Eines Tages

Durch die silberflimmernden Gardinen,
Über rote Blumen floß ins Zimmer
Immer-immerfort die Sommersonne;
Am Piano saß das blonde Mägdlein;
Unter seinen rosenzarten Fingern
Sprangen flink und hell empor die Töne,
Klang das Liedlein „Mit dem Pfeil, dem Bogen“ –

Aber was ergriff den Mann im Zimmer
Nebenan? Den Blick noch kaum erhob er,
Kaum dem Klange neigt er noch das Ohr –
Packt ein Schütteln ihn bei beiden Schultern;
In die Hände drückt er jäh das Antlitz,
Und ihn wirft ein wildes, stummes Weinen.

Weckt’ ihm wohl das Lied ein tot’ Erinnern?
Eines längst versunk’nen Frühlings Helle?
Nein.

Des Menschen Herz ist eine Schale,
Die die ungeweinten Tränen auffängt,
Alle, alle unvergoss’nen Tränen
Aufhebt einem unbekannten Tag.
Tränen, die dein Aug’ im Jugendlachen,
In der Mannheit Stolz, im Rausch des Kampfes
Einst zurückwies, sammelt still die Schale,
Tränen selbst, um die du nie erfahren,

Stumm-geheim vom Leben zubereitet,
Sammelt sie auf einen stillen Tag.
Ist der unbekannte Tag gekommen,
Braucht es nichts als einer Blume Atem,
Eines Sonnenstrahls geheimes Klingen
Oder eines Liedes Flügelwehn –
Über strömt die übervolle Schale,
Und dein Leben sinkt, ertrinkt im Schmerz.

Von den Armen hob den Kopf er langsam,
Starrte über Nahes in die Ferne,
Und in feuchter, silberreiner Helle
Stieg aus Tränenfluten ihm die Welt.

Durch die silberflimmernden Gardinen,
Über rote Blumen floß die Sonne,
Und von leisen, rosenzarten Fingern
Klangs: „O wunderschön ist Gottes Erde“.

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