Das Lied vom Hemde
Mit Fingern mager und müd,
Mit Augen schwer und roth,
In schlechten Hadern saß ein Weib
Nähend für’s liebe Brod.
Stich! Stich! Stich!
Aufsah sie wirr und fremde;
In Hunger und Armut flehentlich
Sang sie das „Lied vom Hemde“.
„Schaffen! Schaffen! Schaffen!
Sobald der Haushahn wach!
Und Schaffen – Schaffen – Schaffen,
Bis die Sterne glüh’n durch’s Dach!
O, lieber Sklavin sein
Bei Türken und bei Heiden,
Wo das Weib keine Seele zu retten hat,
Als so bei Christen leiden!
Schaffen – Schaffen – Schaffen,
Bis das Hirn beginnt zu rollen!
Schaffen – Schaffen – Schaffen,
Bis die Augen springen wollen!
Saum und Zwickel und Band,
Band und Zwickel und Saum –
Dann über den Knöpfen schlaf’ ich ein,
Und nähe sie fort im Traum.
O Männer, denen Gott
Weib, Mutter, Schwestern gegeben:
Nicht Linnen ist’s was ihr verschleißt –
Nein, warmes Menschenleben!
Stich! Stich! Stich!
Das ist der Armuth Fluch:
Mit doppeltem Faden näh’ ich Hemd,
Ja, Hemd und Leichentuch!
Doch was red’ ich nur vom Tod,
Dem Knochenmanne! – Ha!
Kaum fürcht’ ich seine Schreckgestalt,
Sie gleicht meiner eignen ja!
Sie gleicht mir, weil ich faste,
Weil ich lange nicht geruht.
O Gott, daß Brod so theuer ist,
Und so wohlfeil Fleisch und Blut!
Schaffen – Schaffen – Schaffen!
Und der Lohn? Ein Wasserhumpen,
Eine Kruste Brod, ein Bett von Stroh,
Dort das morsche Dach – und Lumpen!
Ein alter Tisch, ein zerbrochner Stuhl,
Sonst Nichts auf Gottes Welt!
Eine Wand so baar – ’s ist ein Trost sogar,
Wenn mein Schatten nur drauf fällt!
Schaffen – Schaffen – Schaffen –
Vom Früh- zum Nachtgeläut!
Schaffen – Schaffen – Schaffen,
Wie zur Straf’ gefang’ne Leut’!
Band und Zwickel und Saum,
Saum und Zwickel und Band,
Bis vom ewigen Bücken mir schwindlig wird,
Bis das Hirn mir starrt und die Hand!
Schaffen – Schaffen – Schaffen,
Bei Dezembernebeln fahl!
Schaffen – Schaffen – Schaffen,
In des Lenzes sonnigem Strahl!
Wenn zwitschernd sich an’s Dach
Die erste Schwalbe klammert,
Sich sonnt und Frühlingslieder singt,
Daß das Herz mir zuckt und jammert.
O, draußen nur zu sein,
Wo Viol’ und Primel sprießen –
Den Himmel über mir,
Und das Gras zu meinen Füßen!
Zu fühlen wie vordem,
Ach, Eine Stunde nur,
Eh’ noch es hieß: Ein Mittagsmahl
Für ein Wandeln auf der Flur!
Ach ja, nur eine Frist,
Wie kurz auch – nicht zur Freude!
Nein, auszuweinen mich einmal
So recht in meinem Leide!
Doch zurück, ihr meine Thränen!
Zurück tief in’s Gehirn!
Ihr kämt mir schön! netztet bei’m Nähn
Mir Nadel nur und Zwirn!“
Mit Fingern mager und müd,
Mit Augen schwer und roth,
In schlechten Hadern saß ein Weib,
Nähend für’s liebe Brod.
Stich! Stich! Stich!
Aufsah sie wirr und fremde;
In Hunger und Armuth flehentlich –
O, schwäng’ es laut zu den Reichen sich! –
Sang sie dies „Lied vom Hemde“.
London, Sommer 1847.
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