Schildeis
Einsiedler.
Dort liegt das Jagdschloß, so man Schildeis nennt,
Ganz in des Böhmerwaldes Innerstem.
Dietwald (zum Herzog.)
Das ist das Schloß, von dem ich Euch gesagt,
Daß es die beste Zuflucht bieten mag.
Ich hätt’ es, wahrlich! selbst nicht mehr gefunden,
Denn alle Weg’ und Stege sind verwachsen,
Seitdem der sel’ge Herzog hier gejagt,
Es sind nun fünf und zwanzig Jahre her.
Herzog (zum Einsiedler.)
Dank, frommer Bruder, Euch für das Geleit!
Ihr seyd der wilden Gegend trefflich kund.
(Zur Herzogin.)
Und du, mein gutes Weib! nun hast du endlich
Des weiten Wegs Beschwerden überstanden.
Herzogin.
Viel wohler, als in des Pallastes Pracht,
Der ich unwürdig oft mich achtete,
War mir auf dieser mühevollen Fahrt.
So meint’ ich abzubüßen meine Schuld,
Die Schuld, ach! die ich nicht bereuen kann.
Herzog.
Dort kömmt ein Jägersmann am Fels herum.
Einsiedler.
Der alte Eckart, dieses Schlosses Vogt.
Dietwald.
Wie ist er grau geworden und gebeugt!
(Eckart tritt auf.)
Herzog.
Willkommen, treuer Eckart!
Eckart.
Seh’ ich recht?
So wird mir noch einmal in diesem Leben
Die Freude, meinen lieben Herrn zu schaun!
Herzog.
Wie kennst du plötzlich, den du nie gesehn?
Eckart.
Ist’s möglich? Seyd Ihr nicht mein junger Herr,
Der Herzog Wolf?
Herzog.
Du sprichst von meinem Vater,
Der vor drei Monden zu den Ahnen ging.
Eckart.
Um Gott! Davon gelangte nichts zu uns.
Der Himmel schenk’ ihm eine sanfte Ruh!
Er sah doch ganz wie Ihr, der gute Herr,
Als er vor Jahren hier bei’m Jagen war.
Auch dünkt es mir nicht gar so lange her,
Und steht noch Alles drüben in der Burg
So wie der Herr es hinterlassen hat.
Die Sanduhr ist seitdem nicht mehr gelaufen,
Die Armbrust hängt noch dort unabgespannt,
Sein Jägerhut noch mit dem Tannenzweig,
Sein Falke sitzt im Käfig ausgebälgt.
Das alte Liederbuch, darin er las,
Ist aufgeschlagen, wo er aufgehört;
Ihr könnt fortlesen, wo der Vater blieb,
Es kommen erst die herrlichsten Geschichten.
Einsiedler.
Ja! Euer Schloß ist ein seltsamer Ort,
Es wandeln dort in stiller Mitternacht
Die Geister längst Verstorbner durch die Hallen.
Sie kehren gerne zu dem Haus zurück,
Wo Alles noch ist, wie zu ihrer Zeit.
Eckart.
Das ist wohl gar der Junker Dietwald hier,
Der mit dem sel’gen Herzog bei uns war?
Ihr habt Euch was verändert, doch nicht sehr.
Dietwald.
Das hör’ ich gern, mein alter Jagdgesell!
Herzogin (zu Eckart.)
Ihr habt wohl manches Jährlein hinter Euch?
Eckart.
Ein Sechzig.
Dietwald.
Und ein Dreißig noch dazu.
Einsiedler.
Das Jahr nicht kennend, das der Welt ihn gab,
Hat er schon längst auf sechzig sich geschätzt,
Doch neigt das Jahr sich wieder, denkt er stets:
Ich hab’ ein Jährlein leicht zuviel gezählt;
So tritt er über sechzig nie hinaus.
Eckart.
Es liegt ja doch am Ende wenig dran.
Einsiedler.
Kein Wunder, daß die Zeit ihm stille stand
Und daß er meinet, Alles steh’ im Alten;
Denn kein Ereigniß zeichnet’ ihm die Tage,
Seitdem der sel’ge Herzog hier gejagt,
Noch hört er Kunde von dem Lauf der Welt.
Den Wechsel selbst der Jahreszeiten läßt
Der Tannenwälder ewig Dunkelgrün,
Der Felsen ewig frühlingslose Öde
In unsrer Wildniß weniger bemerken.
Eckart.
Ganz recht! ich hab’ es niemals so bedacht.
Einsiedler.
Ihr Theuersten! des Menschen Leben ist
Ein kurzes Blühen und ein langes Welken.
Durch diesen einfach langen Wechsel zieht
Der Jahreszeiten schneller, bunter Tausch,
Und schafft dem Menschen, der, dazwischen stehend,
Nicht folgen kann, so manigfaches Weh.
Denn wann der Herbst das Feld entblümt, entlaubt,
Da trübt sich selbst des frischen Jünglings Sinn,
Er muß das Alter kosten vor der Zeit.
Noch schmerzlicher – wann sich der Lenz belebt,
Da will des Greisen Wange neu sich röthen,
Sich zu verjüngen meint das matte Herz;
Ach! kurze Täuschung nur!
Der dürre Stamm, er treibt ein schwaches Laub,
Doch zu gesunder Blüthe bringt er’s nicht.
Drum lob’ ich diese wechsellose Gegend,
Wo nichts im Herzen weckt der Sehnsucht Qual.
Dietwald (seitwärts zum Herzog.)
Der Prediger in der Wüste hier hat wohl
Seit langer Zeit sich nicht mehr ausgesprochen.
Einsiedler.
Es ist, als wäre diese Gegend früh
Zurückgeblieben hinter’m Schritt der Zeit.
Die weiten, stillen Wälder, wo der Mensch,
Des Schöpfers letztes Werk, noch fehlt.
Und dort noch in der Ferne das Gebirg,
Das liegt nun vollends außer aller Zeit.
Auch nicht das Pflanzenreich ist dort geschaffen;
Die Elemente sind noch nicht geschieden.
Ein Chaos ungeheurer Felsenblöcke,
Voll tiefer Klüfte, drein kein Licht noch fiel,
Nur daß oft Flammen aus dem Abgrund zucken!
Die dunkeln Wasser rauschen schaurig drunten,
Und Wolken liegen in den Schluchten hin.
Es kam mich einsmals dort gar seltsam an,
Als ich so über die todten Massen
In eigner kräftiger Bewegung schritt.
Es glüht mein Aug’, es hebet sich mein Arm,
Mein Mantel wallt, es flattern meine Locken,
Ich rufe durch die Stille hin: Es werde! –
Unmächt’ge Stimme schwacher Kreatur!
Herzog.
Auch hieher dringt noch die rastlose Zeit;
Die Tannen die so trotzig stehn, sie müssen
Zur Menschenwohnung sich zusammenfügen;
Die Felsen werden vom Gebirg gerollt
Und steigen neu, als hehre Dom’, empor.
Dietwald.
Kaum tretet Ihr in diese Wildniß ein,
Und habt schon so tiefsinnige Gedanken.
Herzog.
Und nun, mein guter Eckart, sey mir treu,
Wie du es meinem lieben Vater warst!
Wir nehmen unsern Sitz in diesem Schloß,
Ich und die werthe Frau hier, mein Gemahl,
Doch bleibt es ein Geheimniß, wer wir sind.
Herzogin.
So ziehn wir denn zur neuen Hofburg ein!
(Alle ab.)
Ein Wanderer (tritt auf und singt;)
O Tannenbaum, du edles Reis!
Bist Sommer und Winter grün.
So ist auch meine Liebe,
Die grünet immerhin.
O Tannenbaum! doch kannst du nie
In Farben freudig blühn.
So ist auch meine Liebe,
Ach! ewig dunkel grün.
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