Franz von Dingelstedt

Franz von Dingelstedt

30.06.1814 - 15.05.1881

Deutscher Dichter und Theaterintendant

Franz Freiherr von Dingelstedt (* 30. Juni 1814 in Halsdorf (Wohratal); † 15. Mai 1881 in Wien) war ein deutscher Dichter, Journalist und Theaterintendant. Er gilt als bedeutender Theaterleiter des späten 19. Jahrhunderts; zuletzt war er Direktor des Wiener Burgtheaters. Berühmt wurde er durch das von ihm gedichtete Weserlied, das von Gustav Pressel vertont wurde. Sein bekanntestes literarisches Werk sind die Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters.

Leben

Franz Dingelstedt wurde 1814 als Sohn eines kurhessischen Beamten in Halsdorf bei Marburg geboren und wuchs im kurhessischen Rinteln an der Weser auf. Dort besuchte er ab 1821 das Ernestinum und machte bereits mit 17 Jahren 1831 ein glänzendes Abitur als „primus omnium“. Anschließend studierte er von 1831 bis 1834 auf Wunsch des Vaters Theologie in Marburg. Dort wurde er Mitglied des Corps Schaumburgia sowie des Corps Guestphalia. Er ging jedoch nicht in den kirchlichen Dienst, weil er, wie er in einem Brief an den Freund Julius Hartmann schrieb, während des Studiums „profane Lieder gemacht und Komödie gespielt habe“ (Deetjen 1922, S. 64). Stattdessen nahm er eine Stelle als Lehrer an und unterrichtete zunächst in einer „Erziehungsanstalt für junge Engländer, welche in Ricklingen bei Hannover blühte, und wo ich angeblich das Deutsche lehrte, in Wahrheit aber das Englische lernte“ (Dingelstedt 1878, S. 167). Seine Schilderungen über die Zeit in Ricklingen klingen insgesamt eher nach geselligem als nach pädagogisch strengem Alltag.

1836 kam er, wie er selbstironisch in einem Brief an seine Schwester schrieb, als „interimistischer Hülfslehrer-Gehülfe“ (zitiert nach Heidelbach 1936, S. 188) ans Lyceum Fridericianum, das heutige Friedrichsgymnasium, in Kassel; hier veröffentlichte er die ersten dichterischen Arbeiten. Seine satirischen Bilder aus Hessen-Kassel, die die Residenzstadt ähnlich verspotten wie Heinrich Heines Harzreise 1826 die Stadt Göttingen, erschienen 1836 in der Zeitschrift Europa. Die nach dem Vorbild Anastasius Grüns benannten Spaziergänge eines Kasseler Poeten wurden 1837 in der Wage, einem Beiblatt zur Kurhessischen Allgemeinen Landeszeitung, als eigenständige Publikation unter dem Titel Stimmen der Wüste in dem Band Gedichte [1838] gedruckt. Diese Veröffentlichungen führten 1838 zu einer Strafversetzung an das Gymnasium in Fulda. In der als Verbannung empfundenen kurhessischen Provinz entstand der Roman Die neuen Argonauten [1839], für den Dingelstedt 20 Taler Strafe entrichten musste, weil er einen blasphemischen Passus enthielte. Hier schrieb er sein vielleicht bekanntestes Werk, die Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters [1841/42]. In dieser Zeit schrieb er: „Fulda ist ein lustiger Ort mit vielen Honoratioren. 93 Visitenkarten steckten an meinem Spiegel- meine Gedichte kauft man sogar und liest sie in meiner Gegenwart vor.“ (Glossy S.16). Das dürfte auch der Fall gewesen sein, als er „als gern gesehener Gast“ bei den Damen des Freiadeligen Stiftes Wallenstein eingeladen war. Durch Vermittlung der Stiftsdame Auguste von Seckendorff erhielt er später die Stelle als Hofrat in Stuttgart (Lemberg S. 275). 1838 reichte er seine Dissertation mit dem Titel „Prolegomena ad artem poeticam“ an der Universität Marburg ein, sie wurde allerdings abgelehnt. Mit der anschließenden Bewerbung an der Universität Jena hatte er mehr Erfolg, hier wurde er mit der gleichen Arbeit in Abwesenheit am 18. Mai 1838 zum Dr. phil. promoviert, durfte den Titel allerdings in Hessen nicht führen.

1840 setzte Dingelstedt sich für den liberalen Staatsrechtler Sylvester Jordan ein, der sich massiv um die kurhessische Verfassung von 1831 bemüht hatte. Jordan galt als Symbolfigur im Kampf gegen die Reaktion und wurde wegen angeblicher Kontakte zu republikanischen Kräften zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. In seinem Osterwort forderte Dingelstedt explizit: „Neig’ dein Scepter, Friedrich Wilhelm, zu erlösendem Bescheid!“ (Dingelstedt/Jordan 1848, S. 9) Dieser ursprünglich als Flugblatt erschienene Text fand große Beachtung; zur Freilassung Jordans, der auch eine lyrische Replik auf Dingelstedts Gedicht verfasste, kam es jedoch erst 1845.

1841 quittierte Dingelstedt schließlich den Schuldienst und verließ Fulda; die Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters erschienen im selben Jahr anonym und mit einem raffiniert erschlichenen Imprimatur im Verlag Julius Campe (vgl. etwa Brinitzer 1962, S. 196ff). Als im Dezember 1841 von der preußischen Regierung ein Gesamtverbot aller Werke dieses Verlages erlassen wurde, stand auch Franz Dingelstedt in einer Reihe mit oppositionellen Autoren des Jungen Deutschland wie Heinrich Heine, Heinrich Laube, Karl Gutzkow oder August Heinrich Hoffmann von Fallersleben.

Seit den 1830er Jahren war Franz Dingelstedt journalistisch tätig, baute sich ein umfangreiches Netz an Kontakten auf und publizierte zwischen 1835 und 1850 in mindestens 74 literarischen Zeitschriften. In Kassel war er 1841 erster Redakteur der Zeitschrift Der Salon. Hinter dieser starken Medienpräsenz steckte der erkennbare Wille nach beruflicher Veränderung. Er wollte sich von seinem bürgerlichen Lehrerberuf emanzipieren und strebte schon früh einen Redakteursposten bei der von Cotta herausgegebenen Augsburger Allgemeinen Zeitung an; dieser Wunsch ging schließlich 1841 in Erfüllung. Dingelstedt wurde jedoch aus Furcht vor der Reaktion auf seine Nachtwächter-Lieder als Korrespondent nach Paris, anschließend nach London und Wien entsandt. In London lernte er die Sängerin Jenny Lutzer kennen, die er 1844 heiratete. In Paris wurde er zunächst trotz antisemitischer Passagen in seinem Gedicht Das Frankfurter Ghetto) von Heinrich Heine freundschaftlich empfangen, dieser schrieb in dem Gedicht Bei des Nachtwächters Ankunft zu Paris [1841]:

„Nachtwächter mit langen Fortschrittsbeinen,
Du kommst so verstört einhergerannt!
Wie geht es daheim den lieben Meinen,
Ist schon befreit das Vaterland?“

Neben Heine traf er in Paris 1842 mit Wolfgang Müller von Königswinter und Georg Herwegh zusammen. Das Jahr 1843 wird oft als Wendejahr in Dingelstedts Leben gewertet; bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich als Oppositioneller gegen die Politik der Restauration sowie die Feudalherrschaft der Duodezfürsten gewandt. Noch Ende 1841 verfasste er zusammen mit Georg Herwegh das Doppelgedicht Wohlgeboren und Hochwohlgeboren. Von zwei deutschen Dichtern in Paris. In dem von ihm verfassten Teil, Hochwohlgeboren, schrieb Dingelstedt:

„So mancher hat's doch schon erreicht,
Der höher noch als ich gedachte,
Der krummer seinen Vers vielleicht
Und krummer seinen Rücken machte.
Was Einer kann, das kann auch ich! – –
Und trotz Gefährden und Beschwerden,
Schwör ich's – St. Huber, höre mich! –
Ich muß Geheimer Hofrat werden!“

Diese letzte Zeile wird am Schluss jeder zweiten Strophe wiederholt und ist im Kontext des Gedichtes eindeutig ironisch gemeint; die höfische Welt und der Untertanengeist werden belächelt. Umso erstaunlicher wirkt es, dass Dingelstedt kaum zwei Jahre später 1843 in Stuttgart eine Anstellung beim König von Württemberg als Vorleser und Bibliothekar annahm und wirklich zum Hofrat ernannt wurde. Dieser Gesinnungswechsel machte ihm Feinde unter den jungdeutschen Autoren, auch Heine beklagte Dingelstedts „Verhofräterei“, blieb ihm aber dennoch verbunden, indem er 1844 in dem Gedicht An den Nachtwächter (Bei späterer Gelegenheit) schrieb:

„Verschlechtert sich nicht dein Herz und dein Stil,
So magst du treiben jedwedes Spiel;
Mein Freund, ich werde dich nie verkennen,
Und sollt ich dich auch Herr Hofrat nennen.“

Andere Dichterkollegen fühlten sich von Dingelstedt verraten; der ehemalige Freund Georg Herwegh etwa bramarbasierte noch 1851 in einer Rezension des Gedichtbandes Nacht und Morgen, dass er sich „den Herrn Theaterintendanten Dingelstedt gern ein paar Schritte vom Leibe halten“ möchte. Er wandte sich entschieden gegen dessen „hofrätliche Niederträchtigkeit“ und urteilte: „Wenn aber die absolute Impotenz mit der Prätension auftritt, was Rechtes zu sein, wenn ein jämmerlicher Renegat sich erfrecht, aus einem königlichen Liebesboudoir hervor seine schwächliche Hofratsgalle auf die beste Sache und ihre treusten Verfechter zu spritzen, wenn ein herzloser Schöngeist es wagt, vor den Augen des von Leuten seines Gelichters tausendfach verratenen deutschen Volkes versedrechselnd mit schwarz-rot-goldenen Glacéhandschuhen zu kokettieren, so darf und soll diese Anmaßung, dieses Erfrechen, diese Koketterie der verdienten Züchtigung nicht entgehen.“ (Herwegh 1851) Der einstige Freund Ferdinand Freiligrath brachte seine Enttäuschung auf den Punkt: „Du bist Hofrath, u. ich will nie etwas anderes sein, als Freiligrath.“

Mit der Ernennung zum Hofrat und der Stelle am württembergischen Hof verlief Dingelstedts Leben ab 1843 in gänzlich veränderten Bahnen. Nach der Anstellung in Stuttgart, wo er ab 1846 auch als Dramaturg des Hoftheaters tätig wurde, ging er 1851 als Intendant ans Hoftheater nach München, wo das konservative bayerische Publikum dem ehemals oppositionellen kurhessischen Lyriker zunächst feindselig und ablehnend begegnete. 1857 kam Dingelstedt auf Vermittlung Franz Liszts, der dort als Operndirektor tätig war, als Generalintendant an das höfische Theater in Weimar. Bereits 1850 hatte Dingelstedt einen Prolog zur dortigen Uraufführung von Wagners Lohengrin verfasst, um sich und seinen Namen in dieser Theaterstadt bekannt zu machen. In einer Besprechung der Uraufführung schrieb Dingelstedt selbst, sein Prolog sei „im Publicum ungemein gütig aufgenommen“ (Dingelstedt 1850b) worden, während er für die Musik und Ästhetik Richard Wagners wenig Verständnis zeigte. Die spätere Weimarer Zusammenarbeit zwischen Liszt und Dingelstedt scheiterte trotz beider Freundschaft daran, dass Dingelstedt dem Schauspiel eindeutig Priorität einräumte und die Oper vernachlässigte. Über diverse Intrigen kam es schließlich zum Zerwürfnis, und Liszt reichte sein Rücktrittsgesuch ein.

867 wurde Dingelstedt Direktor der Wiener Hofoper, die unter seiner Intendanz in das neue Haus an der Ringstraße umzog. Ebenfalls 1867 wurde er von König Ludwig II. nobilitiert, leitete ab 1870 das Wiener Hofburgtheater, das bis heute mit einer Statue an Dingelstedts Wirken erinnerte, und wurde 1876 von Kaiser Franz Joseph in den Freiherrenstand erhoben.

Franz Dingelstedt starb 1881 in Wien und wurde auf dem Zentralfriedhof (5A-4-80) neben seiner 1877 verstorbenen Ehefrau Jenny Lutzer in einem ehrenhalber gewidmeten Grab beigesetzt. Im Jahr 1894 wurde in Wien Rudolfsheim-Fünfhaus (15. Bezirk) die Dingelstedtgasse nach ihm benannt. Auch in Rinteln, Kassel und im Fuldaer Stadtteil Ziehers-Süd sind Straßen nach ihm benannt.

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