Das Natternhemd
Jürgen, der Jäger, ging über die Heide,
Zwischen Mond und Sonne ging er hin,
Seine Augen träumten in die Ferne,
Nach seinem Traume stand sein Sinn,
Dem Traum, wie ein Schatten über dem Wasser,
Dem Traum, wie ein Eiland im Nebel fern;
So ging er hin, den Mond zur Rechten
Und linker Hand den guten Stern.
Er ging vom Morgen bis zum Mittag
Durch grüne Marsch und gelbes Moor,
Und ging von Mittag bis zum Abend,
Und als die Sonne die Kraft verlor,
Trat er in eine hohe Heide
Und blieb tief atemholend steh'n;
Er war in seinem fernen Traume,
In dem er sich die Nacht geseh'n.
Da waren sieben schwarze Fuhren
Geordnet in einem engen Kreis,
Da waren sieben schwarze Machangeln,
Düster oben und unten greis,
Da waren sieben blanke Bäche,
Nach sieben Seiten sprangen sie schnell:
Und waren sieben große goldne
Blumen gestellt um den Siebenquell.
Jürgen, dem Jäger, flog der Atem
Und seine Brust ging tief und schwer,
Es ging ein Rauschen über die Heide
Und ein Lachen flog von ihr her,
Ein silbernes Kichern, ein goldenes Lachen,
Wie Rotkehlchenlied und Nachtigallsang;
Jürgen, der Jäger, duckte im Schatten,
Sein junges Herz in der Brust ihm sprang,
Da waren sieben große Schlangen,
Sieben Zauberschlangen, schön und schlank,
Schimmernd in sieben hellen Farben,
Sieben Farben, blitz und blank,
Sie tranken vom Siebenquell das Wasser
Mit ihren roten Züngelein,
Und waren nicht mehr sieben Schlangen,
Sieben schöne Fräulein mußten es sein.
Jürgen, der Jäger, schlich wie der Fuchs schleicht,
Schnell wie der Habicht griff er hin,
Von den sieben blanken Natternhemdchen
Das silberweiße war sein Gewinn;
Und er rief das Wort, das rosenrote,
Das er gerufen die letzte Nacht,
Als er aus seinem bunten Traume
Mit heißen Lippen war erwacht.
Sieben Jungfernschreie gellten schneidend
In die Abendstille hinein,
Sieben rosige Fräulein haschten jammernd
Nach ihren Natternhemdelein,
Zweimal drei Nattern von dannen rauschten,
Sechs Zaubernattern, schön und groß;
Die allerschönste, siebenmal schönste,
Die schlug die Hände vor Brust und Schoß.
In Jürgen des Jägers weißem Hause
Singt eine Stimme den ganzen Tag,
In Jürgen des Jägers buntem Garten,
Da klingt's wie Nachtigallenschlag,
Und singt drei Monde und zweimal dreie,
Und als der neunte Mond zersprang,
In Jürgen des Jägers weißem Hause
Eine helle kleine Stimme erklang.
Und jedes Jahr eine neue Stimme,
Ein Kind mit Haaren, gelb und hell,
Wie die sieben großen goldnen Blumen,
Die da blühen um den Siebenquell;
Sieben schöne Jahre, sieben schöne Kinder,
Es klingt wie vieler Vöglein Schlag
In Jürgen des Jägers weißem Hause
Den ganzen lieben langen Tag.
Es rief eine Eule am hellen Mittag,
Es kam in das Land ein falsches Wort,
Es fiel ein Reif auf die Maienblüten,
Sie sind verwelket und verdorrt;
Ein bleicher Mann in schwarzer Kutte,
Ein Hexenbrenner, zog um im Land,
Flugfeuer war seines Mundes Rede,
Das steckte die stille Heide in Brand.
Es ging ein Flüstern von Hof zu Hofe
Und ging ein Raunen von Tor zu Tor,
An Jürgen des Jägers weißem Hause
Rankten sich giftige Blumen empor:
»Die Frau ist anders als unsere Frauen,
Die Kinder sind schöner als unsere sind,
Sie werden ohne Wehen geboren,
Giftsamen ist es, den hertrieb der Wind.
Wenn die Blitze über die Heide fahren,
Steht sie am Tore und lacht und singt,
Und Helle heißt sie; das ist ein Name,
Der nach geheimen Künsten klingt.«
Es flogen Blicke wie blanke Blitze,
Es fielen Worte voll Haß und Wut,
Es ballten Hände sich zu Fäusten,
Es roch die Luft nach Brand und Blut.
Jürgen, der Jäger, geht über die Heide,
Mit Beute beladen, und hinter ihm geht
Sein Sohn, stolz trägt er auf der Schulter
Des Vaters Weidewerksgerät;
Jürgen des Jägers Augen sind dunkel
Und fest geschlossen ist sein Mund,
Um die siebente Stunde heulte zum Himmel
Lange und bange sein treuer Hund.
Jürgen des Jägers Augen fliegen
Seinen schnellen Schritten voraus,
Sie suchen hinter dem Abendnebel
Am braunen Berge das weiße Haus;
Ein breiter Rauch steht an dem Himmel,
Eine schmale Flamme darunter weht;
Jürgen dem Jäger stockt der Atem,
Das Herz in der Brust ihm stille steht.
Was schleicht durch die Gassen und horcht an den Türen,
Was huscht auf dem Hofe und lauscht an der Wand,
Was ruschelt am Zaune und raschelt im Garten
Und rückt an dem Riegel mit heimlicher Hand?
Jürgen der Jäger ist auf der Pirsche,
Bittreres Weidewerk übte er nie,
Eine liebe Stimme hörte er weinen,
Eine liebe Seele nach ihm schrie.
Es klingt die Stimme aus tiefem Zwinger:
»Eia, popeia, schlaf' süß, mein Kind,
Eia popeia, es rief eine Eule,
Dein Vater weiß wohl, wo wir sind;
Suse la suse, ihr Kindelein schlafet,
Fest ist das Gitter, hart ist der Stein,
Suse la suse, wo sind geblieben
Die sieben Natternhemdelein?«
Es steht eine Weide am tiefen Borne,
Ihr silbernes Laub beweget der Wind,
In ihrem hohlen Leibe verborgen
Acht weiße Natternhemdchen sind;
Ein großes und sieben klimperkleine,
In jedem Jahr eins der Baum empfing,
Wenn in dem weißen Hause am Berge
Wieder einmal die Wiege ging.
»O Weide, Weide, vieledle Zierde,
O Weide, Weide, ich bitte dich sehr,
Ich bitte dich auf meinen Knieen,
In meinem Herzeleid komme ich her;
Du sollst auch essen, was wir haben,
Und trinken sollst du, so gut wie wir,
O Weide, Weide, vieledle Zierde,
Gib sieben Natternhemdchen mir!«
Acht Pfeile kommen angeflogen,
Die geben alle hellichten Schein,
Um jedes Spitze ist gewunden
Ein blankes Natternhemdelein.
»Eia popeia, ihr Kindelein kommet,
Suse la suse, und machet euch fein,
Es schrie eine Eule vor dem Gitter
Und brachte uns unsere Hemdelein.«
Jürgen der Jäger weint blutige Tränen,
Acht blanke Nattern entschlüpfen dem Grund,
Er küßt eine jegliche sieben Male,
Doch siebenmal sieben der einen Mund;
Acht Nattern rauschen über die Straße,
Wer weiß, wohin? Wo der Nachtwind weht;
Wo Jürgen der Jäger ging über die Heide,
Das Blut im grauen Moose steht.
Jürgen der Jäger geht über die Heide,
Zwischen Mond und Sonne geht er hin,
Seine Augen träumen in die Ferne,
Nach seinem Traume steht sein Sinn;
Dem Traum, wie ein Schatten in der Sonne,
Dem Traum, wie ein Eiland im Nebel fern,
Ein rotes Licht im schwarzen Moore,
Am düsteren Himmel ein blutiger Stern.
Er geht über Sümpfe, schwarz wie die Sünde,
Und über Moore, fahl wie der Tod,
Und über weite, breite Heiden,
Still wie die Nacht, wie Blut so rot;
Er tritt in eine greise Ödnis
Und bleibt tief atemholend steh'n,
Er ist in seinem fernen Traume,
In dem er sich die Nacht geseh'n.
Da ist ein Himmel, schwarz und schrecklich,
Rote Raben fliegen darunter her,
Da ist ein Wasser, tief und schlammig,
Das fließt so träge und so schwer,
Da ist ein schwarzes Zaubereiland
Mit einem Schloß, wie Gift so grün,
Da ist ein dumpfer, dunkler Garten,
In dem viel bleiche Blumen blüh'n.
Durch sieben Höfe geht Jürgen der Jäger,
Durch den weißen und gelben und blauen hin,
Hört nicht die Raben, sieht nicht die Schlangen,
Nach seinem Traume steht sein Sinn;
Geht durch den roten Hof und den grünen
Und durch den Hof, wie Heidmoos grau,
Mit den großen grauen Totenblumen,
Gefüllt mit grauem Todestau.
Es schreien und kreischen die roten Raben,
Die giftigen Schlangen werden laut,
Ihn kümmert kein Kreischen und kein Zischen,
Seinen schwarzen schweren Traum er schaut;
Die hohe Halle, tot und schweigend
Wie eine schwarze Winternacht,
Und dennoch laut von leisen Stimmen,
Und dennoch hell von dunkeler Pracht.
Es sitzt auf ihrem gold'nen Throne
Die böse Otternkönigin,
Es winden sich um ihre Füße
Acht blanke weiße Nattern hin,
Acht schöne schlanke weiße Nattern,
Die eine groß, die andern klein,
Die Natternmutter und sieben kleine
Feine Natternkindelein.
Es schreien und kreischen die roten Raben
Unter dem schwarzen Himmel hin,
In bösem Brande glimmern und flimmern
Die Augen der Otternkönigin;
Sie zischt ihm hellen Hohn entgegen,
Heischt gierig Lohn und Lösegeld:
»Dein rotes Herz mußt du mir lassen,
Du hast ja sonst nichts auf der Welt!
Das Herz, das Herz, das rote Herze,
Das heiße Herz aus deiner Brust,
Ein Otternherz kennt keine Wonne,
Ein Menschenherz ist voller Lust!«
Die Raben hören auf zu rufen,
Die giftigen Schlangen zischen nicht mehr,
Jürgen der Jäger geht über die Heide,
Die große Otter lacht hinter ihm her.
Auf Jürgen des Jägers weißem Hause,
Da schreit die Eule jedwede Nacht,
In Jürgen des Jägers buntem Garten
Keine frohe Stimme singt und lacht;
Die Kinder spielen scheu und heimlich
Das Spiel von dem verlor'nen Herz;
In Jürgen des Jägers weißem Hause,
Da weht die Luft nur Leid und Schmerz.
Jung Ebert faltet seine Brauen,
Langt von der Wand des Vaters Wehr;
Die Nacht ist ihm ein Traum erschienen,
Ein Traum, so schön und groß und schwer;
Jung Ebert schreitet über die Heide,
Zwischen Mond und Sonne geht er hin,
Seine Augen gehen grade Wege,
Ein schwarzer Traum liegt ihm im Sinn.
Er geht durch Moore, schwarz wie die Sünde,
Und geht durch die Brüche, fahl wie der Tod,
Und durch die weiten breiten Heiden,
Still wie die Nacht, wie Blut so rot;
Und findet zu dem toten Bache
Und nach dem Schloß, wie Gift so grün,
Und durch den dumpfen dunklen Garten,
In dem die blassen Blumen blüh'n.
Er geht durch die sieben bunten Höfe
Und tritt in die schwarze Halle ein,
Die Augen der Otternkönigin sprühen
Entgegen ihm mit rotem Schein;
Jung Eberts Augen fröhlich lachen,
Sie lachen, wie bei Spiel und Scherz,
Im Leibe der Otternkönigin leuchtet
Warm und rot das verlorene Herz.
»Das Herz, das Herz, das rote Herze,
Das heiße Herz aus deiner Brust,
Ich will dir geben, was ich habe,
Aber das Herz du lassen mußt!«
»Willst du das Herz, das rote Herze,
Was gibst du Lohn und Lösegeld?«
»Dein junges Herz mußt du mir geben,
Du hast ja sonst nichts auf der Welt!«
Jung Ebert lacht ihr in die Augen:
»Mein junges Herz bleibt immer mein,
Mein rotes Herz hört Vater und Mutter,
Und nie soll es dein eigen sein!«
Es kreischen und schreien die roten Raben,
Eine blanke Klinge blitzt und blinkt,
Auf der Otternkönigin Scheitel klirrend
Der rote Karfunkelstein zerspringt.
Jung Ebert schreitet über die Heide,
Zwischen Mond und Sonne geht er hin,
Seine Augen gehen gradenweges
Zu dem weißen Hause am Berge hin;
Er singt eine alte Jägerweise
Über das rote Heideland,
Das rote Schwert trägt seine Rechte,
Das rote Herz seine linke Hand.
Vor Jürgen des Jägers weißem Hause
Schreit keine Nacht die Eule mehr,
In Jürgen des Jägers weißem Hause
Ist keine Brust mehr tot und leer;
Es singen viele helle Stimmen
Von früh dort bis zum späten Tag,
In Jürgen des Jägers weißem Hause,
Da klingt's wie Nachtigallenschlag.
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