sei Lorenzos vorwurfsloser Sohn,
Um den er seine Eisenkette schnüre;
Und seiner Knechte Wort klang ihm wie Hohn,
Daß welk und grau ja längst Lorenzo sei,
Da dreißig Jahre schon nach ihm entflohn.
Dem Wahnsinn war das Alte nicht vorbei:
Lorenzos Züge waren mit den Zeiten
Gealtert nicht in seiner Phantasei.
Und in des Turmes finstern Einsamkeiten,
War nun Antonios schrecklich Los, zu schmachten,
Zu hören stets die Todesstunde schreiten.
Roberto säumte noch ihn hinzuschlachten:
›Bis seinen Lauf der bleiche Mond vollendet,
Soll dich die feste Kerkerwand umnachten.
Die Frist sei dir Verbrecher noch gespendet,
Auf daß auch dich dein Vater sterben sehe!‹
Und in die Ferne ward ein Brief gesendet.
Lorenzo ahnte nicht des Schicksals Nähe.
Schon war verschlummert seine Jugendsünde,
Sein Herz erwarmet in beglückter Ehe:
Da kam das Schreckensblatt von seinem Kinde;
Da brach er auf und flog mit Sturmeseile,
Daß er Antonio noch lebendig finde,
Daß er des Wahnsinns blutgen Irrtum heile
Und das schuldlose Opfer schnell erlöse;
Wo nicht, den Tod mit seinem Sohne teile.
Wohl mahnte laut sein Herz ihn an das Böse
Der Jugendschuld, als er dem Schloß genaht,
Mit des Gewissens hämmerndem Getöse;
Wohl trieb er seinen Witz nach klugem Rat,
Wie er den Sohn entreiße der Gefahr
Und selber nicht bezahle seine Tat.
Ihm folgte schützend eine Waffenschar
Zum Schlosse, das ihm schon entgegendrohte,
Rauh, wie der Rache türmender Altar.
Durch Nebel taucht' empor das blutigrote
Antlitz des Mondes am bewegten Himmel,
Der schreckensvollen Nacht ein ernster Bote.
Der Wolken trübweissagendes Gewimmel
Flog unstet übers Tal, die Winde trugen
Herüber fernen Donners dumpf Getümmel:
Als an das Grafenschloß die Wandrer schlugen
Und bald darauf das Tor, das langentwöhnte,
Einlaß gewährend knarrt in seinen Fugen.
Ihr scheuer Tritt im öden Burghof tönte,
Wo alles einsam, still und finster lag,
Durchs hohe Gras allein der Windhauch stöhnte.
Die Waffenknechte lauschten stumm und zag;
Lorenzo hört des Busens alten Wächter
Stets lauter mit erinnrungsvollem Schlag,
Und ihn ergriff, wie die gedungnen Fechter,
Ein Grauen: plötzlich aus des Schlosses Tiefen
Schnitt durch die Nacht ein höhnisches Gelächter
Dann todesstill; – dann wirre Stimmen riefen.
Schon sah Lorenzo, dem der Mut zerbrach,
Die Nacht vom Blute seines Kindes triefen.
Und zaudernd schritten sie dem Laute nach,
Und über Treppen, dunkle Hallengänge,
Betraten sie ein dämmerndes Gemach.
Hier sahn sie das phantastische Gepränge
Der wunderlichen Marionettenbühne;
Hier lernten sie verstehn die krausen Klänge.
Soeben eifert der wahnwitzig kühne
Poet, daß er auch strafe die Betörung
An seinem Helden und das Schicksal sühne:
Und mit den Worten innigster Empörung
Empfing den Todesstreich Lorenzos Puppe.
Jetzt fuhr der Alte auf, entzückt der Störung:
›Ihr Herren, wie behagt euch diese Gruppe?
Soll wiederholet werden euch zu Ehren
Von meinem tüchtigsten Schauspielertruppe!
Ich kenn euch wohl und euer heiß Begehren:
Doch wollet nur indes Gedulden tragen
Und lustig erst den Willkommsbecher leeren!‹
Der Vorhang fiel; doch wollte nicht behagen
Der Becher, den Robertos Knechte reichten,
Bis wieder ward der Vorhang aufgeschlagen.
Bei einer Dämmerlampe trübem Leuchten
Begannen ihren Tanz die Marionetten;
Doch schrecklich, daß die Gäste dran erbleichten,
Denn plötzlich schauten sie, geschleift an Ketten,
Verhöhnt von Roberts tragischem Sermon,
Mit plumpem Tritt – Antonios Leiche treten.
Lorenzo starb vor Schreck an seinem Sohn;
Die Knechte hüllten schreiend ihr Gesicht,
Und mit Entsetzen stürzten sie davon.« –
So weit des Klausners nächtlicher Bericht.
Und ich erwacht an eines Baches Rand,
Als durch die Felsen drang das Morgenlicht,
Nachsinnend, wo der Eremit verschwand;
Ob Wahrheit, was nun meine Sinne mied,
Ob eines bösen Traumes wilder Tand? –
Und als ich aus dem Klippentale schied,
Sah wieder ich des Lammes Wolle beben
Am Strauche, den die Sonne ewig flieht,
Im Hintergrund den stillen Geier schweben.

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