Marie und Wilhelm
Im Abendschein am Fenster saß
Allein mit ihrem Harme
Marie, das Antlitz welk und blaß
Gesenkt auf ihre Arme.
So saß das Mädchen still und sann,
Sann nach den alten Zeiten,
Und manche heiße Träne rann
Den schönen alten Zeiten:
Als sie im trauten Hüttlein noch
Bei lieben Eltern wohnte
Und süßer Gottesfriede noch
Der reinen Seele lohnte;
Als sie so fromm zur Kirche ging
Und ihre Wange glühte,
Wenn jedes Äug im Dorfe hing
An ihrer Jugendblüte;
Als sie am lauten Erlenbach
Dem Wilhelm, freudetrunken,
Das erste Wort der Liebe sprach
Und ihm ans Herz gesunken;
Und er sie nannte »süße Braut!« –
›Das alles ist vorüber!‹
So dachte sie und schluchzte laut,
Ihr Herz ward immer trüber:
»Es kam der Feind in Sturmeslauf
Mit grimmen Todesstreichen;
Das Hüttlein sank, ein Aschenhauf,
Die Eltern, wunde Leichen.
Die Eltern tot! Er in die Welt!
Die Träne rann vergebens,
Ich in die Nacht hinausgestellt
Des unbekannten Lebens! –
Da glänzt' ein milder Strahl daher
Im hoffnungslosen Dunkel,
Ein böses Irrlicht, lockend sehr
Mit lieblichem Gefunkel:
›Laß ab zu klagen, Kind, laß ab!
Komm, folge deinem Sterne!
Die Eltern kühlt und heilt das Grab,
Den Bräutigam die Ferne!
Bald sollst du als beglückte Frau
Genesen aller Leiden;
Komm, folge mir zur Liebesau
Voll ewig grüner Freuden!‹
Ich wischte mit treuloser Hand
Die Tränen von der Wange
Und ging – und ging – das Irrlicht schwand
Am furchtbar steilen Hange!
Nun ist mein Herz so grabesdumpf,
Verlassen wie die Wüste,
Seit in den bodenlosen Sumpf
Gesunken ich der Lüste!«
Marie blickt in die Nacht hinein
Aus ihrem stillen Zimmer;
Schon ist am Himmel Sternenschein
Und sanfter Mondenschimmer.
Im Garten ruft die Nachtigall,
Sie scheint in bangen Weisen
Zu klagen um des Mädchens Fall,
Die Unschuld süß zu preisen.
Und leise kommt der Abendwind,
Der ihren Locken schmeichelt,
Als wollt er trösten, ihr gelind
Die bleiche Wange streichelt.
Geh fort, o West, vom Mädchen, geh!
Laß ruhn den welken Flieder!
Du tust ihr mit den Blüten weh,
Die du auf sie streust nieder! – –
Da öffnet sich das Kämmerlein:
Es ruft ein Mann: »Maria!«
Die Freude stoßt ihn wild herein:
»O meine Braut Maria!
Ich habe nun mein Glück erjagt,
Mich durch die Welt getrieben;
Hab viel gelitten, viel gewagt
Und bin dir treu geblieben!
Wenn schier mein Herz vor Leide brach
An lieblos fremdem Orte,
So dacht ich an den Erlenbach,
Ich dacht an deine Worte!«
Er preßt sie selig an das Herz;
Sie aber muß sich wenden,
Sie hüllt, zerknickt von ihrem Schmerz,
Das Antlitz mit den Händen.
Und leichenblaß und zitternd bricht
Sie hin zu seinen Füßen;
Er weint, er deckt ihr Angesicht
Mit feurig bangen Küssen.
»Mir nicht den Kuß! bin sein nicht wert;
Tief sank ich ins Verderben!
Bin treulos, Wilhelm, und entehrt!
Zieh fort und laß mich sterben!« –
Wie also sie zu Wilhelm sprach,
Da schied er, schwer beklommen,
Ging still hinaus zum Erlenbach,
Der ihn mit fortgenommen.
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