Verwandlung

Waldinneres, wo von dem felsigen Stein
Das dunkle Wasser rauschend niederfällt!
Der Wolke drohend Schweben gibt allein
Noch Kunde vom bewegten Himmelszelt.

Der starken Bäume Festigkeit ist müd.
Weicht nicht der Boden und beginnt der Traum?
Die frische Gegenwart ist schon verglüht,
Und Sterben öffnet leise seinen Raum.

Die schweigenden und oft gebrochenen Herzen
Ziehen im Abschied wiederum hinab.
Und eine Weile brennen kleine Kerzen
Dem eingeweihten, schattenhaften Grab.

Erschrecken und ein Sinken ohne Halt --
Dann fangen dunkle Stimmen an zu grüßen.
Von neuem ist ein alt bekannter Wald
Dir aufgetan zu Häupten und zu Füßen.

Die Quellen springen, und ein frisch Gedeihn
Ist sanft und lieblich um das Wiederkehren,
Es kommt zurück das freundliche Verzeihn,
Das ausgestoßen war von hundert Speeren.

Und wiederum sollst du den Weg beginnen,
Indes die Wolken ziehn ob deinem Haupt,
Und wenn die Stunden rätselvoll verrinnen,
Sollst du nicht wissen, was sie dir geraubt.

Hindere mich nicht, daß ich dir einmal sage,
Wie sehr ich unter der Verwandlung leide,
Und hör es nicht als eine kranke Klage,
Noch dies sei hart Geheimnis für uns beide.

Dann mag auf Wogen uns ein Sturm umnachten,
Oder es komme Süßigkeit der Gärten:
Wir wissen, welches Opfer wir einst brachten,
Eh wir erwarben unsere großen Härten.

Und nun: wir müssen immer davon schweigen,
Da wir zu Schaffenden uns selbst bestimmt,
Wir dürfen uns und jenen nie mehr zeigen,
Wie sehr wir wissen, daß sie schnöde sind.

Der große Baum im ruhenden Gefilde,
Das dunkle Grün des Laubes in der Schlucht,
Der Felsen dicht bewachsene Gebilde,
Das ferne Grollen: der Gefühle Flucht . . . .

Hier ist ein Eingang zu den Unterwelten,
Hier haben Wanderer sich oft verirrt.
Wenn einst durch Träume ferne Laute gellten,
Erahnten sie, was nun aus ihnen wird.

Das Wasser des Vergessens kam gezogen,
Sie wußten nicht mehr recht, wie das geschah.
Im Steigen der von Träumen bleichen Wogen
War Fremde sich und Heimkehr traurig nah.

Ich möchte immer Traurigeres künden,
Das überstiege des Vergessens Flut:
So laßt uns einen Scheiterhaufen zünden
Dem Sterben, das auf allem Leben ruht.

Nicht eher darf der Lebende gesunden,
Als nicht der letzte Abschiedsgruß verbrannt,
Und unreif haben jene überwunden,
Die nicht die letzte Stunde ganz gekannt.

Was nicht gestorben ist, kann nicht erstehn:
O Feuer, kämpfe lange mit dem Wind!
Zu Asche wirst du früh genug vergehn,
Schon in der Mittagsonne Staub und blind.

Es werden wieder duftige Morgen kommen,
Entzückende, mit Tau im süßen Haar,
Du wirst nicht wissen, was dir weggenommen,
Nicht fühlen mehr, was einst lebendig war.

Und an den frischen Bäumen wirst du lehnen,
Noch träumerisch von dem, was dir entschwand.
Leise erfreut und ohne alles Sehnen
Glänzt um dich her das morgendliche Land.

Wo klar die Berge zu den Wolken steigen,
Sind auch die neuen Menschenlaute wach:
Du spürst, wie sich die Bäume heimlich neigen,
Und eilst zu dem beglückten, kleinen Bach.

Da zur Versöhnung uns die Reife fehlt,
Das Bleiben aber hindert jeden Fluch,
Da, was das Herz geschlagen und gequält,
Sich dennoch hebt zu neuestem Versuch,

Da wir vom Tor der Unterwelten kehren,
Verändert, dennoch gleich, ins alte Haus,
Und unser Unreifsein nicht weiß zu wehren
Dem, was uns neu beherrscht tagein tagaus:

So will ich einmal doch gebeichtet haben,
Daß niemals wir zutiefst gestorben sind,
Wir nahmen nur der Tröstung kleine Gaben,
Nie auferstanden mit dem Morgenwind.

Und also bleibt armseliges Verhallen
Von Freude, Schmerz und Liebe unser Teil,
Bis nicht ein gnädiger Vater über allen
Uns liebreich wieder leitet zu dem Heil.

So sind wir fern dem seligen Erneun,
Den Himmelsfrüchten und dem heiligen Lenze,
Und unser bestes Tun sei noch das Freun
Des stolzen Schaffens mit der harten Grenze.

Und wird auch solches Dasein untergehen
Wie vieles Sterben ohne letzten Tod:
Es lehre doch das späte Auferstehen,
Die Reife und das große Morgenrot.

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