Veleda
Dort auf Tiburs steilen Felsen, wo der Anio wirbelnd rinnt,
Stumm, mit schmerzgebleichten Wangen, steht Germaniens stolzes Kind;
Um die hohe Stirne windet sich der Lindenblütenkranz,
Von den Schläfen zu den Knieen fließt des roten Haares Glanz,
Und den weiten Opfermantel trägt sie wie im Heimatland,
Aber ach, die goldne Fessel schlingt sich um die weiße Hand. –
»Bin ich Veleda? Ach, bin ich's?« – seufzt der schöne, bleiche Mund –
Die mit Göttern Zwiesprach tauschte auf des heil'gen Berges Rund,
Die in hoher Eichen Wipfel hohe Weissagung belauscht,
Welcher laut des Rheines Wirbel Siegverheißung zugerauscht? –
Bin ich's, der mein Volk mit Jauchzen deinen Feldherrn, stolzes Rom,
Zugeführt als Ehrenbeute auf befreitem Lippestrom?
Denn ich hatte Sieg verheißen, Sieg in Land und Wasserschlacht, –
Und auf seiner Prunktriere ward der Prätor mir gebracht.
Doch ein Tag kam – seine Schrecken kündete kein Götterwort –
Weh! da scholl im heil'gen Haine Waffenlärm und wilder Mord,
Römerhelme – rote Fackeln – Priesterblut und Waldesbrand,
Und sie schleppten mich gefangen aus dem grünen Bruktrerland. –
Wer vom Vaterland genommen, dem ist Licht und Luft geraubt;
Wie die ausgeriss'ne Blume neig' ich hoffnungslos das Haupt;
Ach, an dieser heißen Sonne welkt verdorrt mein Leben bald: –
Wo bist du, mein dunkelkühler, ferner, schöner Buchenwald?«
Sprach's und sah vom hohen Felsen sehnend in das Land hinaus:
Sieh, da schritten zwei Liktoren auf sie her vom Marmorhaus,
Purpur brachten sie und Goldstab, und es folgt ein Kriegerschwarm,
Laut ihr winkend: doch die Jungfrau hebet streng den weißen Arm.
»Komm, Veleda, steige nieder«, – ruft ihr der Centurio –
»Heut erfüllt sich deine Weisheit, du Prophetin siegesfroh!
Zögre nicht: – der Imperator harrt: – es murrt die Menge schon: –
Schon vom Palatinus nieder steigt Legion auf Legion;
Tuben schmettern, Opfer rauchen – nur Veleda fehlet noch.« –
»Sprecht, was wollt ihr?« rief's und ahnend trat sie an das Felsenjoch.
»Wie, du frägst noch? Im Triumphe ziehet heut der Feldherr ein,
Du in seiner Siegeskrone bist der schönste Edelstein:
Du, vor Cerialis Wagen, bist Germaniens Symbol.«
»Auf, Veleda,« rufen alle, »fort, hinauf zum Kapitol!«
Und zum Felsen, sie zu greifen, schreitet schon der Römer vor: –
Sieh, da richtet die Prophetin majestätisch sich empor;
Blaue Blitze sprüht ihr Auge und im Sturm ihr Busen wallt
Und die Feuerlocken fliegen um die dräuende Gestalt;
Und zum Himmel mit der Fessel hebt sie hoch die zorn'ge Hand,
Und zertrümmert an den Felsen schleudert sie den goldnen Tand.
Und die Römer sehn's mit Grauen, und sie ruft hinab ins Tal:
»Ha! ich fühl's, die Götter steigen zu mir nieder noch einmal!
Ja, sie nah'n in diesem Schauer, der mich zorneskalt durchrinnt,
Wie daheim durch Eichenwipfel weht mit Weissagung der Wind.
Nicht in meinen Ketten kehrten hohe Götter bei mir ein,
Aber jetzt, aus freier Seele, darf ich nochmals prophezei'n;
Wahrheit schau' ich, Wahrheit künd' ich; vor mir tagt's wie Sonnenschein:
Veleda nie, nie Germania führt ihr im Triumphzug ein!
Seht ihr's, Römer? Von den Bergen dort herab ins Südenfeld –
Geht ihr's nicht? – steigt hell in Waffen eine ganze Heldenwelt!
Immer neue, neue Scharen! – Namen voller Siegesklang!
Adlerhelme, blanke Schilde, Hörnerjauchzen, Schlachtgesang!
Heil, du blonder Siegeskönig! Schwing' die Streitaxt, schwing' sie wohl!
Sieh, sie trifft: es fällt in Trümmer Tor und Turm am Kapitol.
Dann zerspringt die Völkerfessel, wie jetzt meine Fessel sprang,
Und es wird die Freiheit tagen, die Veleda sterbend sang!«
Sprach's, die Römer hörten's schauernd – und noch eh' das Wort verhallt,
Schwang sich nieder von dem Felsen eine leuchtende Gestalt,
Rasch und hell, wie wenn vom Himmel hoch ein Stern gefallen wär':
Und der Flußgott trug die schöne Tote fort ins freie Meer. –
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