Der 6. Psalm
Ach schone, großer Herr, ach schone mich zu strafen,
wenn deine Huld und Gunst bei dir ist ganz entschlafen,
und du für Zorne brennst! Herr, züchtige mich nicht,
wenn dir die Grimmesglut aus Mund und Augen bricht,
die niemand tragen kan! Umb so viel mehr laß blicken
dein Gnadenangesicht, indem mich unterdrücken
viel tausent Schmerz und Angst! Herr, heile, heile mich,
weil ich voll Schwachheit bin! O Arzt, erweise dich!
Die Seele zittert mir. Ach Herr, ach Herr, wie lange?
Das Mark verschwindet aus, das Reißen macht mir bange,
das meine Beine kreischt. Herr, wende dich einmal,
und hilf mir, so du wilst, aus dieser Seelenqual!
Wer wird dir, wenn du mich nun wirst getötet haben,
für deine Hülf' und Treu' erlegen solche Gaben,
wie ich bißher getan? wer wil dir danken doch
und denken deiner Ehr' in jenem finstern Loch,
in welches du mich wirfst? Das herzenswehe Seufzen
macht mich so laß und matt, daß ich auch kaum kan geufzen.
Der Angstschweiß schwemmet mir durch manche ganze Nacht
mein müdes Lager aus. Das Qual der Thränen macht
mein Bett' als eine Bach. Wo ist mein' erste Blüte,
da ich so schöne war, das freudige Gemüte?
Die Augen dunkeln mich, die ausgefleischte Haut
wird schlaff und runzelt sich, daß mir selbst für mir graut.
Ich bin bei Leben tot. Man drängt mich vorn und hinden.
Hier ädert mich dein Grimm, den ich durch meine Sünden
gehäufet hab' auf mich, dort ängstet mich ein Man
(ach wär' es Einer nur!), dem ich kein Leid getan.
Weg, ihr verruchtes Volk, ihr Übeltäter, weichet!
Mein Jammerseufzen hat die blaue Burg erreichet
und ihren Prinz bewegt zu müssen gnädig sein.
Das Wetter ist vorbei, nun hab' ich Sonnenschein;
mein Flehen ist erhört, ich habe Gott zum Freunde.
Wie ist euch nun zu Mut, ihr schlangenarge Feinde?
Erschrecken müsset ihr für meinem Gott und mir
und plötzlich kehren umb mit Schanden für und für.
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