Vigilien
I
Die falben Felder schlafen schon,
mein Herz nur wacht allein;
der Abend refft im Hafen schon
sein rotes Segel ein.
Traumselige Vigilie!
Jetzt wallt die Nacht durchs Land;
der Mond, die weiße Lilie,
blüht auf in ihrer Hand.
II
Am offnen Stubenfenster lehn ich
und träume in die Nacht hinauf;
das Mondlicht windet silbersträhnig
sich um den schwarzen Kirchturmknauf.
Sehn wenig Welten aus den Fernen
auch durch den engen Hof ins Haus, –
es füllte Licht von zehen Sternen
ein ganzes, dunkles Leben aus.
III
Horch, der Schritt der Nacht erstirbt
in der weiten Stille;
meine Schreibtischlampe zirpt
leis wie eine Grille.
Goldig auf dem Bücherstand
glühn der Bände Rücken:
zu der Fahrt ins Feenland
Pfeiler für die Brücken.
IV
Sie hat, halb Kind, einst eine Nacht
beim toten Mütterlein verbracht
und hat geweint und hat gewacht; –
dann gingen Jahre, Jahre sacht:
nie hat sie jener Nacht gedacht.
Und dann kam eine andre Nacht.
Da hat von Glut und Sünd entfacht
die rote Lippe Lust gelacht,
doch plötzlich – wie durch höhre Macht
dacht sie der Nacht der Leichenwacht.
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